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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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bin ich ja nicht allein," dachte ich. -- "Wer mögen sie wohl sein,
die mit mir Eine Logenreihe gemiethet haben?" -- Nach neun Uhr
hörte ich's im Gebäude immer lebhafter werden, es kamen die Be>
amten, es fingen die Verhöre an; Zank, Geschrei, klagende und wild-
trotzige Inquisiten; gegen zwölf Uhr hörte das mälig wieder auf,
Beamte und Gefangene entfernten sich wieder. Endlich meldete sich's
auch an meiner Thüre; mehrere Männerstimmen sprachen draußen,
der Schlüssel fuhr in'ö Schloß, die Thüre ging auf, zwei oder drei
Beamte sprachen von drallsten zu mir herein und wollten Auskunft
haben, wie ich am 26ten früh mit meinem Pasfirfchein Verfahren
sei? Hierauf machten sie sich weiter und mit dem Schlag zwölf Uhr
brachte mir der Soldat in einem zinnernen hochrandigen Geschirre
einen ganzen Teich von schlechter Suppe, darin ein Schnitzchen fettes
Rindfleisch schwamm, dazu einen großen, dreimal durchschnittenen Laib
Brod ohne Messer. Freund... mehrmal zwang mich ein quälender
Hunger, hinzusitzen und anzugreifen; aber ich stand immer wieder
auf, es dennoch bleiben zu lassen... eine wüthende Thräne schoß mir
in's Auge, ich trat endlich hin, hob die Spitalschüssel an beiden Hen-
keln so hoch ich konnte, und wollte sie gegen den Eisenofen schleu¬
dern. -- daß die ihre Armensünderkost fräßen, die sie mir schickten!
Aber ich besann mich noch zu rechter Zeit, ließ das sein und stellte
Alles wieder, wie es zuvor war, unbeschädigt auf den Tisch, setzte
mich endlich gar selbst dazu hin und fing mit einer Haft zu essen
an, deren Andenken mich jetzt noch erschüttert.

Nach dieser Gefängnißstärkung schob ich Brod, Löffel und Geschirr
bei Seite, stemmte meine Arme auf den Tisch und legte meinen Kopf
in die Hände. Ich dachte mit Wehmuth meiner Eltern; die größte
Sorge war, daß ihnen daS Gerücht von meiner Verhaftung früher
böswillig zugetragen werden dürfte, bevor ich freigelassen wäre. Ich
hatte guten Grund, diesen Sorgen Gehör zu geben, im letzten Win¬
ter soll es von ganz abscheulichen Zuträgern gewimmelt haben, welche
man meinen geängstigten Alten in's Haus schickte, um ihnen daS
innerste Herz mit Kummer und Sorge zu erfüllen. Lange saß ich
so und dachte nach; dann ging ich auf lind nieder, bis ich wieder
schwindlig wurde; zuletzt blieb mir Nichts übrig, als mich auf mei¬
nen Strohsack hinzuwerfen. Bis auf die Hände heraus war ich von
Flohbißsternlein besäet; ich konnte den Himmelswagen, den großen


bin ich ja nicht allein," dachte ich. — „Wer mögen sie wohl sein,
die mit mir Eine Logenreihe gemiethet haben?" — Nach neun Uhr
hörte ich's im Gebäude immer lebhafter werden, es kamen die Be>
amten, es fingen die Verhöre an; Zank, Geschrei, klagende und wild-
trotzige Inquisiten; gegen zwölf Uhr hörte das mälig wieder auf,
Beamte und Gefangene entfernten sich wieder. Endlich meldete sich's
auch an meiner Thüre; mehrere Männerstimmen sprachen draußen,
der Schlüssel fuhr in'ö Schloß, die Thüre ging auf, zwei oder drei
Beamte sprachen von drallsten zu mir herein und wollten Auskunft
haben, wie ich am 26ten früh mit meinem Pasfirfchein Verfahren
sei? Hierauf machten sie sich weiter und mit dem Schlag zwölf Uhr
brachte mir der Soldat in einem zinnernen hochrandigen Geschirre
einen ganzen Teich von schlechter Suppe, darin ein Schnitzchen fettes
Rindfleisch schwamm, dazu einen großen, dreimal durchschnittenen Laib
Brod ohne Messer. Freund... mehrmal zwang mich ein quälender
Hunger, hinzusitzen und anzugreifen; aber ich stand immer wieder
auf, es dennoch bleiben zu lassen... eine wüthende Thräne schoß mir
in's Auge, ich trat endlich hin, hob die Spitalschüssel an beiden Hen-
keln so hoch ich konnte, und wollte sie gegen den Eisenofen schleu¬
dern. — daß die ihre Armensünderkost fräßen, die sie mir schickten!
Aber ich besann mich noch zu rechter Zeit, ließ das sein und stellte
Alles wieder, wie es zuvor war, unbeschädigt auf den Tisch, setzte
mich endlich gar selbst dazu hin und fing mit einer Haft zu essen
an, deren Andenken mich jetzt noch erschüttert.

Nach dieser Gefängnißstärkung schob ich Brod, Löffel und Geschirr
bei Seite, stemmte meine Arme auf den Tisch und legte meinen Kopf
in die Hände. Ich dachte mit Wehmuth meiner Eltern; die größte
Sorge war, daß ihnen daS Gerücht von meiner Verhaftung früher
böswillig zugetragen werden dürfte, bevor ich freigelassen wäre. Ich
hatte guten Grund, diesen Sorgen Gehör zu geben, im letzten Win¬
ter soll es von ganz abscheulichen Zuträgern gewimmelt haben, welche
man meinen geängstigten Alten in's Haus schickte, um ihnen daS
innerste Herz mit Kummer und Sorge zu erfüllen. Lange saß ich
so und dachte nach; dann ging ich auf lind nieder, bis ich wieder
schwindlig wurde; zuletzt blieb mir Nichts übrig, als mich auf mei¬
nen Strohsack hinzuwerfen. Bis auf die Hände heraus war ich von
Flohbißsternlein besäet; ich konnte den Himmelswagen, den großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/178>, abgerufen am 22.07.2024.