Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

zurück, der bei aller Beleibtheit sehr pfiffig aussah; diesem mußte ich
dieselbe Frage wieder vorlegen, denn der Hausknecht hatte Nichts ge¬
than, als ihm gewinkt und mit dem Finger auf mich gewiesen, dann
setzte er sich nieder, sowie er aufgestanden war, und putzte ruhig sein
Noßgeschirr weiter. Aber mit dem beleibten Herrn hatte ich mir
einen unerschöpflichen Plauderer auf den Hals gezügelt; ich glaube,
seine Neugierde würde mich am Ende um alle Geheimnisse gebracht
und mein ganzes Wesen durch Fragen zerfasert haben. Ich hätte
nicht sagen können, was ihn mehr ausgezeichnet, Neugierde oder Arg¬
wohn. ES war ihm rein unbegreiflich, wie ich ganz Teplitz Passiren, >
all die Tafeln mit Fahranträgen übersehen konnte, da doch fast jedes
Haus mit Tafeln, Zetteln behängen, ja manches mit Kreide beschrie¬
ben sei, einladend, daß man sich befördern lassen solle. DaS ging
athemlos so fort, dann sprang er auf meine Absicht über, wollte
wissen, wie und warum und wie so... und daß man am Ende
gar Fatalitäten haben könnte... (ich bitte Dich!) Er hätte
freilich ein nettes Wägelchen... aber eS gebe allerlei Men¬
schen!" -- Mir wurde heiß vom Haupthaar bis zu den Zehen.
Mich für einen verdächtige!? Menschen ansehen lassen! Etwa für
einen Spieler, Gauner, Dieb, der sehen muß, wie er weiter käme!
Mich von der Seite anblinzelt lassen, -- ob es wohl richtig sei mit
meinem hübschen Nock, - ob ich wohl auch eine Taschenuhr habe,
die sich konnte leicht und schwer erwerben lassen, -- o in den
Badeorten, da sind gar viele nette Menschen des Teufels.!. Freund,
gerad heraus -- das heilte meinen Wahnsinn, der von einer Flucht
fantasirte. Warum fliehen? dachte ich. Ist das wirklich auch das
Rechte, das Vernünftige, das Einzige, was zu meiner Lage paßt?
Auf welche Sicherheit werde ich bauen, wenn ich ohne eine Paßzcile
die Grenze wirklich überschritten habe? Wie will ich denn gar so
unbedacht in den Tag hineinrennen? Wozu Schleichwege, Umwege,
Flucht? Blos der Polizei zum Aerger einen solchen Streich? Das
kann doch wohl so viele Mühen und Gefahren nicht werth sein! --
Ich verließ den argwöhnisch-zudringlichen Plauderer mit verdrießlicher
Hast und kehrte dann bequemen Schrittes nach meinem Gasthofe zu¬
rück. Die erste Hitze meines Blutes hatte sich gelegt, dafür befiel
mich um eine tiefe Verstimmung. Ohne Zaudern bezahlte ich mei¬
nen Wagensitz und war nun fest entschlossen, dem Unheil seinen Lauf'


zurück, der bei aller Beleibtheit sehr pfiffig aussah; diesem mußte ich
dieselbe Frage wieder vorlegen, denn der Hausknecht hatte Nichts ge¬
than, als ihm gewinkt und mit dem Finger auf mich gewiesen, dann
setzte er sich nieder, sowie er aufgestanden war, und putzte ruhig sein
Noßgeschirr weiter. Aber mit dem beleibten Herrn hatte ich mir
einen unerschöpflichen Plauderer auf den Hals gezügelt; ich glaube,
seine Neugierde würde mich am Ende um alle Geheimnisse gebracht
und mein ganzes Wesen durch Fragen zerfasert haben. Ich hätte
nicht sagen können, was ihn mehr ausgezeichnet, Neugierde oder Arg¬
wohn. ES war ihm rein unbegreiflich, wie ich ganz Teplitz Passiren, >
all die Tafeln mit Fahranträgen übersehen konnte, da doch fast jedes
Haus mit Tafeln, Zetteln behängen, ja manches mit Kreide beschrie¬
ben sei, einladend, daß man sich befördern lassen solle. DaS ging
athemlos so fort, dann sprang er auf meine Absicht über, wollte
wissen, wie und warum und wie so... und daß man am Ende
gar Fatalitäten haben könnte... (ich bitte Dich!) Er hätte
freilich ein nettes Wägelchen... aber eS gebe allerlei Men¬
schen!" — Mir wurde heiß vom Haupthaar bis zu den Zehen.
