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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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genblick anzuhalten, bis mir der Zimmerkellner ein Numero zur künf¬
tigen Wohnung angewiesen hätte; zugleich ließ ich meinen Neise-
überrock nach dem angewiesenen Zimmer tragen und verabschiedete
das alte Mütterlein. Nun ging der Marsch weiter, in Begleitung
von etwas weniger Pöbel durch die ganze Altstadt, durch die beleb¬
testen Gassen. Je näher wir der Stadthauptmannschast kamen, desto
weicher sprach der Polizeimann; er meinte, wenn ich wollte, konnte
ich ihm einen großen Dienst erweisen; ich dürfte vor dem Stadt¬
hauptmanne nur aussagen, daß ich wirklich am 26ten früh zu Fuß
durch das Thor passirt sei, -- so wäre ihm sein Posten gerettet. Ein
Handwerkergesell rief, als wir an ihm vorübergingen, ganz laut einem
entfernten Kameraden zu: "Du, Schorsch! Schau, dort haben sie
wieder Ein'n in da Krips (in den Krallen)! Das sein Viecher!!!"
Der Sradthaupimann saß noch in seinem Bureau, als ich vor ihn
geführt wurde. Es war schon ziemlich dunkel. "Schon in Unter¬
suchung gewesen?" rief er mich an. -- "Nein," -- erwiederte ich.
Pause; er beschnitt schweigend mit einer Scheere Papier; ich ging
auf und nieder. Ein Commissär, der seitwärts stand und dessen
freundlich theilnehmendes Gesicht mir schon beim Eintreten angenehm
auffiel, ging jetzt hinaus und ich horte ihn mit dem Polizeimanne
sprechen, der mich hergebracht hatte. ES klirrten Schlüssel draußen.
Der Commissär trat wieder herein. -- "Wo hat er seine Sachen?"
rief ihm kurzweg der Stadthauptmann entgegen, indem er auf mich
zeigte. Statt den Commissär antworten zu lassen, sagte ich mit eini¬
ger Heftigkeit: "Ich habe mir im Engel ein Zimmer geben lassen,
dort ist mein Reiserock -- das Einzige, was ich bei mir führe." --
"Was? Sie werden doch sonst was haben?" -- "Nichts weiter." --
Jetzt gab der Stadthauptmann einen Wink und der Commissär nä¬
herte sich mir. "Ich bitte, mir zu folgen," sagte er hulfe mit Theil¬
nahme. Als wir draußen standen, fuhr er fort: "Ich habe zum
Engel schicken lassen, man wird Ihnen Ihren Rock hierher bringen;
Sie werden diese Nacht im Hause bleiben müssen." -- Ich stand
einen Augenblick wie angewurzelt; heiß und kalt lief eS mir durch
olle Glieder, alles Blut schoß mir in's Herz zusammen. Ich erwie¬
derte Nichts. Die um mich standen, konnten Nichts dafür, daß ich
eine solche Behandlung erleiden mußte; darum kämpfte ich den
ersten Wuthansall nieder, ließ weder ein Wort des Unmuths noch


genblick anzuhalten, bis mir der Zimmerkellner ein Numero zur künf¬
tigen Wohnung angewiesen hätte; zugleich ließ ich meinen Neise-
überrock nach dem angewiesenen Zimmer tragen und verabschiedete
das alte Mütterlein. Nun ging der Marsch weiter, in Begleitung
von etwas weniger Pöbel durch die ganze Altstadt, durch die beleb¬
testen Gassen. Je näher wir der Stadthauptmannschast kamen, desto
weicher sprach der Polizeimann; er meinte, wenn ich wollte, konnte
ich ihm einen großen Dienst erweisen; ich dürfte vor dem Stadt¬
hauptmanne nur aussagen, daß ich wirklich am 26ten früh zu Fuß
durch das Thor passirt sei, — so wäre ihm sein Posten gerettet. Ein
Handwerkergesell rief, als wir an ihm vorübergingen, ganz laut einem
entfernten Kameraden zu: „Du, Schorsch! Schau, dort haben sie
wieder Ein'n in da Krips (in den Krallen)! Das sein Viecher!!!"
Der Sradthaupimann saß noch in seinem Bureau, als ich vor ihn
geführt wurde. Es war schon ziemlich dunkel. „Schon in Unter¬
suchung gewesen?" rief er mich an. — „Nein," — erwiederte ich.
