Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

und kleinen Bären und den HiminelSlöwen daraus bilden, ohne sie
aufzubrauchen. Eine Visite hätte mich in nicht geringe Verlegenheit
gebracht. Wohin mit solchen Händen? Das ganze Königreich von
Flöhen für eine reinere Kotzen-Decke! wollt' ich rufen -- aber, mein
lieber Alter, man thut nur seinen eigenen Ohren weh, wo man nicht
gehört wird. Die langen Nachmittagsstunden schienen abgedämmt
für ewig und nirgends Abfluß zu finden. Kein Buch, keine Feder,
keine Dinte. Sperre den geistreichsten Menschen ein halbes Jahr so
ab von aller That und Bildungsquelle, und Du wirst einen Wahn¬
sinnigen oder Blöden in die freie Gottesluft entlassen. Ein solcher
Zustand ist des Teufels. Ich bitte Dich, stelle auch bald was an,
weißt Du? etwas Ehrenhaftes, worauf öffentliche Einfahung und
stumme Absperr . . . dann wollen wir uns weiter und leichter
verständigen, wie endlos lang diese Nachmittage sind. Gegen Abend
kam der Soldat wieder. Es wurde mir freigestellt, mir einen ge¬
wählteren Imbiß kommen zu lassen oder mit dem trockenen Gefäng¬
nißbrode fürlieb zu nehmen, welches umsonst verabreicht wird; ich
entschied mich natürlich für das erstere. So kam ich zu einem guten
Glase Bier und zu einem trefflichen Stück Schweizerkäse. Erinnere
Dich aber, welche unglückliche Constitution ich habe für alle geistigen
Getränke; Lieutenant Cassio im Othello konnte nicht leichter trunken
werden, als ich es würde, wenn ich nicht stets sehr behutsam meinen
Genuß bewachte. Kaum hatte ich das gute Glas Bier mit einiger
Hast getrunken, so wurde ich unsinnig lustig. Ich schloß die Fenster
und glaubte auch sonst unbehorcht zu sein, und jetzt sing ich einen
Höllenlärm an; sang Böhmerwäldler und schnalzte dazu, warf die
Flohdccke hinter den Ofen und das Leintuch hinter den Tisch, stellte
den müssiger Strohsack an die Wand, der sich das mit einer Maje¬
stät gefallen ließ, wie ein König, und versetzte ihm vorübergehend
dann und wann einen Fußtritt; vor die Thüre schob ich den großen
Leibstuhl, damit dem Soldaten der unangemeldete Eintritt nicht wie¬
der so leicht sei, wie bisher. So fühlte ich mich unaussprechlich se¬
lig und freier, als der magyarische Landtag und beneidenswerther,
als Alle, welche mich in die MauSfalle schickten. "Hat der das
Glück und wird noch eingesperrt auch!" hörte ich Dich im Geiste
sag-w. "Ja," antwortete ich -- "wenn ich je so glücklich bin, geliebt
zu werden und Kinder zu kriegev so will ich's in späten Jahren