Mich für einen verdächtige!? Menschen ansehen lassen! Etwa für
einen Spieler, Gauner, Dieb, der sehen muß, wie er weiter käme!
Mich von der Seite anblinzelt lassen, — ob es wohl richtig sei mit
meinem hübschen Nock, - ob ich wohl auch eine Taschenuhr habe,
die sich konnte leicht und schwer erwerben lassen, — o in den
Badeorten, da sind gar viele nette Menschen des Teufels.!. Freund,
gerad heraus — das heilte meinen Wahnsinn, der von einer Flucht
fantasirte. Warum fliehen? dachte ich. Ist das wirklich auch das
Rechte, das Vernünftige, das Einzige, was zu meiner Lage paßt?
Auf welche Sicherheit werde ich bauen, wenn ich ohne eine Paßzcile
die Grenze wirklich überschritten habe? Wie will ich denn gar so
unbedacht in den Tag hineinrennen? Wozu Schleichwege, Umwege,
Flucht? Blos der Polizei zum Aerger einen solchen Streich? Das
kann doch wohl so viele Mühen und Gefahren nicht werth sein! —
Ich verließ den argwöhnisch-zudringlichen Plauderer mit verdrießlicher
Hast und kehrte dann bequemen Schrittes nach meinem Gasthofe zu¬
rück. Die erste Hitze meines Blutes hatte sich gelegt, dafür befiel
mich um eine tiefe Verstimmung. Ohne Zaudern bezahlte ich mei¬
nen Wagensitz und war nun fest entschlossen, dem Unheil seinen Lauf'


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269587"/>
          <p xml:id="ID_485" prev="#ID_484" next="#ID_486"> zurück, der bei aller Beleibtheit sehr pfiffig aussah; diesem mußte ich<lb/>
dieselbe Frage wieder vorlegen, denn der Hausknecht hatte Nichts ge¬<lb/>
than, als ihm gewinkt und mit dem Finger auf mich gewiesen, dann<lb/>
setzte er sich nieder, sowie er aufgestanden war, und putzte ruhig sein<lb/>
Noßgeschirr weiter. Aber mit dem beleibten Herrn hatte ich mir<lb/>
einen unerschöpflichen Plauderer auf den Hals gezügelt; ich glaube,<lb/>
seine Neugierde würde mich am Ende um alle Geheimnisse gebracht<lb/>
und mein ganzes Wesen durch Fragen zerfasert haben. Ich hätte<lb/>
nicht sagen können, was ihn mehr ausgezeichnet, Neugierde oder Arg¬<lb/>
wohn. ES war ihm rein unbegreiflich, wie ich ganz Teplitz Passiren, &gt;<lb/>
all die Tafeln mit Fahranträgen übersehen konnte, da doch fast jedes<lb/>
Haus mit Tafeln, Zetteln behängen, ja manches mit Kreide beschrie¬<lb/>
ben sei, einladend, daß man sich befördern lassen solle. DaS ging<lb/>
athemlos so fort, dann sprang er auf meine Absicht über, wollte<lb/>
wissen, wie und warum und wie so... und daß man am Ende<lb/>
gar Fatalitäten haben könnte... (ich bitte Dich!) Er hätte<lb/>
freilich ein nettes Wägelchen... aber eS gebe allerlei Men¬<lb/>
schen!" &#x2014; Mir wurde heiß vom Haupthaar bis zu den Zehen.<lb/>
Mich für einen verdächtige!? Menschen ansehen lassen! Etwa für<lb/>
einen Spieler, Gauner, Dieb, der sehen muß, wie er weiter käme!<lb/>
Mich von der Seite anblinzelt lassen, &#x2014; ob es wohl richtig sei mit<lb/>
meinem hübschen Nock, - ob ich wohl auch eine Taschenuhr habe,<lb/>
die sich konnte leicht und schwer erwerben lassen, &#x2014; o in den<lb/>
Badeorten, da sind gar viele nette Menschen des Teufels.!. Freund,<lb/>
gerad heraus &#x2014; das heilte meinen Wahnsinn, der von einer Flucht<lb/>
fantasirte. Warum fliehen? dachte ich. Ist das wirklich auch das<lb/>
Rechte, das Vernünftige, das Einzige, was zu meiner Lage paßt?<lb/>
