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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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so viel Stimmen, wie der große privilegirte Grundbesitz -- läßt be¬
fürchten und die bisherigen Verhandlungen beweisen es, daß der
große Grundbesitz seine Interessen besonders geltend machen wird.
Das Uebergewicht deS großen privilegirten Grundbesitzes, der durch
gleiche Interessen und Familienbande eng verbundenen Herrn und
Ritter, erscheint um so bedenklicher, je weniger Intelligenz, politische
Bildung, Gemeinsinn und eine aus Patriotismus hervorgehende hoch¬
herzige Bereitwilligkeit, dem Gemeinwesen auf dem Altare des Vater¬
landes Opfer zu bringen, unsern Landjunkern eigenthümlich sind
Dazu kommt, daß der Landtagsmarschall aus dem Herren- oder Rit¬
terstand ernannt wird. Das Gesetz geht also -- denn nur dadurch
läßt sich eine solche Bestimmung rechtfertigen -- von dem Grundsatz
aus, daß bei den Landjunkern eine größere politische Bildung, als
bei Bürgern und Bauern. Der LandtagSmarschall überträgt die Ab¬
fassung ständischer Schriften geeigneten Landtagsmitgliedcrn; er er¬
nennt die Mitglieder der vorbcrathenden Ausschüsse. Er ist also der
Vormund des Landtags, indem vorausgesetzt wird, daß der Landtag
selbst die geeigneten Personen aus seiner Mitte zu wählen nicht ver¬
stehe.

"Wesentlich ist Publizität nothwendig," sagt der Freiherr von
Stein. Aber die Oeffentlichkeit widerstrebt dem ständischen Prinzip.
Die Oeffentlichkeit wäre ein Hingeben der Landtage an die Allge¬
meinheit, während die Stände auf Besonderheiten gegründet sind.
Die Stände, indem sie in die Oeffentlichkeit hinaustreten, appelliren
an die öffentliche Meinung, erkennen die Allgemeinheit als Richterin
an. Vor dem Lichte der Oeffentlichkeit müssen der Kastengeist, die
erclusiven Bestrebungen erbleichen. So nothwendig die Oeffentlich¬
keit für eine Ständeversammlung, wenn sie für die Allgemeinheit und
das Gemeinwohl wirken, wenn sie nicht in erclusiven Bestre¬
bungen untergehen, in politischer Nullität versinken will, -- wie die
Erfahrung bezeugt, denn ohne Oeffentlichkeit keine Theilnahme,
kein Interesse des Volks, sondern Gleichgiltigkeit -- so gefährlich ist
die Oeffentlichkeit den "ständischen Rechten," weshalb die Ritter



) Anm. Der Antrag auf gänzliche Beseitigung der Censur und auf ein
den Forderungen der Zeit "entsprechendes Preßgesetz hatte auf dem letzten rhei¬
nischen Landtage 46 Stimmen für, 26 gegen sich. Unter den 26 Gegnern fan¬
den sich 18 hochadlige Herrn.
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so viel Stimmen, wie der große privilegirte Grundbesitz — läßt be¬
fürchten und die bisherigen Verhandlungen beweisen es, daß der
große Grundbesitz seine Interessen besonders geltend machen wird.
Das Uebergewicht deS großen privilegirten Grundbesitzes, der durch
gleiche Interessen und Familienbande eng verbundenen Herrn und
Ritter, erscheint um so bedenklicher, je weniger Intelligenz, politische
Bildung, Gemeinsinn und eine aus Patriotismus hervorgehende hoch¬
herzige Bereitwilligkeit, dem Gemeinwesen auf dem Altare des Vater¬
landes Opfer zu bringen, unsern Landjunkern eigenthümlich sind
Dazu kommt, daß der Landtagsmarschall aus dem Herren- oder Rit¬
terstand ernannt wird. Das Gesetz geht also — denn nur dadurch
läßt sich eine solche Bestimmung rechtfertigen — von dem Grundsatz
aus, daß bei den Landjunkern eine größere politische Bildung, als
bei Bürgern und Bauern. Der LandtagSmarschall überträgt die Ab¬
fassung ständischer Schriften geeigneten Landtagsmitgliedcrn; er er¬
nennt die Mitglieder der vorbcrathenden Ausschüsse. Er ist also der
Vormund des Landtags, indem vorausgesetzt wird, daß der Landtag
selbst die geeigneten Personen aus seiner Mitte zu wählen nicht ver¬
stehe.

