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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Soldaten, nachdem der letztere eben so lärmend das Schloß der Thüre
abgesperrt hatte. Gleich darauf ward es ganz stille um mich, nicht
eine Fliege summte. In der Zelle mit starkvergitterten Fenstern stand
ein Bettgestelle mit Strohsack, Leintuch und Kotze zum Zudecken;
daneben ein schlechtvcrwahrtcr Leibstuhl, ein alter Holzsessel und ein
ähnlicher Tisch... Ich stand lange mitten in der dumpfigen Zelle
da, nach der Thüre gekehrt und meinte zu träumen! Freund, Freund,
doch Nichts davon! Gleichviel, was ich dachte, empfand, beschloß...
Ich erwartete, daß man kommen werde, um mir ein Licht zu brin¬
gen -- man brachte mir keines. Dann wartete ich, daß man kom¬
men werde, um mich zu fragen, ob ich hungrig sei und zu essen
wünsche? Ich hatte meines Freundes wegen in Leitmeritz mein Mit¬
tagmahl versäumt und fühlte lebhaften Hunger -- aber es blieb
todtenstille im ganzen Hause und Niemand kam, mich um meinen
Hunger zu fragen. ES wurde finster; das Auf- und Abgehen hatte
mich schwindlig gemacht; da suchte ich mein Bett. Langsam entklei¬
dete ich mich und schloß das Fenster, denn es wollte kühl werden;
von der Färberinsel klang noch vernehmbar Orchestermusik herüber...
Sehr abgespannt entschlief ich erst spät, sehr spät... Plötzlicher Feuer¬
lärm kann den Menschen nicht so unbeschreiblich erschütternd aus dem
Schlafe aufschrecken, als das krasse Schlüssclklirren von einer Ker¬
kerthüre; der schonungslose Soldatenbengel fuhr des Morgens wie
ein Rasender in das Schloß meiner Zellenthüre und schreckte mich
heftig aus einem tiefen Schlafe. Bevor ich noch die Augen geöffnet
hatte, war er schon mit lärmenden Schritten bis an mein Bett ge¬
treten und fragte mich, ob ich was essen wolle? Meine Seele war
wie an tausend Stellen verwundet; die Pöbelhaftigkeit eines solchen
Morgenbesuchcs empörte mich -- ich wollte den Menschen aus der
Zelle haben -- "Nein!" rief ich heftig -- Geduld, Hunger, Durst,
aber auch Schlaf war beim... ich mußte schon aufstehen, weil es
mit ruhigem Daliegen Nichts mehr heißen wollte. AIS ich an'ö Fen¬
ster trat, um zu sehen, welche Aussicht ich da genieße, mußte ich un¬
willkürlich wieder einige Schritte zurücktreten. Seitwärts im Hofraume,
im selben ersten Stock, wo meine Zelle war, sah ich wildblickende
Gefangene ihre Gesichter an die starken Gitter stecken und neugierig
nach mir herüberschauen z die dunkel fleischigen Arme hatten sie her-
allsgestreckt und so von außen an die Gitterstäbe geklammert. "Da


Soldaten, nachdem der letztere eben so lärmend das Schloß der Thüre
abgesperrt hatte. Gleich darauf ward es ganz stille um mich, nicht
eine Fliege summte. In der Zelle mit starkvergitterten Fenstern stand
ein Bettgestelle mit Strohsack, Leintuch und Kotze zum Zudecken;
daneben ein schlechtvcrwahrtcr Leibstuhl, ein alter Holzsessel und ein
ähnlicher Tisch... Ich stand lange mitten in der dumpfigen Zelle
da, nach der Thüre gekehrt und meinte zu träumen! Freund, Freund,
doch Nichts davon! Gleichviel, was ich dachte, empfand, beschloß...
Ich erwartete, daß man kommen werde, um mir ein Licht zu brin¬
gen — man brachte mir keines. Dann wartete ich, daß man kom¬
men werde, um mich zu fragen, ob ich hungrig sei und zu essen
wünsche? Ich hatte meines Freundes wegen in Leitmeritz mein Mit¬
tagmahl versäumt und fühlte lebhaften Hunger — aber es blieb
todtenstille im ganzen Hause und Niemand kam, mich um meinen
Hunger zu fragen. ES wurde finster; das Auf- und Abgehen hatte
mich schwindlig gemacht; da suchte ich mein Bett. Langsam entklei¬
dete ich mich und schloß das Fenster, denn es wollte kühl werden;
von der Färberinsel klang noch vernehmbar Orchestermusik herüber...