Auf welche Sicherheit werde ich bauen, wenn ich ohne eine Paßzcile<lb/>
die Grenze wirklich überschritten habe? Wie will ich denn gar so<lb/>
unbedacht in den Tag hineinrennen? Wozu Schleichwege, Umwege,<lb/>
Flucht? Blos der Polizei zum Aerger einen solchen Streich? Das<lb/>
kann doch wohl so viele Mühen und Gefahren nicht werth sein! &#x2014;<lb/>
Ich verließ den argwöhnisch-zudringlichen Plauderer mit verdrießlicher<lb/>
Hast und kehrte dann bequemen Schrittes nach meinem Gasthofe zu¬<lb/>
rück. Die erste Hitze meines Blutes hatte sich gelegt, dafür befiel<lb/>
mich um eine tiefe Verstimmung. Ohne Zaudern bezahlte ich mei¬<lb/>
nen Wagensitz und war nun fest entschlossen, dem Unheil seinen Lauf'</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0170] zurück, der bei aller Beleibtheit sehr pfiffig aussah; diesem mußte ich dieselbe Frage wieder vorlegen, denn der Hausknecht hatte Nichts ge¬ than, als ihm gewinkt und mit dem Finger auf mich gewiesen, dann setzte er sich nieder, sowie er aufgestanden war, und putzte ruhig sein Noßgeschirr weiter. Aber mit dem beleibten Herrn hatte ich mir einen unerschöpflichen Plauderer auf den Hals gezügelt; ich glaube, seine Neugierde würde mich am Ende um alle Geheimnisse gebracht und mein ganzes Wesen durch Fragen zerfasert haben. Ich hätte nicht sagen können, was ihn mehr ausgezeichnet, Neugierde oder Arg¬ wohn. ES war ihm rein unbegreiflich, wie ich ganz Teplitz Passiren, > all die Tafeln mit Fahranträgen übersehen konnte, da doch fast jedes Haus mit Tafeln, Zetteln behängen, ja manches mit Kreide beschrie¬ ben sei, einladend, daß man sich befördern lassen solle. DaS ging athemlos so fort, dann sprang er auf meine Absicht über, wollte wissen, wie und warum und wie so... und daß man am Ende gar Fatalitäten haben könnte... (ich bitte Dich!) Er hätte freilich ein nettes Wägelchen... aber eS gebe allerlei Men¬ schen!" — Mir wurde heiß vom Haupthaar bis zu den Zehen. Mich für einen verdächtige!? Menschen ansehen lassen! Etwa für einen Spieler, Gauner, Dieb, der sehen muß, wie er weiter käme! Mich von der Seite anblinzelt lassen, — ob es wohl richtig sei mit meinem hübschen Nock, - ob ich wohl auch eine Taschenuhr habe, die sich konnte leicht und schwer erwerben lassen, — o in den Badeorten, da sind gar viele nette Menschen des Teufels.!. Freund, gerad heraus — das heilte meinen Wahnsinn, der von einer Flucht fantasirte. Warum fliehen? dachte ich. Ist das wirklich auch das Rechte, das Vernünftige, das Einzige, was zu meiner Lage paßt? Auf welche Sicherheit werde ich bauen, wenn ich ohne eine Paßzcile die Grenze wirklich überschritten habe? Wie will ich denn gar so unbedacht in den Tag hineinrennen? Wozu Schleichwege, Umwege, Flucht? Blos der Polizei zum Aerger einen solchen Streich? Das kann doch wohl so viele Mühen und Gefahren nicht werth sein! — Ich verließ den argwöhnisch-zudringlichen Plauderer mit verdrießlicher Hast und kehrte dann bequemen Schrittes nach meinem Gasthofe zu¬ rück. Die erste Hitze meines Blutes hatte sich gelegt, dafür befiel mich um eine tiefe Verstimmung. Ohne Zaudern bezahlte ich mei¬ nen Wagensitz und war nun fest entschlossen, dem Unheil seinen Lauf'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/170
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/170>, abgerufen am 22.07.2024.