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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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hat die Polizciverwaltung und die Leitung der Gemeindeangelegen-
heiten nicht als Gemeindeglied, sondern als vorgesetzte Obrigkeit, ja
er kann von Hausleuten und Einliegern ein jährliches "Schutzgeld
oder JurisdictionSzinS" fordern. Er kann als Polizeiherr Strafre¬
solute erlassen und vollstrecken. Der Schulze ist ein dem Gutsherrn
untergeordneter Beamter. Von dem Gutsherrn bestellt, ihm zum Ge¬
horsam verpflichtet, kann er nach Umständen von dem Gutsherrn be¬
straft und entlassen werden. Der Schulze hat überall nur eine dem
Gutsherrn und dessen Anordnungen untergeordnete Verwaltung der
Dorfgemeinde. So sind die Dorfbewohner ganz der Vormundschaft
der Gutsherren untergeordnet, Emancipation der Landbewohner von
gutshcrrlicher Bevormundung, Gleichstellung der Landbewohner mit
den Stadtbewohnern hinsichtlich der Selbstverwaltung ihrer Angelegen¬
heiten, damit endlich die Aufhebung der GutSunterthänigkeit eine
Wahrheit werde! Werden sich die Landtage für eine auf das Prin¬
zip der Selbstverwaltung gegründete Gemeindeordnung aussprechen?

Die Städteordnung, sagt Gans, durch den Buchstaben des Ge¬
setzes zur Beförderung des Gemeingeistes eingerichtet, dazu bestimmt,
das spießbürgerliche auszureuten, wurde nicht organisch weiter ge¬
bildet und mußte sich daher selbst wie eine im elterlichen Hause ge¬
duldete Stieftochter vorkommen. Der Hauptmangel sei die fehlende
Oeffentlichkeit. Der Begriff der Publizität setzt voraus, daß diese
nicht nach Jahren, nachdem das unmittelbare Interesse verraucht ist,
auftrete, sondern daß die Oeffentlichkeit einer Handlung mit ihr gleich¬
zeitig selbst sei, um anderen Handlungen und anderen Veröffentlich¬
ungen derselben wieder Platz zu machen. Eine Publizität nach ei¬
nem Jahre ist Geschichte, aber nicht Oeffentlichkeit. Ein Verlangen
nach Oeffentlichkeit der Stadtverwaltung wird sich vielfach in Peti¬
tionen aussprechen. Die Städteordnung hat bisher beim Mangel
der Oeffentlichkeit kein politisches Leben in den Städten entwickelt.
Sie hat sogar, indem sie als eine Besonderheit nur die Stadtbürger
zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten privilegirt, während die
Landbewohner nicht als gleichberechtigte und zur Selbstverwaltung be¬
fugte Bürger betrachtet werden, indem sie die Städte von dem
Lande isolirt, indem sie das Stadtbürgerthum über das Staatsbür¬
gerinn setzt, auf Erhaltung des beschränkten, philisterhasten Spiesi-
bürgersinncs, der das Wohl seiner Gemeinde über das der Allgemein-


hat die Polizciverwaltung und die Leitung der Gemeindeangelegen-
heiten nicht als Gemeindeglied, sondern als vorgesetzte Obrigkeit, ja
er kann von Hausleuten und Einliegern ein jährliches „Schutzgeld
oder JurisdictionSzinS" fordern. Er kann als Polizeiherr Strafre¬
solute erlassen und vollstrecken. Der Schulze ist ein dem Gutsherrn
untergeordneter Beamter. Von dem Gutsherrn bestellt, ihm zum Ge¬
horsam verpflichtet, kann er nach Umständen von dem Gutsherrn be¬
straft und entlassen werden. Der Schulze hat überall nur eine dem
Gutsherrn und dessen Anordnungen untergeordnete Verwaltung der
Dorfgemeinde. So sind die Dorfbewohner ganz der Vormundschaft
der Gutsherren untergeordnet, Emancipation der Landbewohner von
gutshcrrlicher Bevormundung, Gleichstellung der Landbewohner mit
den Stadtbewohnern hinsichtlich der Selbstverwaltung ihrer Angelegen¬
heiten, damit endlich die Aufhebung der GutSunterthänigkeit eine
Wahrheit werde! Werden sich die Landtage für eine auf das Prin¬
zip der Selbstverwaltung gegründete Gemeindeordnung aussprechen?