Pause; er beschnitt schweigend mit einer Scheere Papier; ich ging
auf und nieder. Ein Commissär, der seitwärts stand und dessen
freundlich theilnehmendes Gesicht mir schon beim Eintreten angenehm
auffiel, ging jetzt hinaus und ich horte ihn mit dem Polizeimanne
sprechen, der mich hergebracht hatte. ES klirrten Schlüssel draußen.
Der Commissär trat wieder herein. — „Wo hat er seine Sachen?"
rief ihm kurzweg der Stadthauptmann entgegen, indem er auf mich
zeigte. Statt den Commissär antworten zu lassen, sagte ich mit eini¬
ger Heftigkeit: „Ich habe mir im Engel ein Zimmer geben lassen,
dort ist mein Reiserock — das Einzige, was ich bei mir führe." —
„Was? Sie werden doch sonst was haben?" — „Nichts weiter." —
Jetzt gab der Stadthauptmann einen Wink und der Commissär nä¬
herte sich mir. „Ich bitte, mir zu folgen," sagte er hulfe mit Theil¬
nahme. Als wir draußen standen, fuhr er fort: „Ich habe zum
Engel schicken lassen, man wird Ihnen Ihren Rock hierher bringen;
Sie werden diese Nacht im Hause bleiben müssen." — Ich stand
einen Augenblick wie angewurzelt; heiß und kalt lief eS mir durch
olle Glieder, alles Blut schoß mir in's Herz zusammen. Ich erwie¬
derte Nichts. Die um mich standen, konnten Nichts dafür, daß ich
eine solche Behandlung erleiden mußte; darum kämpfte ich den
ersten Wuthansall nieder, ließ weder ein Wort des Unmuths noch


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[0175] genblick anzuhalten, bis mir der Zimmerkellner ein Numero zur künf¬ tigen Wohnung angewiesen hätte; zugleich ließ ich meinen Neise- überrock nach dem angewiesenen Zimmer tragen und verabschiedete das alte Mütterlein. Nun ging der Marsch weiter, in Begleitung von etwas weniger Pöbel durch die ganze Altstadt, durch die beleb¬ testen Gassen. Je näher wir der Stadthauptmannschast kamen, desto weicher sprach der Polizeimann; er meinte, wenn ich wollte, konnte ich ihm einen großen Dienst erweisen; ich dürfte vor dem Stadt¬ hauptmanne nur aussagen, daß ich wirklich am 26ten früh zu Fuß durch das Thor passirt sei, — so wäre ihm sein Posten gerettet. Ein Handwerkergesell rief, als wir an ihm vorübergingen, ganz laut einem entfernten Kameraden zu: „Du, Schorsch! Schau, dort haben sie wieder Ein'n in da Krips (in den Krallen)! Das sein Viecher!!!" Der Sradthaupimann saß noch in seinem Bureau, als ich vor ihn geführt wurde. Es war schon ziemlich dunkel. „Schon in Unter¬ suchung gewesen?" rief er mich an. — „Nein," — erwiederte ich. Pause; er beschnitt schweigend mit einer Scheere Papier; ich ging auf und nieder. Ein Commissär, der seitwärts stand und dessen freundlich theilnehmendes Gesicht mir schon beim Eintreten angenehm auffiel, ging jetzt hinaus und ich horte ihn mit dem Polizeimanne sprechen, der mich hergebracht hatte. ES klirrten Schlüssel draußen. Der Commissär trat wieder herein. — „Wo hat er seine Sachen?" rief ihm kurzweg der Stadthauptmann entgegen, indem er auf mich zeigte. Statt den Commissär antworten zu lassen, sagte ich mit eini¬ ger Heftigkeit: „Ich habe mir im Engel ein Zimmer geben lassen, dort ist mein Reiserock — das Einzige, was ich bei mir führe." — „Was? Sie werden doch sonst was haben?" — „Nichts weiter." — Jetzt gab der Stadthauptmann einen Wink und der Commissär nä¬ herte sich mir. „Ich bitte, mir zu folgen," sagte er hulfe mit Theil¬ nahme. Als wir draußen standen, fuhr er fort: „Ich habe zum Engel schicken lassen, man wird Ihnen Ihren Rock hierher bringen; Sie werden diese Nacht im Hause bleiben müssen." — Ich stand einen Augenblick wie angewurzelt; heiß und kalt lief eS mir durch olle Glieder, alles Blut schoß mir in's Herz zusammen. Ich erwie¬ derte Nichts. Die um mich standen, konnten Nichts dafür, daß ich eine solche Behandlung erleiden mußte; darum kämpfte ich den ersten Wuthansall nieder, ließ weder ein Wort des Unmuths noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/175>, abgerufen am 22.07.2024.