Grenzboten 1"is. I. 2!j

und kleinen Bären und den HiminelSlöwen daraus bilden, ohne sie
aufzubrauchen. Eine Visite hätte mich in nicht geringe Verlegenheit
gebracht. Wohin mit solchen Händen? Das ganze Königreich von
Flöhen für eine reinere Kotzen-Decke! wollt' ich rufen — aber, mein
lieber Alter, man thut nur seinen eigenen Ohren weh, wo man nicht
gehört wird. Die langen Nachmittagsstunden schienen abgedämmt
für ewig und nirgends Abfluß zu finden. Kein Buch, keine Feder,
keine Dinte. Sperre den geistreichsten Menschen ein halbes Jahr so
ab von aller That und Bildungsquelle, und Du wirst einen Wahn¬
sinnigen oder Blöden in die freie Gottesluft entlassen. Ein solcher
Zustand ist des Teufels. Ich bitte Dich, stelle auch bald was an,
weißt Du? etwas Ehrenhaftes, worauf öffentliche Einfahung und
stumme Absperr . . . dann wollen wir uns weiter und leichter
verständigen, wie endlos lang diese Nachmittage sind. Gegen Abend
kam der Soldat wieder. Es wurde mir freigestellt, mir einen ge¬
wählteren Imbiß kommen zu lassen oder mit dem trockenen Gefäng¬
nißbrode fürlieb zu nehmen, welches umsonst verabreicht wird; ich
entschied mich natürlich für das erstere. So kam ich zu einem guten
Glase Bier und zu einem trefflichen Stück Schweizerkäse. Erinnere
Dich aber, welche unglückliche Constitution ich habe für alle geistigen
Getränke; Lieutenant Cassio im Othello konnte nicht leichter trunken
werden, als ich es würde, wenn ich nicht stets sehr behutsam meinen
Genuß bewachte. Kaum hatte ich das gute Glas Bier mit einiger
Hast getrunken, so wurde ich unsinnig lustig. Ich schloß die Fenster
und glaubte auch sonst unbehorcht zu sein, und jetzt sing ich einen
Höllenlärm an; sang Böhmerwäldler und schnalzte dazu, warf die
Flohdccke hinter den Ofen und das Leintuch hinter den Tisch, stellte
den müssiger Strohsack an die Wand, der sich das mit einer Maje¬
stät gefallen ließ, wie ein König, und versetzte ihm vorübergehend
dann und wann einen Fußtritt; vor die Thüre schob ich den großen
Leibstuhl, damit dem Soldaten der unangemeldete Eintritt nicht wie¬
der so leicht sei, wie bisher. So fühlte ich mich unaussprechlich se¬
lig und freier, als der magyarische Landtag und beneidenswerther,
als Alle, welche mich in die MauSfalle schickten. „Hat der das
Glück und wird noch eingesperrt auch!" hörte ich Dich im Geiste
sag-w. „Ja," antwortete ich — „wenn ich je so glücklich bin, geliebt
zu werden und Kinder zu kriegev so will ich's in späten Jahren


