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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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den, wenn der Staat nicht in einzelne selbständige Territorien aus
einander fallen soll. "Provinzialstände werden nothwendig in ihren
Ansichten getheilt sein," sagt der preußische Minister Wilhelm v. Hum¬
boldt; "es wird daraus mehr oder weniger die Gefahr einer Zer¬
reißung deS Staates entstehen." Nur durch eine Repräsenta¬
tion für den ganzen Staat kann "allein Ein Geist, Ein Nationat-
interesse an die Stelle ihrer Natur nach immer einseitiger Provin-
zialansichten treten," sagte der Staatskanzler Hardenberg. Daher
äußerte der Freiherr von Stein über die preußischen Provinzialland-
tage: "Die Anstalt muß in Verbindung gedacht werden mit zukünf¬
tigen Reichstagen. Wesentlich ist Publizität nothwendig."

Der Geist der ältern deutschen Stände war der Geist der Ver¬
sumpfung in Privatinteressen; ihre Thätigkeit war wesentlich negativer
Art, indem sie, nie bereit, dem Gemeinwohl Opfer zu bringen, lieber
jede Schande über das Vaterland ergehen ließen, da sie nur Parti-
cular- und Standesintcrcssen, nie Nationalinteressen verfochten, nur
von Standesehre, nicht für Nationalehre beseelt waren. Die Thä¬
tigkeit der Stände richtete sich vorzüglich gegen die Regierung, der
sie so viel Rechte und Privilegien, als nur möglich, abzubringen
suchten. So wenig als möglich zu bewilligen, war höchste Staats¬
klugheit. Dabei suchte jeder Stand die Lasten von sich ab, den andern
Ständen zuzuwälzen, wie es der Geist der Selbstsucht mit sich bringt.
Aehnliche Bestrebungen werden sich in den Ständen Preußens her¬
vordrängen. Schon wollen nach der Aachener Zeitung die Ritter
der Mark Brandenburg im Interesse des großen Grundbesitzes auf
Verminderung und Veränderung der Branntwein- und der Grund¬
steuer antragen. Bei einer Theilung des Volks in verschiedene Stände
äußert sich die politische Klugheit immer dahin, daß jeder Stand für
sich so viel als möglich zu erhalten bemüht ist, indem er seine Sache
als eine Angelegenheit des Gemeinwohls darzustellen sucht. Deshalb
schien dem Freiherrn von Stein "Spaltung in politische Parteien, in
Liberale, Konstitutionelle, Monarchisten und in ihre Unterabtheilungen
weniger nachtheilig, als Trennung in Stände, wo Adelstolz, Bür¬
gerneid und Baucrnplumpheit gegen einander auftreten, Einer den
Andern niederzutreten sucht und hiezu die Unterstützung der Bureau¬
kratie zu erlangen strebt." Die Zusammensetzung der Stände -- in
den östlichen Provinzen haben Städte und Landgemeinden zusammen


den, wenn der Staat nicht in einzelne selbständige Territorien aus
einander fallen soll. „Provinzialstände werden nothwendig in ihren
Ansichten getheilt sein," sagt der preußische Minister Wilhelm v. Hum¬
boldt; „es wird daraus mehr oder weniger die Gefahr einer Zer¬
reißung deS Staates entstehen." Nur durch eine Repräsenta¬
tion für den ganzen Staat kann „allein Ein Geist, Ein Nationat-
interesse an die Stelle ihrer Natur nach immer einseitiger Provin-
zialansichten treten," sagte der Staatskanzler Hardenberg. Daher
äußerte der Freiherr von Stein über die preußischen Provinzialland-
tage: „Die Anstalt muß in Verbindung gedacht werden mit zukünf¬
tigen Reichstagen. Wesentlich ist Publizität nothwendig."

