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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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zu lassen. Was ich mir in Prag drohen sah, das war mir das
Unbedeutendste, kaum Erwähnungswerthe an der Sache, und eben
darin lag mir das Bittere, das Verstimmende. Da werde ich, sobald
ich angekommen bin, in einem Gasthofe absteigen, dachte ich, werde
mich melden -- hier bin ich; was soll's? - werde meine unverho-
lene Meinung hinsagen und also abwarten, was man zwischen vier
Wänden ausmachen wird. Das Schmerzlichste war mir nur, daß
ich meine Reise auf einmal hoffnungslos zunichte werden sah, daß
ich mein von süßen Erwartungen und Entwürfen noch gespanntes
Gemüth zu einer alltäglichen Nothwendigkeit znrücklockern sollte, daß
ich um und für Nichts Geld ausgegeben hatte und daß ich,
was mir das Allerschmerzlichste war, weder Dich, mein un¬
schätzbarer Alter, noch alle Jene sehen, grüßen und umarmen sollte,
welche sich meine Neigung so warm und freudig auserwählt hatte.
Das war vorauszusehen, wenn auch meine Angelegenheit nur drei
Stunden in Prag zu schaffen machte, -- jetzt war an eine Reise
ohne vvllgiltigen Ncgierungspaß nicht mehr zu denken, und diesen
binnen einigen Tagen zu erhalten, ist, wie Du ja weißt, bei uns
eine traurige Unmöglichkeit! Ging mir zu viel Zeit und Geld ver¬
loren, so blieb Nichts übrig, als schnell entschlossen nach Wien zu¬
rückzueilen und mich aus schmerzlicher Nothwendigkeit und bei Zei¬
ten da einzuwintern. -- Als ich Mittags eben bei Tische saß, sagte
mir der Kellner leise in's Ohr, es sei ein Mann, der mich sprechen
wolle, draußen. Derselbe hagere Mann, der mich Morgens zum
Kurcommissär beschicken hatte, brachte mir die Marschroute. Sie
war mit militärisch unhöflicher Präcision verfaßt: "derselbe hat sich
binnen vierundzuanzig Stunden aus Teplitz zu entfernen und auf
dem kürzesten Wege nach Prag..., widügenfalls er sich die Folgen
u. f. w." -- Auf meinem Zimmer schlug ich die letzten Stürme mei¬
nes Unmuths vor der Hand glücklich ab und ließ mir das malige
Aufheitern meines Gemüthes gern gefallen, welches sich von nun an
mehr und mehr einstellte. Den ganzen Nachmittag war ich auf den
Füßen, bis mich gegen Abend ein dichter Nebel und endlich Regen
in meinen Gasthof zurücktrieb. In ganz Teplitz wußte ich keine be¬
kannte Seele, mit der ich die endlos langen Stunden hätte verplau¬
dern können, ich besaß kein Buch, um mich durch Lectüre zu zerstreuen;
und allerlei zu notiren, was ich später hätte bei mir führen sollen,


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zu lassen. Was ich mir in Prag drohen sah, das war mir das
Unbedeutendste, kaum Erwähnungswerthe an der Sache, und eben
darin lag mir das Bittere, das Verstimmende. Da werde ich, sobald
ich angekommen bin, in einem Gasthofe absteigen, dachte ich, werde
mich melden — hier bin ich; was soll's? - werde meine unverho-
lene Meinung hinsagen und also abwarten, was man zwischen vier
Wänden ausmachen wird. Das Schmerzlichste war mir nur, daß
ich meine Reise auf einmal hoffnungslos zunichte werden sah, daß
ich mein von süßen Erwartungen und Entwürfen noch gespanntes
Gemüth zu einer alltäglichen Nothwendigkeit znrücklockern sollte, daß
ich um und für Nichts Geld ausgegeben hatte und daß ich,
was mir das Allerschmerzlichste war, weder Dich, mein un¬
schätzbarer Alter, noch alle Jene sehen, grüßen und umarmen sollte,
welche sich meine Neigung so warm und freudig auserwählt hatte.
