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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Der Polizeimann fiel nun zwar ohne Rohheit, aber heftig mit Vor¬
würfen über mich her: wie ich mich habe unterfangen können, ohne
den Passagierschein durch das Thor zu wandern und draußen erst
aufzusitzen. Ich ließ den Mann reden, bis er satt hatte, dann er¬
wiederte ich ihm ruhig, daß er geradezu eine Lüge sage. Ein zwei¬
ter Polizeimann unterstützte die Behauptung seines Obern und der
lebhafte DiScurs beider wollte nicht enden. "Lassen Sie uns die
Sache nicht hier ausmachen," sagte ich endlich, nachdem ich beiden
wiederholt erklärt hatte, wie ich ganz zuverlässig den Passirschem ab¬
gegeben und ausdrücklich bemerkt habe, daß mein Freund zurückge¬
blieben sei... "Sie wissen gar nicht, was Sie mir da angerichtet
haben," rief zuletzt der Eine, -- "Sie werden mich um meinen Po¬
sten bringen!" -- "Dann müssen Sie freilich zusehen, wie Sie zu
einem andern kommen," erwiederte ich, -- "aber waS soll's? Was
haben Sie mir sonst noch zu sagen?" fügte ich hinzu.--"Sie müssen
mit mir auf die Stadthauptmannschaft und das sogleich." -- Ich
rief ein altes Mütterlein nach der Wachtstube und ersuchte es, mir
meinen Rock nachzutragen; dasselbe willigte gegen eine kleine Gabe
sehr gerne ein. So machten wir uns reisefertig; ich mußte wie
Einer, den man eben auf frischer Schelmthal ertappt hat, neben dem
uniformirten Polizeimanne hergehen und wurde also im wahren
vollen Sinne -- eingeführt. Das viele müßig gaffende Sonn¬
tagsvolk in den Gassen drängte sich bis zum Pulverthuriüe ter Alt¬
stadt zahlreich um uns her und mochte seine bunten Gedanken haben,
wer es wohl sein mag, den man eben einführe? und was der
kleine Schwarzfrack wohl angestellt haben möge? Ein plötzlicher Tu¬
mult am Pulverlhurme befreite uns bald von der gaffenden Menge;
aber statt vorwärts zu eilen, schritt der Polizeimann von mir weg
unter die tumultuarische Pöbelschaar hinein, laut gebietend "Platz!
Ruhe!" -- Es zankte sich eben ein Mann mit einem Weibe, indem
jedes von beiden sich berechtigt hielt, einen Reisekoffer nach einem
Gasthofe zu tragen. Der Polizeimann gab dem armen Weibe recht,
(was mir an ihm sehr gefiel), dann kam er zurück zu mir und mei¬
ner Trägerin und meinte, jetzt könnten wir schon wieder vorwärts
gehen. Das Alles ließ ich mir noch geduldig gefallen; ich scheide
stets die Menschen nach Handwerk und Humanität. Vor dem Gasthof
"zum goldenen Engel" ersuchte ich mein Polizeicommando, einen An-


Der Polizeimann fiel nun zwar ohne Rohheit, aber heftig mit Vor¬
würfen über mich her: wie ich mich habe unterfangen können, ohne
den Passagierschein durch das Thor zu wandern und draußen erst
aufzusitzen. Ich ließ den Mann reden, bis er satt hatte, dann er¬
wiederte ich ihm ruhig, daß er geradezu eine Lüge sage. Ein zwei¬
ter Polizeimann unterstützte die Behauptung seines Obern und der
lebhafte DiScurs beider wollte nicht enden. „Lassen Sie uns die
Sache nicht hier ausmachen," sagte ich endlich, nachdem ich beiden
wiederholt erklärt hatte, wie ich ganz zuverlässig den Passirschem ab¬
gegeben und ausdrücklich bemerkt habe, daß mein Freund zurückge¬
blieben sei... „Sie wissen gar nicht, was Sie mir da angerichtet
haben," rief zuletzt der Eine, — „Sie werden mich um meinen Po¬
sten bringen!" — „Dann müssen Sie freilich zusehen, wie Sie zu
einem andern kommen," erwiederte ich, — „aber waS soll's? Was
haben Sie mir sonst noch zu sagen?" fügte ich hinzu.—„Sie müssen
mit mir auf die Stadthauptmannschaft und das sogleich." — Ich
rief ein altes Mütterlein nach der Wachtstube und ersuchte es, mir
meinen Rock nachzutragen; dasselbe willigte gegen eine kleine Gabe
sehr gerne ein. So machten wir uns reisefertig; ich mußte wie
Einer, den man eben auf frischer Schelmthal ertappt hat, neben dem
uniformirten Polizeimanne hergehen und wurde also im wahren
vollen Sinne — eingeführt. Das viele müßig gaffende Sonn¬
tagsvolk in den Gassen drängte sich bis zum Pulverthuriüe ter Alt¬
stadt zahlreich um uns her und mochte seine bunten Gedanken haben,
wer es wohl sein mag, den man eben einführe? und was der
kleine Schwarzfrack wohl angestellt haben möge? Ein plötzlicher Tu¬
mult am Pulverlhurme befreite uns bald von der gaffenden Menge;
aber statt vorwärts zu eilen, schritt der Polizeimann von mir weg
unter die tumultuarische Pöbelschaar hinein, laut gebietend „Platz!