„Wesentlich ist Publizität nothwendig," sagt der Freiherr von
Stein. Aber die Oeffentlichkeit widerstrebt dem ständischen Prinzip.
Die Oeffentlichkeit wäre ein Hingeben der Landtage an die Allge¬
meinheit, während die Stände auf Besonderheiten gegründet sind.
Die Stände, indem sie in die Oeffentlichkeit hinaustreten, appelliren
an die öffentliche Meinung, erkennen die Allgemeinheit als Richterin
an. Vor dem Lichte der Oeffentlichkeit müssen der Kastengeist, die
erclusiven Bestrebungen erbleichen. So nothwendig die Oeffentlich¬
keit für eine Ständeversammlung, wenn sie für die Allgemeinheit und
das Gemeinwohl wirken, wenn sie nicht in erclusiven Bestre¬
bungen untergehen, in politischer Nullität versinken will, — wie die
Erfahrung bezeugt, denn ohne Oeffentlichkeit keine Theilnahme,
kein Interesse des Volks, sondern Gleichgiltigkeit — so gefährlich ist
die Oeffentlichkeit den „ständischen Rechten," weshalb die Ritter



) Anm. Der Antrag auf gänzliche Beseitigung der Censur und auf ein
den Forderungen der Zeit "entsprechendes Preßgesetz hatte auf dem letzten rhei¬
nischen Landtage 46 Stimmen für, 26 gegen sich. Unter den 26 Gegnern fan¬
den sich 18 hochadlige Herrn.
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[0157] so viel Stimmen, wie der große privilegirte Grundbesitz — läßt be¬ fürchten und die bisherigen Verhandlungen beweisen es, daß der große Grundbesitz seine Interessen besonders geltend machen wird. Das Uebergewicht deS großen privilegirten Grundbesitzes, der durch gleiche Interessen und Familienbande eng verbundenen Herrn und Ritter, erscheint um so bedenklicher, je weniger Intelligenz, politische Bildung, Gemeinsinn und eine aus Patriotismus hervorgehende hoch¬ herzige Bereitwilligkeit, dem Gemeinwesen auf dem Altare des Vater¬ landes Opfer zu bringen, unsern Landjunkern eigenthümlich sind Dazu kommt, daß der Landtagsmarschall aus dem Herren- oder Rit¬ terstand ernannt wird. Das Gesetz geht also — denn nur dadurch läßt sich eine solche Bestimmung rechtfertigen — von dem Grundsatz aus, daß bei den Landjunkern eine größere politische Bildung, als bei Bürgern und Bauern. Der LandtagSmarschall überträgt die Ab¬ fassung ständischer Schriften geeigneten Landtagsmitgliedcrn; er er¬ nennt die Mitglieder der vorbcrathenden Ausschüsse. Er ist also der Vormund des Landtags, indem vorausgesetzt wird, daß der Landtag selbst die geeigneten Personen aus seiner Mitte zu wählen nicht ver¬ stehe. „Wesentlich ist Publizität nothwendig," sagt der Freiherr von Stein. Aber die Oeffentlichkeit widerstrebt dem ständischen Prinzip. Die Oeffentlichkeit wäre ein Hingeben der Landtage an die Allge¬ meinheit, während die Stände auf Besonderheiten gegründet sind. Die Stände, indem sie in die Oeffentlichkeit hinaustreten, appelliren an die öffentliche Meinung, erkennen die Allgemeinheit als Richterin an. Vor dem Lichte der Oeffentlichkeit müssen der Kastengeist, die erclusiven Bestrebungen erbleichen. So nothwendig die Oeffentlich¬ keit für eine Ständeversammlung, wenn sie für die Allgemeinheit und das Gemeinwohl wirken, wenn sie nicht in erclusiven Bestre¬ bungen untergehen, in politischer Nullität versinken will, — wie die Erfahrung bezeugt, denn ohne Oeffentlichkeit keine Theilnahme, kein Interesse des Volks, sondern Gleichgiltigkeit — so gefährlich ist die Oeffentlichkeit den „ständischen Rechten," weshalb die Ritter ) Anm. Der Antrag auf gänzliche Beseitigung der Censur und auf ein den Forderungen der Zeit "entsprechendes Preßgesetz hatte auf dem letzten rhei¬ nischen Landtage 46 Stimmen für, 26 gegen sich. Unter den 26 Gegnern fan¬ den sich 18 hochadlige Herrn. 20 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/157>, abgerufen am 22.07.2024.