Sehr abgespannt entschlief ich erst spät, sehr spät... Plötzlicher Feuer¬
lärm kann den Menschen nicht so unbeschreiblich erschütternd aus dem
Schlafe aufschrecken, als das krasse Schlüssclklirren von einer Ker¬
kerthüre; der schonungslose Soldatenbengel fuhr des Morgens wie
ein Rasender in das Schloß meiner Zellenthüre und schreckte mich
heftig aus einem tiefen Schlafe. Bevor ich noch die Augen geöffnet
hatte, war er schon mit lärmenden Schritten bis an mein Bett ge¬
treten und fragte mich, ob ich was essen wolle? Meine Seele war
wie an tausend Stellen verwundet; die Pöbelhaftigkeit eines solchen
Morgenbesuchcs empörte mich — ich wollte den Menschen aus der
Zelle haben — „Nein!" rief ich heftig — Geduld, Hunger, Durst,
aber auch Schlaf war beim... ich mußte schon aufstehen, weil es
mit ruhigem Daliegen Nichts mehr heißen wollte. AIS ich an'ö Fen¬
ster trat, um zu sehen, welche Aussicht ich da genieße, mußte ich un¬
willkürlich wieder einige Schritte zurücktreten. Seitwärts im Hofraume,
im selben ersten Stock, wo meine Zelle war, sah ich wildblickende
Gefangene ihre Gesichter an die starken Gitter stecken und neugierig
nach mir herüberschauen z die dunkel fleischigen Arme hatten sie her-
allsgestreckt und so von außen an die Gitterstäbe geklammert. „Da


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[0177] Soldaten, nachdem der letztere eben so lärmend das Schloß der Thüre abgesperrt hatte. Gleich darauf ward es ganz stille um mich, nicht eine Fliege summte. In der Zelle mit starkvergitterten Fenstern stand ein Bettgestelle mit Strohsack, Leintuch und Kotze zum Zudecken; daneben ein schlechtvcrwahrtcr Leibstuhl, ein alter Holzsessel und ein ähnlicher Tisch... Ich stand lange mitten in der dumpfigen Zelle da, nach der Thüre gekehrt und meinte zu träumen! Freund, Freund, doch Nichts davon! Gleichviel, was ich dachte, empfand, beschloß... Ich erwartete, daß man kommen werde, um mir ein Licht zu brin¬ gen — man brachte mir keines. Dann wartete ich, daß man kom¬ men werde, um mich zu fragen, ob ich hungrig sei und zu essen wünsche? Ich hatte meines Freundes wegen in Leitmeritz mein Mit¬ tagmahl versäumt und fühlte lebhaften Hunger — aber es blieb todtenstille im ganzen Hause und Niemand kam, mich um meinen Hunger zu fragen. ES wurde finster; das Auf- und Abgehen hatte mich schwindlig gemacht; da suchte ich mein Bett. Langsam entklei¬ dete ich mich und schloß das Fenster, denn es wollte kühl werden; von der Färberinsel klang noch vernehmbar Orchestermusik herüber... Sehr abgespannt entschlief ich erst spät, sehr spät... Plötzlicher Feuer¬ lärm kann den Menschen nicht so unbeschreiblich erschütternd aus dem Schlafe aufschrecken, als das krasse Schlüssclklirren von einer Ker¬ kerthüre; der schonungslose Soldatenbengel fuhr des Morgens wie ein Rasender in das Schloß meiner Zellenthüre und schreckte mich heftig aus einem tiefen Schlafe. Bevor ich noch die Augen geöffnet hatte, war er schon mit lärmenden Schritten bis an mein Bett ge¬ treten und fragte mich, ob ich was essen wolle? Meine Seele war wie an tausend Stellen verwundet; die Pöbelhaftigkeit eines solchen Morgenbesuchcs empörte mich — ich wollte den Menschen aus der Zelle haben — „Nein!" rief ich heftig — Geduld, Hunger, Durst, aber auch Schlaf war beim... ich mußte schon aufstehen, weil es mit ruhigem Daliegen Nichts mehr heißen wollte. AIS ich an'ö Fen¬ ster trat, um zu sehen, welche Aussicht ich da genieße, mußte ich un¬ willkürlich wieder einige Schritte zurücktreten. Seitwärts im Hofraume, im selben ersten Stock, wo meine Zelle war, sah ich wildblickende Gefangene ihre Gesichter an die starken Gitter stecken und neugierig nach mir herüberschauen z die dunkel fleischigen Arme hatten sie her- allsgestreckt und so von außen an die Gitterstäbe geklammert. „Da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/177>, abgerufen am 22.07.2024.