Die Städteordnung, sagt Gans, durch den Buchstaben des Ge¬
setzes zur Beförderung des Gemeingeistes eingerichtet, dazu bestimmt,
das spießbürgerliche auszureuten, wurde nicht organisch weiter ge¬
bildet und mußte sich daher selbst wie eine im elterlichen Hause ge¬
duldete Stieftochter vorkommen. Der Hauptmangel sei die fehlende
Oeffentlichkeit. Der Begriff der Publizität setzt voraus, daß diese
nicht nach Jahren, nachdem das unmittelbare Interesse verraucht ist,
auftrete, sondern daß die Oeffentlichkeit einer Handlung mit ihr gleich¬
zeitig selbst sei, um anderen Handlungen und anderen Veröffentlich¬
ungen derselben wieder Platz zu machen. Eine Publizität nach ei¬
nem Jahre ist Geschichte, aber nicht Oeffentlichkeit. Ein Verlangen
nach Oeffentlichkeit der Stadtverwaltung wird sich vielfach in Peti¬
tionen aussprechen. Die Städteordnung hat bisher beim Mangel
der Oeffentlichkeit kein politisches Leben in den Städten entwickelt.
Sie hat sogar, indem sie als eine Besonderheit nur die Stadtbürger
zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten privilegirt, während die
Landbewohner nicht als gleichberechtigte und zur Selbstverwaltung be¬
fugte Bürger betrachtet werden, indem sie die Städte von dem
Lande isolirt, indem sie das Stadtbürgerthum über das Staatsbür¬
gerinn setzt, auf Erhaltung des beschränkten, philisterhasten Spiesi-
bürgersinncs, der das Wohl seiner Gemeinde über das der Allgemein-


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[0162] hat die Polizciverwaltung und die Leitung der Gemeindeangelegen- heiten nicht als Gemeindeglied, sondern als vorgesetzte Obrigkeit, ja er kann von Hausleuten und Einliegern ein jährliches „Schutzgeld oder JurisdictionSzinS" fordern. Er kann als Polizeiherr Strafre¬ solute erlassen und vollstrecken. Der Schulze ist ein dem Gutsherrn untergeordneter Beamter. Von dem Gutsherrn bestellt, ihm zum Ge¬ horsam verpflichtet, kann er nach Umständen von dem Gutsherrn be¬ straft und entlassen werden. Der Schulze hat überall nur eine dem Gutsherrn und dessen Anordnungen untergeordnete Verwaltung der Dorfgemeinde. So sind die Dorfbewohner ganz der Vormundschaft der Gutsherren untergeordnet, Emancipation der Landbewohner von gutshcrrlicher Bevormundung, Gleichstellung der Landbewohner mit den Stadtbewohnern hinsichtlich der Selbstverwaltung ihrer Angelegen¬ heiten, damit endlich die Aufhebung der GutSunterthänigkeit eine Wahrheit werde! Werden sich die Landtage für eine auf das Prin¬ zip der Selbstverwaltung gegründete Gemeindeordnung aussprechen? Die Städteordnung, sagt Gans, durch den Buchstaben des Ge¬ setzes zur Beförderung des Gemeingeistes eingerichtet, dazu bestimmt, das spießbürgerliche auszureuten, wurde nicht organisch weiter ge¬ bildet und mußte sich daher selbst wie eine im elterlichen Hause ge¬ duldete Stieftochter vorkommen. Der Hauptmangel sei die fehlende Oeffentlichkeit. Der Begriff der Publizität setzt voraus, daß diese nicht nach Jahren, nachdem das unmittelbare Interesse verraucht ist, auftrete, sondern daß die Oeffentlichkeit einer Handlung mit ihr gleich¬ zeitig selbst sei, um anderen Handlungen und anderen Veröffentlich¬ ungen derselben wieder Platz zu machen. Eine Publizität nach ei¬ nem Jahre ist Geschichte, aber nicht Oeffentlichkeit. Ein Verlangen nach Oeffentlichkeit der Stadtverwaltung wird sich vielfach in Peti¬ tionen aussprechen. Die Städteordnung hat bisher beim Mangel der Oeffentlichkeit kein politisches Leben in den Städten entwickelt. Sie hat sogar, indem sie als eine Besonderheit nur die Stadtbürger zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten privilegirt, während die Landbewohner nicht als gleichberechtigte und zur Selbstverwaltung be¬ fugte Bürger betrachtet werden, indem sie die Städte von dem Lande isolirt, indem sie das Stadtbürgerthum über das Staatsbür¬ gerinn setzt, auf Erhaltung des beschränkten, philisterhasten Spiesi- bürgersinncs, der das Wohl seiner Gemeinde über das der Allgemein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/162>, abgerufen am 22.07.2024.