Das war vorauszusehen, wenn auch meine Angelegenheit nur drei
Stunden in Prag zu schaffen machte, — jetzt war an eine Reise
ohne vvllgiltigen Ncgierungspaß nicht mehr zu denken, und diesen
binnen einigen Tagen zu erhalten, ist, wie Du ja weißt, bei uns
eine traurige Unmöglichkeit! Ging mir zu viel Zeit und Geld ver¬
loren, so blieb Nichts übrig, als schnell entschlossen nach Wien zu¬
rückzueilen und mich aus schmerzlicher Nothwendigkeit und bei Zei¬
ten da einzuwintern. — Als ich Mittags eben bei Tische saß, sagte
mir der Kellner leise in's Ohr, es sei ein Mann, der mich sprechen
wolle, draußen. Derselbe hagere Mann, der mich Morgens zum
Kurcommissär beschicken hatte, brachte mir die Marschroute. Sie
war mit militärisch unhöflicher Präcision verfaßt: „derselbe hat sich
binnen vierundzuanzig Stunden aus Teplitz zu entfernen und auf
dem kürzesten Wege nach Prag..., widügenfalls er sich die Folgen
u. f. w." — Auf meinem Zimmer schlug ich die letzten Stürme mei¬
nes Unmuths vor der Hand glücklich ab und ließ mir das malige
Aufheitern meines Gemüthes gern gefallen, welches sich von nun an
mehr und mehr einstellte. Den ganzen Nachmittag war ich auf den
Füßen, bis mich gegen Abend ein dichter Nebel und endlich Regen
in meinen Gasthof zurücktrieb. In ganz Teplitz wußte ich keine be¬
kannte Seele, mit der ich die endlos langen Stunden hätte verplau¬
dern können, ich besaß kein Buch, um mich durch Lectüre zu zerstreuen;
und allerlei zu notiren, was ich später hätte bei mir führen sollen,


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[0171] zu lassen. Was ich mir in Prag drohen sah, das war mir das Unbedeutendste, kaum Erwähnungswerthe an der Sache, und eben darin lag mir das Bittere, das Verstimmende. Da werde ich, sobald ich angekommen bin, in einem Gasthofe absteigen, dachte ich, werde mich melden — hier bin ich; was soll's? - werde meine unverho- lene Meinung hinsagen und also abwarten, was man zwischen vier Wänden ausmachen wird. Das Schmerzlichste war mir nur, daß ich meine Reise auf einmal hoffnungslos zunichte werden sah, daß ich mein von süßen Erwartungen und Entwürfen noch gespanntes Gemüth zu einer alltäglichen Nothwendigkeit znrücklockern sollte, daß ich um und für Nichts Geld ausgegeben hatte und daß ich, was mir das Allerschmerzlichste war, weder Dich, mein un¬ schätzbarer Alter, noch alle Jene sehen, grüßen und umarmen sollte, welche sich meine Neigung so warm und freudig auserwählt hatte. Das war vorauszusehen, wenn auch meine Angelegenheit nur drei Stunden in Prag zu schaffen machte, — jetzt war an eine Reise ohne vvllgiltigen Ncgierungspaß nicht mehr zu denken, und diesen binnen einigen Tagen zu erhalten, ist, wie Du ja weißt, bei uns eine traurige Unmöglichkeit! Ging mir zu viel Zeit und Geld ver¬ loren, so blieb Nichts übrig, als schnell entschlossen nach Wien zu¬ rückzueilen und mich aus schmerzlicher Nothwendigkeit und bei Zei¬ ten da einzuwintern. — Als ich Mittags eben bei Tische saß, sagte mir der Kellner leise in's Ohr, es sei ein Mann, der mich sprechen wolle, draußen. Derselbe hagere Mann, der mich Morgens zum Kurcommissär beschicken hatte, brachte mir die Marschroute. Sie war mit militärisch unhöflicher Präcision verfaßt: „derselbe hat sich binnen vierundzuanzig Stunden aus Teplitz zu entfernen und auf dem kürzesten Wege nach Prag..., widügenfalls er sich die Folgen u. f. w." — Auf meinem Zimmer schlug ich die letzten Stürme mei¬ nes Unmuths vor der Hand glücklich ab und ließ mir das malige Aufheitern meines Gemüthes gern gefallen, welches sich von nun an mehr und mehr einstellte. Den ganzen Nachmittag war ich auf den Füßen, bis mich gegen Abend ein dichter Nebel und endlich Regen in meinen Gasthof zurücktrieb. In ganz Teplitz wußte ich keine be¬ kannte Seele, mit der ich die endlos langen Stunden hätte verplau¬ dern können, ich besaß kein Buch, um mich durch Lectüre zu zerstreuen; und allerlei zu notiren, was ich später hätte bei mir führen sollen, Grc»zi»ita 18/.Z, i. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/171>, abgerufen am 22.07.2024.