Ruhe!" — Es zankte sich eben ein Mann mit einem Weibe, indem
jedes von beiden sich berechtigt hielt, einen Reisekoffer nach einem
Gasthofe zu tragen. Der Polizeimann gab dem armen Weibe recht,
(was mir an ihm sehr gefiel), dann kam er zurück zu mir und mei¬
ner Trägerin und meinte, jetzt könnten wir schon wieder vorwärts
gehen. Das Alles ließ ich mir noch geduldig gefallen; ich scheide
stets die Menschen nach Handwerk und Humanität. Vor dem Gasthof
„zum goldenen Engel" ersuchte ich mein Polizeicommando, einen An-


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[0174] Der Polizeimann fiel nun zwar ohne Rohheit, aber heftig mit Vor¬ würfen über mich her: wie ich mich habe unterfangen können, ohne den Passagierschein durch das Thor zu wandern und draußen erst aufzusitzen. Ich ließ den Mann reden, bis er satt hatte, dann er¬ wiederte ich ihm ruhig, daß er geradezu eine Lüge sage. Ein zwei¬ ter Polizeimann unterstützte die Behauptung seines Obern und der lebhafte DiScurs beider wollte nicht enden. „Lassen Sie uns die Sache nicht hier ausmachen," sagte ich endlich, nachdem ich beiden wiederholt erklärt hatte, wie ich ganz zuverlässig den Passirschem ab¬ gegeben und ausdrücklich bemerkt habe, daß mein Freund zurückge¬ blieben sei... „Sie wissen gar nicht, was Sie mir da angerichtet haben," rief zuletzt der Eine, — „Sie werden mich um meinen Po¬ sten bringen!" — „Dann müssen Sie freilich zusehen, wie Sie zu einem andern kommen," erwiederte ich, — „aber waS soll's? Was haben Sie mir sonst noch zu sagen?" fügte ich hinzu.—„Sie müssen mit mir auf die Stadthauptmannschaft und das sogleich." — Ich rief ein altes Mütterlein nach der Wachtstube und ersuchte es, mir meinen Rock nachzutragen; dasselbe willigte gegen eine kleine Gabe sehr gerne ein. So machten wir uns reisefertig; ich mußte wie Einer, den man eben auf frischer Schelmthal ertappt hat, neben dem uniformirten Polizeimanne hergehen und wurde also im wahren vollen Sinne — eingeführt. Das viele müßig gaffende Sonn¬ tagsvolk in den Gassen drängte sich bis zum Pulverthuriüe ter Alt¬ stadt zahlreich um uns her und mochte seine bunten Gedanken haben, wer es wohl sein mag, den man eben einführe? und was der kleine Schwarzfrack wohl angestellt haben möge? Ein plötzlicher Tu¬ mult am Pulverlhurme befreite uns bald von der gaffenden Menge; aber statt vorwärts zu eilen, schritt der Polizeimann von mir weg unter die tumultuarische Pöbelschaar hinein, laut gebietend „Platz! Ruhe!" — Es zankte sich eben ein Mann mit einem Weibe, indem jedes von beiden sich berechtigt hielt, einen Reisekoffer nach einem Gasthofe zu tragen. Der Polizeimann gab dem armen Weibe recht, (was mir an ihm sehr gefiel), dann kam er zurück zu mir und mei¬ ner Trägerin und meinte, jetzt könnten wir schon wieder vorwärts gehen. Das Alles ließ ich mir noch geduldig gefallen; ich scheide stets die Menschen nach Handwerk und Humanität. Vor dem Gasthof „zum goldenen Engel" ersuchte ich mein Polizeicommando, einen An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/174>, abgerufen am 22.07.2024.