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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Hunderten blutet und sich endlich verbluten muß, wenn der Gott des
Zufalls nicht Ereignisse herausführt, die den Wünschen des träumerischen
Michels günstiger sind, als alle bisherigen. Der Particularismus der
Fürsten und Volksstämme hat das deutsche Reich begraben, hat den
einst klangvollen deutschen Namen zum Gespött der fremden Nationen
gemacht und die deutsche Bureaukratie hat die Volkskraft im Innern
geknebelt und den stolzen Eichenwald des Germanismus in gar zier¬
lich gestutzte Laubgänge und flache Rasenplätze verwandelt, auf dem
sich der grüne Rathstisch recht stattlich ausnehmen mag. In eben
dem Maße, als die Registraturen angeschwollen, hat das Volksleben
abgenommen und die graue Theorie ist dem Baum des Lebens über
den Kopf gewachsen. -- Bauernfeld nimmt kein Blatt vor den Mund
und die einzige nothwendige Concession, die er den Verhältnissen ge¬
macht, besteht darin, daß er die Handlung in's siebzehnte Jahrhundert,
am Schluß des schmachvollen dreißigjährigen Krieges verlegt hat. Al¬
lein der Geist, der aus dem Drama lodert, ist der des neunzehnten
Jahrhunderts und der Churfürst von Sachsen und der Parteigänger
Götze sind für den, der das Verständniß der Gegenwart im Herzen
trägt, doch nichts Anderes, als die Personification des deutschen Geistes
und des deutschen Patriotismus, den man nicht brauchen kann, und
welchen man aus Verlegenheit, was damit anfangen, auf die Festung
und in Zukunft auf die Galeere schicken muß. Ja, diesim ehrlichen
Schwärmer, der selbst im Feldlager noch Idealist bleibt, fehlt zum De¬
magogen der zwanziger Jahre eben nur der deutsche Rock, der ausge¬
legte Halskragen und der Bundestag.

Das Stück ist ein Potpourri von Ideen und Anklängen, wie sie
eben jetzt in der Aeitatmosphäre umherflirren, und wer Neues, noch
nicht Dagewesenes, Unausgesprochenes verlangt, der möchte sich freilich
gewaltig täuschen. Was an dem Stücke neu, das ist die Möglichkeit
seiner Darstellung und wenn auch Alles, was es enthalt, schon dage¬
wesen, so ist es doch noch nicht auf unseren Bühnen gewesen. Zei¬
tungen und Geschichtsbücher haben das hier Gebotene schon oft aus¬
gesprochen, aber der Schauspieler noch nie und wer weiß nicht, wie un-
ermeßlich verschieden die Wirkung eines Gedankens, eines Schlagwor¬
tes sich gestaltet, ob wir ihn im einsamen Zimmer, im Schlafrock und
Pantoffeln gesagt finden, oder von der Tribüne der Bretter her ver¬
nehmen, wo wir in den Zügen von Tausenden im Augenblick den
Eindruck lesen können, den das zündende Wort in der Seele der Ver¬
sammelten erweckt. Wenn man gerecht gewesen wäre, würde man
auch den Censor, nicht blos den Verfasser gerufen haben. Diesem
aber gebührt die Anerkennung einer Gesinnung, wie sie leider unter
unseren Literaten noch zu selten gefunden wird. Kräftigen Naturen,
festen Charakteren gegenüber behauptet die Behörde eine gewisse Rück¬
sicht und ihre Strenge trifft nur jene, die sie verachten muß.


Grcnzloic", ,84Z. I. 19

Hunderten blutet und sich endlich verbluten muß, wenn der Gott des
Zufalls nicht Ereignisse herausführt, die den Wünschen des träumerischen
Michels günstiger sind, als alle bisherigen. Der Particularismus der
Fürsten und Volksstämme hat das deutsche Reich begraben, hat den
einst klangvollen deutschen Namen zum Gespött der fremden Nationen
gemacht und die deutsche Bureaukratie hat die Volkskraft im Innern
geknebelt und den stolzen Eichenwald des Germanismus in gar zier¬
lich gestutzte Laubgänge und flache Rasenplätze verwandelt, auf dem
sich der grüne Rathstisch recht stattlich ausnehmen mag. In eben
dem Maße, als die Registraturen angeschwollen, hat das Volksleben
abgenommen und die graue Theorie ist dem Baum des Lebens über
den Kopf gewachsen. — Bauernfeld nimmt kein Blatt vor den Mund
und die einzige nothwendige Concession, die er den Verhältnissen ge¬
macht, besteht darin, daß er die Handlung in's siebzehnte Jahrhundert,
am Schluß des schmachvollen dreißigjährigen Krieges verlegt hat. Al¬
lein der Geist, der aus dem Drama lodert, ist der des neunzehnten
Jahrhunderts und der Churfürst von Sachsen und der Parteigänger
Götze sind für den, der das Verständniß der Gegenwart im Herzen
trägt, doch nichts Anderes, als die Personification des deutschen Geistes
und des deutschen Patriotismus, den man nicht brauchen kann, und
welchen man aus Verlegenheit, was damit anfangen, auf die Festung
und in Zukunft auf die Galeere schicken muß. Ja, diesim ehrlichen
Schwärmer, der selbst im Feldlager noch Idealist bleibt, fehlt zum De¬
magogen der zwanziger Jahre eben nur der deutsche Rock, der ausge¬
legte Halskragen und der Bundestag.