Grenzboten 1«is. I. 2!j
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269596"/>
          <p xml:id="ID_495" prev="#ID_494" next="#ID_496"> und kleinen Bären und den HiminelSlöwen daraus bilden, ohne sie<lb/>
aufzubrauchen. Eine Visite hätte mich in nicht geringe Verlegenheit<lb/>
gebracht. Wohin mit solchen Händen? Das ganze Königreich von<lb/>
Flöhen für eine reinere Kotzen-Decke! wollt' ich rufen &#x2014; aber, mein<lb/>
lieber Alter, man thut nur seinen eigenen Ohren weh, wo man nicht<lb/>
gehört wird.  Die langen Nachmittagsstunden schienen abgedämmt<lb/>
für ewig und nirgends Abfluß zu finden. Kein Buch, keine Feder,<lb/>
keine Dinte. Sperre den geistreichsten Menschen ein halbes Jahr so<lb/>
ab von aller That und Bildungsquelle, und Du wirst einen Wahn¬<lb/>
sinnigen oder Blöden in die freie Gottesluft entlassen. Ein solcher<lb/>
Zustand ist des Teufels. Ich bitte Dich, stelle auch bald was an,<lb/>
weißt Du? etwas Ehrenhaftes, worauf öffentliche Einfahung und<lb/>
stumme Absperr . . . dann wollen wir uns weiter und leichter<lb/>
verständigen, wie endlos lang diese Nachmittage sind. Gegen Abend<lb/>
kam der Soldat wieder. Es wurde mir freigestellt, mir einen ge¬<lb/>
wählteren Imbiß kommen zu lassen oder mit dem trockenen Gefäng¬<lb/>
nißbrode fürlieb zu nehmen, welches umsonst verabreicht wird; ich<lb/>
entschied mich natürlich für das erstere. So kam ich zu einem guten<lb/>
Glase Bier und zu einem trefflichen Stück Schweizerkäse. Erinnere<lb/>
Dich aber, welche unglückliche Constitution ich habe für alle geistigen<lb/>
Getränke; Lieutenant Cassio im Othello konnte nicht leichter trunken<lb/>
werden, als ich es würde, wenn ich nicht stets sehr behutsam meinen<lb/>
Genuß bewachte. Kaum hatte ich das gute Glas Bier mit einiger<lb/>
Hast getrunken, so wurde ich unsinnig lustig. Ich schloß die Fenster<lb/>
und glaubte auch sonst unbehorcht zu sein, und jetzt sing ich einen<lb/>
Höllenlärm an; sang Böhmerwäldler und schnalzte dazu, warf die<lb/>
Flohdccke hinter den Ofen und das Leintuch hinter den Tisch, stellte<lb/>
den müssiger Strohsack an die Wand, der sich das mit einer Maje¬<lb/>
stät gefallen ließ, wie ein König, und versetzte ihm vorübergehend<lb/>
dann und wann einen Fußtritt; vor die Thüre schob ich den großen<lb/>
Leibstuhl, damit dem Soldaten der unangemeldete Eintritt nicht wie¬<lb/>
der so leicht sei, wie bisher.  So fühlte ich mich unaussprechlich se¬<lb/>
lig und freier, als der magyarische Landtag und beneidenswerther,<lb/>
als Alle, welche mich in die MauSfalle schickten.  &#x201E;Hat der das<lb/>
Glück und wird noch eingesperrt auch!" hörte ich Dich im Geiste<lb/>
sag-w. &#x201E;Ja," antwortete ich &#x2014; &#x201E;wenn ich je so glücklich bin, geliebt<lb/>
zu werden und Kinder zu kriegev  so will ich's in späten Jahren</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1«is.  I. 2!j</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0179] und kleinen Bären und den HiminelSlöwen daraus bilden, ohne sie aufzubrauchen. Eine Visite hätte mich in nicht geringe Verlegenheit gebracht. Wohin mit solchen Händen? Das ganze Königreich von Flöhen für eine reinere Kotzen-Decke! wollt' ich rufen — aber, mein lieber Alter, man thut nur seinen eigenen Ohren weh, wo man nicht gehört wird. Die langen Nachmittagsstunden schienen abgedämmt für ewig und nirgends Abfluß zu finden. Kein Buch, keine Feder, keine Dinte. Sperre den geistreichsten Menschen ein halbes Jahr so ab von aller That und Bildungsquelle, und Du wirst einen Wahn¬ sinnigen oder Blöden in die freie Gottesluft entlassen. Ein solcher Zustand ist des Teufels. Ich bitte Dich, stelle auch bald was an, weißt Du? etwas Ehrenhaftes, worauf öffentliche Einfahung und stumme Absperr . . . dann wollen wir uns weiter und leichter verständigen, wie endlos lang diese Nachmittage sind. Gegen Abend kam der Soldat wieder. Es wurde mir freigestellt, mir einen ge¬ wählteren Imbiß kommen zu lassen oder mit dem trockenen Gefäng¬ nißbrode fürlieb zu nehmen, welches umsonst verabreicht wird; ich entschied mich natürlich für das erstere. So kam ich zu einem guten Glase Bier und zu einem trefflichen Stück Schweizerkäse. Erinnere Dich aber, welche unglückliche Constitution ich habe für alle geistigen Getränke; Lieutenant Cassio im Othello konnte nicht leichter trunken werden, als ich es würde, wenn ich nicht stets sehr behutsam meinen Genuß bewachte. Kaum hatte ich das gute Glas Bier mit einiger Hast getrunken, so wurde ich unsinnig lustig. Ich schloß die Fenster und glaubte auch sonst unbehorcht zu sein, und jetzt sing ich einen Höllenlärm an; sang Böhmerwäldler und schnalzte dazu, warf die Flohdccke hinter den Ofen und das Leintuch hinter den Tisch, stellte den müssiger Strohsack an die Wand, der sich das mit einer Maje¬ stät gefallen ließ, wie ein König, und versetzte ihm vorübergehend dann und wann einen Fußtritt; vor die Thüre schob ich den großen Leibstuhl, damit dem Soldaten der unangemeldete Eintritt nicht wie¬ der so leicht sei, wie bisher. So fühlte ich mich unaussprechlich se¬ lig und freier, als der magyarische Landtag und beneidenswerther, als Alle, welche mich in die MauSfalle schickten. „Hat der das Glück und wird noch eingesperrt auch!" hörte ich Dich im Geiste sag-w. „Ja," antwortete ich — „wenn ich je so glücklich bin, geliebt zu werden und Kinder zu kriegev so will ich's in späten Jahren Grenzboten 1«is. I. 2!j

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/179
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/179>, abgerufen am 22.07.2024.