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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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zügelt, welche ich binnen einigen Stunden meiner ersten bitteren Auf¬
regung auf einem Spaziergang durch Teplitz machte, um den Augen
der Aufpasser zu entgehen, möchte ich eine Karte haben; mir war darum zu
thun, ungesehen in ein entlegenes Gasthaus zu entschlüpfen, dort um
jeden Preis ein Fuhrwerk bis an eine sichere Stelle der sächsischen
Grenze aufzunehmen und Teplitz augenblicklich zu verlassen. In mei¬
nem Gasthofe zum "weißen Roß" hatte ich außer meinem Reisefrack
und der Summe meiner Zeche Nichts zurückgelassen; so war mein
Irdisches in Teplitz ja gewissenhaft besorgt. Aber höre, wie sich das
in Kurzem anders machte. Wenn man in Teplitz die Straße ein¬
schlägt, welche gegen den sogenannten "Schloßberg" hinausführt,
so muß man einem großen neugebautcn Einkehrwirthshause vorüber,
welches eine kurze Strecke außerhalb des Städtchens dasteht und,
wenn ich nicht irre, "zum blauen Stern" heißt. Dieses Wirthshaus
war mir noch in frischem Andenken vom vorigen Sommer her und
die Lage desselben konnte für meinen Fluchtplan nicht passender sein.
Nachdem ich also glaubte, annehmen zu dürfen, daß mich kein Spä¬
herauge im glücklichen Augenblick ersehe -- stand ich gegen 10 Uhr
Vormittags plötzlich im innern Hofraume dieses "blauen Sternes."
Erst sah ich mich genau um, ob Gclegeuheitsfuhrwerk irgendwo zu
erblicken sei? Aber zu meinem großen Verdruß stand außer einer zer¬
brochenen Droschke nur schweres Fuhrwerk da. Nun ging ich auf
einen Hausknecht los, welcher nicht weit von mir Pferdegeschirr
putzte. Den redete ich an, ob im Hause bier keine flinke, außeror¬
dentliche GelegenheitSfuhre zu haben wäre, die sogleich abgehen konnte,
um mich nach -- hier nannte ich einen Ort an der Grenze, den ich
schon wieder vergessen habe -- zu bringen. AIS ich den riesenkno-
chigen Menschen so angeredet hatte, putzte er noch eine glückliche
Weile am Leder des Geschirres, legte dann langsam Geschirr und
Putzfetzen zur Seite, erhob sich, indem er mir den Rücken kehrte,
drehte sich nun schwerfällig wie ein knarrender Wagen nach mir um,
steckte die rechte Hand in den Hosenlatz und sah mich stillschweigend
wieder eine Weile mit offenem Maule an. Ich wiederholte meine
Frage. Er antwortete Nichts. Als ich das dritte Mal gefragt hatte,
sagte er wieder Nichts darauf, sondern, wie er dastand mit offenem
Maul und die Hand im Hosenlatz, ging er nach dem Parterre-
Gastzimmer und kam endlich mit einem städtisch gekleideten Manne


zügelt, welche ich binnen einigen Stunden meiner ersten bitteren Auf¬
regung auf einem Spaziergang durch Teplitz machte, um den Augen
der Aufpasser zu entgehen, möchte ich eine Karte haben; mir war darum zu
thun, ungesehen in ein entlegenes Gasthaus zu entschlüpfen, dort um
jeden Preis ein Fuhrwerk bis an eine sichere Stelle der sächsischen
Grenze aufzunehmen und Teplitz augenblicklich zu verlassen. In mei¬
nem Gasthofe zum „weißen Roß" hatte ich außer meinem Reisefrack
und der Summe meiner Zeche Nichts zurückgelassen; so war mein
Irdisches in Teplitz ja gewissenhaft besorgt. Aber höre, wie sich das
in Kurzem anders machte. Wenn man in Teplitz die Straße ein¬
schlägt, welche gegen den sogenannten „Schloßberg" hinausführt,
so muß man einem großen neugebautcn Einkehrwirthshause vorüber,
welches eine kurze Strecke außerhalb des Städtchens dasteht und,
wenn ich nicht irre, „zum blauen Stern" heißt. Dieses Wirthshaus
war mir noch in frischem Andenken vom vorigen Sommer her und
die Lage desselben konnte für meinen Fluchtplan nicht passender sein.
Nachdem ich also glaubte, annehmen zu dürfen, daß mich kein Spä¬
herauge im glücklichen Augenblick ersehe — stand ich gegen 10 Uhr
Vormittags plötzlich im innern Hofraume dieses „blauen Sternes."