Der Geist der ältern deutschen Stände war der Geist der Ver¬
sumpfung in Privatinteressen; ihre Thätigkeit war wesentlich negativer
Art, indem sie, nie bereit, dem Gemeinwohl Opfer zu bringen, lieber
jede Schande über das Vaterland ergehen ließen, da sie nur Parti-
cular- und Standesintcrcssen, nie Nationalinteressen verfochten, nur
von Standesehre, nicht für Nationalehre beseelt waren. Die Thä¬
tigkeit der Stände richtete sich vorzüglich gegen die Regierung, der
sie so viel Rechte und Privilegien, als nur möglich, abzubringen
suchten. So wenig als möglich zu bewilligen, war höchste Staats¬
klugheit. Dabei suchte jeder Stand die Lasten von sich ab, den andern
Ständen zuzuwälzen, wie es der Geist der Selbstsucht mit sich bringt.
Aehnliche Bestrebungen werden sich in den Ständen Preußens her¬
vordrängen. Schon wollen nach der Aachener Zeitung die Ritter
der Mark Brandenburg im Interesse des großen Grundbesitzes auf
Verminderung und Veränderung der Branntwein- und der Grund¬
steuer antragen. Bei einer Theilung des Volks in verschiedene Stände
äußert sich die politische Klugheit immer dahin, daß jeder Stand für
sich so viel als möglich zu erhalten bemüht ist, indem er seine Sache
als eine Angelegenheit des Gemeinwohls darzustellen sucht. Deshalb
schien dem Freiherrn von Stein „Spaltung in politische Parteien, in
Liberale, Konstitutionelle, Monarchisten und in ihre Unterabtheilungen
weniger nachtheilig, als Trennung in Stände, wo Adelstolz, Bür¬
gerneid und Baucrnplumpheit gegen einander auftreten, Einer den
Andern niederzutreten sucht und hiezu die Unterstützung der Bureau¬
kratie zu erlangen strebt." Die Zusammensetzung der Stände — in
den östlichen Provinzen haben Städte und Landgemeinden zusammen


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[0156] den, wenn der Staat nicht in einzelne selbständige Territorien aus einander fallen soll. „Provinzialstände werden nothwendig in ihren Ansichten getheilt sein," sagt der preußische Minister Wilhelm v. Hum¬ boldt; „es wird daraus mehr oder weniger die Gefahr einer Zer¬ reißung deS Staates entstehen." Nur durch eine Repräsenta¬ tion für den ganzen Staat kann „allein Ein Geist, Ein Nationat- interesse an die Stelle ihrer Natur nach immer einseitiger Provin- zialansichten treten," sagte der Staatskanzler Hardenberg. Daher äußerte der Freiherr von Stein über die preußischen Provinzialland- tage: „Die Anstalt muß in Verbindung gedacht werden mit zukünf¬ tigen Reichstagen. Wesentlich ist Publizität nothwendig." Der Geist der ältern deutschen Stände war der Geist der Ver¬ sumpfung in Privatinteressen; ihre Thätigkeit war wesentlich negativer Art, indem sie, nie bereit, dem Gemeinwohl Opfer zu bringen, lieber jede Schande über das Vaterland ergehen ließen, da sie nur Parti- cular- und Standesintcrcssen, nie Nationalinteressen verfochten, nur von Standesehre, nicht für Nationalehre beseelt waren. Die Thä¬ tigkeit der Stände richtete sich vorzüglich gegen die Regierung, der sie so viel Rechte und Privilegien, als nur möglich, abzubringen suchten. So wenig als möglich zu bewilligen, war höchste Staats¬ klugheit. Dabei suchte jeder Stand die Lasten von sich ab, den andern Ständen zuzuwälzen, wie es der Geist der Selbstsucht mit sich bringt. Aehnliche Bestrebungen werden sich in den Ständen Preußens her¬ vordrängen. Schon wollen nach der Aachener Zeitung die Ritter der Mark Brandenburg im Interesse des großen Grundbesitzes auf Verminderung und Veränderung der Branntwein- und der Grund¬ steuer antragen. Bei einer Theilung des Volks in verschiedene Stände äußert sich die politische Klugheit immer dahin, daß jeder Stand für sich so viel als möglich zu erhalten bemüht ist, indem er seine Sache als eine Angelegenheit des Gemeinwohls darzustellen sucht. Deshalb schien dem Freiherrn von Stein „Spaltung in politische Parteien, in Liberale, Konstitutionelle, Monarchisten und in ihre Unterabtheilungen weniger nachtheilig, als Trennung in Stände, wo Adelstolz, Bür¬ gerneid und Baucrnplumpheit gegen einander auftreten, Einer den Andern niederzutreten sucht und hiezu die Unterstützung der Bureau¬ kratie zu erlangen strebt." Die Zusammensetzung der Stände — in den östlichen Provinzen haben Städte und Landgemeinden zusammen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/156>, abgerufen am 22.07.2024.