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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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hielt ich nicht für rathsam. Du kannst Dir denken, daß schon darum
Schwermut!), Aufregung, Mißmuth meine heiteren Augenblicke wieder
häufig unterbrechen mußten. Das Uebel mehrte sich, als ich zum
Schlafen meine Zuflucht nehmen wollte; mit dem Zuschließen der
Augen wurde es stürmischer Tag in meinem Herzen; ich hatte nur
das immer vor mir, was ich aufgeben sollte, nicht aber Prag, wo
ich eigentlich keine Beschwerden voraussah. -- Ein kurzer Schlaf und
ein baldiges Erwecken durch den Hausknecht befreiten mich endlich
von der rastlosen Geschäftigkeit in mer unruhigen Seele. Es war
Sonntag; der Himmel machte sich nach dem Morgenroth freundlich
blan, die Tagcswärme trieb uns bald ans der winterlichen Reise¬
verhüllung; ein junger Berliner Schulmeister führte daS erste Wort
im Wagen, es schien, als sei er nur auf der Reise, Weihrauch zu
streuen von Berlin bis Wien, wo er mit seinem Könige zusammen--
treffen wollte. Wir kamen um elf Uhr Vormittags nach Leitmeritz.
Hier hatte ich eine Herzenöcrschütterung zu bestehen, die ich Dir
nicht eindringlich genug schildern könnte. ES hieß, daß man
jeden Augenblick das Dampfschiff von Prag her erwarte. Erin¬
nere Dich, daß eben dieses Schiff meinen Wiener Freund
vorüberbringen mußte, der mich heute in Dresden erwarten wollte.
Ich ließ mein Mittagmahl im Stiche, um den Augenblick zu er-
passcn, wo das Dampfschiff käme, landete, einige Minuten Zwiesprache
erlaubte mit seinen Passagieren; es sollte eine heftige Scene des son¬
derbarsten Wiedersehens und Scheidens zwischen meinem Wiener
Freunde werden und mir. Ich war sehr aufgeregt und besorgte,
daß das Schiff zu spät erst eintreffen dürfte, als ich plötzlich am
Arme gefaßt und angeredet wurde. ES war ein junger, großge¬
wachsener KreisamtSscl'reiber; er sagte mir, daß der Herr Krciscom-
missär auf mich warte und mich zu sprechen wünschte. Nun schritt
er große Schritte voran, indem er einen dicken Stock regierte. Der
Kreiscommtssär, ein hübscher, beleibter Mann mit blauen Angen, kam
mir liebenswürdig freundlich entgegen. "Ich mußte mich nur über¬
zeugen," sagte er, "ob Sie wirklich angekommen sind; -- nehmen
Sie es als Das. Es ist mir nur leid, daß ich s o Ihre Bekanntschaft
mache. Sie reisen doch gleich weiter?" -- "Ich hätte sehr gerne
einen Passagier deö Dampfschiffes gesprochen," erwiederte ich, --
.trifft es sonst pünktlich zu dieser Stunde hier ein?'' - "Das wohl;


hielt ich nicht für rathsam. Du kannst Dir denken, daß schon darum
Schwermut!), Aufregung, Mißmuth meine heiteren Augenblicke wieder
häufig unterbrechen mußten. Das Uebel mehrte sich, als ich zum
Schlafen meine Zuflucht nehmen wollte; mit dem Zuschließen der
Augen wurde es stürmischer Tag in meinem Herzen; ich hatte nur
das immer vor mir, was ich aufgeben sollte, nicht aber Prag, wo
ich eigentlich keine Beschwerden voraussah. — Ein kurzer Schlaf und
ein baldiges Erwecken durch den Hausknecht befreiten mich endlich
von der rastlosen Geschäftigkeit in mer unruhigen Seele. Es war
Sonntag; der Himmel machte sich nach dem Morgenroth freundlich
blan, die Tagcswärme trieb uns bald ans der winterlichen Reise¬
verhüllung; ein junger Berliner Schulmeister führte daS erste Wort
im Wagen, es schien, als sei er nur auf der Reise, Weihrauch zu
streuen von Berlin bis Wien, wo er mit seinem Könige zusammen--
treffen wollte. Wir kamen um elf Uhr Vormittags nach Leitmeritz.
Hier hatte ich eine Herzenöcrschütterung zu bestehen, die ich Dir
nicht eindringlich genug schildern könnte. ES hieß, daß man
jeden Augenblick das Dampfschiff von Prag her erwarte. Erin¬
nere Dich, daß eben dieses Schiff meinen Wiener Freund
vorüberbringen mußte, der mich heute in Dresden erwarten wollte.
Ich ließ mein Mittagmahl im Stiche, um den Augenblick zu er-
passcn, wo das Dampfschiff käme, landete, einige Minuten Zwiesprache
erlaubte mit seinen Passagieren; es sollte eine heftige Scene des son¬
derbarsten Wiedersehens und Scheidens zwischen meinem Wiener
Freunde werden und mir. Ich war sehr aufgeregt und besorgte,
daß das Schiff zu spät erst eintreffen dürfte, als ich plötzlich am
Arme gefaßt und angeredet wurde. ES war ein junger, großge¬
wachsener KreisamtSscl'reiber; er sagte mir, daß der Herr Krciscom-
missär auf mich warte und mich zu sprechen wünschte. Nun schritt
er große Schritte voran, indem er einen dicken Stock regierte. Der
Kreiscommtssär, ein hübscher, beleibter Mann mit blauen Angen, kam
mir liebenswürdig freundlich entgegen. „Ich mußte mich nur über¬
zeugen," sagte er, „ob Sie wirklich angekommen sind; — nehmen
Sie es als Das. Es ist mir nur leid, daß ich s o Ihre Bekanntschaft
mache. Sie reisen doch gleich weiter?" — „Ich hätte sehr gerne
einen Passagier deö Dampfschiffes gesprochen," erwiederte ich, —
.trifft es sonst pünktlich zu dieser Stunde hier ein?'' - „Das wohl;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/172>, abgerufen am 22.07.2024.