Erst sah ich mich genau um, ob Gclegeuheitsfuhrwerk irgendwo zu
erblicken sei? Aber zu meinem großen Verdruß stand außer einer zer¬
brochenen Droschke nur schweres Fuhrwerk da. Nun ging ich auf
einen Hausknecht los, welcher nicht weit von mir Pferdegeschirr
putzte. Den redete ich an, ob im Hause bier keine flinke, außeror¬
dentliche GelegenheitSfuhre zu haben wäre, die sogleich abgehen konnte,
um mich nach — hier nannte ich einen Ort an der Grenze, den ich
schon wieder vergessen habe — zu bringen. AIS ich den riesenkno-
chigen Menschen so angeredet hatte, putzte er noch eine glückliche
Weile am Leder des Geschirres, legte dann langsam Geschirr und
Putzfetzen zur Seite, erhob sich, indem er mir den Rücken kehrte,
drehte sich nun schwerfällig wie ein knarrender Wagen nach mir um,
steckte die rechte Hand in den Hosenlatz und sah mich stillschweigend
wieder eine Weile mit offenem Maule an. Ich wiederholte meine
Frage. Er antwortete Nichts. Als ich das dritte Mal gefragt hatte,
sagte er wieder Nichts darauf, sondern, wie er dastand mit offenem
Maul und die Hand im Hosenlatz, ging er nach dem Parterre-
Gastzimmer und kam endlich mit einem städtisch gekleideten Manne


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[0169] zügelt, welche ich binnen einigen Stunden meiner ersten bitteren Auf¬ regung auf einem Spaziergang durch Teplitz machte, um den Augen der Aufpasser zu entgehen, möchte ich eine Karte haben; mir war darum zu thun, ungesehen in ein entlegenes Gasthaus zu entschlüpfen, dort um jeden Preis ein Fuhrwerk bis an eine sichere Stelle der sächsischen Grenze aufzunehmen und Teplitz augenblicklich zu verlassen. In mei¬ nem Gasthofe zum „weißen Roß" hatte ich außer meinem Reisefrack und der Summe meiner Zeche Nichts zurückgelassen; so war mein Irdisches in Teplitz ja gewissenhaft besorgt. Aber höre, wie sich das in Kurzem anders machte. Wenn man in Teplitz die Straße ein¬ schlägt, welche gegen den sogenannten „Schloßberg" hinausführt, so muß man einem großen neugebautcn Einkehrwirthshause vorüber, welches eine kurze Strecke außerhalb des Städtchens dasteht und, wenn ich nicht irre, „zum blauen Stern" heißt. Dieses Wirthshaus war mir noch in frischem Andenken vom vorigen Sommer her und die Lage desselben konnte für meinen Fluchtplan nicht passender sein. Nachdem ich also glaubte, annehmen zu dürfen, daß mich kein Spä¬ herauge im glücklichen Augenblick ersehe — stand ich gegen 10 Uhr Vormittags plötzlich im innern Hofraume dieses „blauen Sternes." Erst sah ich mich genau um, ob Gclegeuheitsfuhrwerk irgendwo zu erblicken sei? Aber zu meinem großen Verdruß stand außer einer zer¬ brochenen Droschke nur schweres Fuhrwerk da. Nun ging ich auf einen Hausknecht los, welcher nicht weit von mir Pferdegeschirr putzte. Den redete ich an, ob im Hause bier keine flinke, außeror¬ dentliche GelegenheitSfuhre zu haben wäre, die sogleich abgehen konnte, um mich nach — hier nannte ich einen Ort an der Grenze, den ich schon wieder vergessen habe — zu bringen. AIS ich den riesenkno- chigen Menschen so angeredet hatte, putzte er noch eine glückliche Weile am Leder des Geschirres, legte dann langsam Geschirr und Putzfetzen zur Seite, erhob sich, indem er mir den Rücken kehrte, drehte sich nun schwerfällig wie ein knarrender Wagen nach mir um, steckte die rechte Hand in den Hosenlatz und sah mich stillschweigend wieder eine Weile mit offenem Maule an. Ich wiederholte meine Frage. Er antwortete Nichts. Als ich das dritte Mal gefragt hatte, sagte er wieder Nichts darauf, sondern, wie er dastand mit offenem Maul und die Hand im Hosenlatz, ging er nach dem Parterre- Gastzimmer und kam endlich mit einem städtisch gekleideten Manne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/169>, abgerufen am 22.07.2024.