Das Stück ist ein Potpourri von Ideen und Anklängen, wie sie
eben jetzt in der Aeitatmosphäre umherflirren, und wer Neues, noch
nicht Dagewesenes, Unausgesprochenes verlangt, der möchte sich freilich
gewaltig täuschen. Was an dem Stücke neu, das ist die Möglichkeit
seiner Darstellung und wenn auch Alles, was es enthalt, schon dage¬
wesen, so ist es doch noch nicht auf unseren Bühnen gewesen. Zei¬
tungen und Geschichtsbücher haben das hier Gebotene schon oft aus¬
gesprochen, aber der Schauspieler noch nie und wer weiß nicht, wie un-
ermeßlich verschieden die Wirkung eines Gedankens, eines Schlagwor¬
tes sich gestaltet, ob wir ihn im einsamen Zimmer, im Schlafrock und
Pantoffeln gesagt finden, oder von der Tribüne der Bretter her ver¬
nehmen, wo wir in den Zügen von Tausenden im Augenblick den
Eindruck lesen können, den das zündende Wort in der Seele der Ver¬
sammelten erweckt. Wenn man gerecht gewesen wäre, würde man
auch den Censor, nicht blos den Verfasser gerufen haben. Diesem
aber gebührt die Anerkennung einer Gesinnung, wie sie leider unter
unseren Literaten noch zu selten gefunden wird. Kräftigen Naturen,
festen Charakteren gegenüber behauptet die Behörde eine gewisse Rück¬
sicht und ihre Strenge trifft nur jene, die sie verachten muß.


Grcnzloic», ,84Z. I. 19
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[0147] Hunderten blutet und sich endlich verbluten muß, wenn der Gott des Zufalls nicht Ereignisse herausführt, die den Wünschen des träumerischen Michels günstiger sind, als alle bisherigen. Der Particularismus der Fürsten und Volksstämme hat das deutsche Reich begraben, hat den einst klangvollen deutschen Namen zum Gespött der fremden Nationen gemacht und die deutsche Bureaukratie hat die Volkskraft im Innern geknebelt und den stolzen Eichenwald des Germanismus in gar zier¬ lich gestutzte Laubgänge und flache Rasenplätze verwandelt, auf dem sich der grüne Rathstisch recht stattlich ausnehmen mag. In eben dem Maße, als die Registraturen angeschwollen, hat das Volksleben abgenommen und die graue Theorie ist dem Baum des Lebens über den Kopf gewachsen. — Bauernfeld nimmt kein Blatt vor den Mund und die einzige nothwendige Concession, die er den Verhältnissen ge¬ macht, besteht darin, daß er die Handlung in's siebzehnte Jahrhundert, am Schluß des schmachvollen dreißigjährigen Krieges verlegt hat. Al¬ lein der Geist, der aus dem Drama lodert, ist der des neunzehnten Jahrhunderts und der Churfürst von Sachsen und der Parteigänger Götze sind für den, der das Verständniß der Gegenwart im Herzen trägt, doch nichts Anderes, als die Personification des deutschen Geistes und des deutschen Patriotismus, den man nicht brauchen kann, und welchen man aus Verlegenheit, was damit anfangen, auf die Festung und in Zukunft auf die Galeere schicken muß. Ja, diesim ehrlichen Schwärmer, der selbst im Feldlager noch Idealist bleibt, fehlt zum De¬ magogen der zwanziger Jahre eben nur der deutsche Rock, der ausge¬ legte Halskragen und der Bundestag. Das Stück ist ein Potpourri von Ideen und Anklängen, wie sie eben jetzt in der Aeitatmosphäre umherflirren, und wer Neues, noch nicht Dagewesenes, Unausgesprochenes verlangt, der möchte sich freilich gewaltig täuschen. Was an dem Stücke neu, das ist die Möglichkeit seiner Darstellung und wenn auch Alles, was es enthalt, schon dage¬ wesen, so ist es doch noch nicht auf unseren Bühnen gewesen. Zei¬ tungen und Geschichtsbücher haben das hier Gebotene schon oft aus¬ gesprochen, aber der Schauspieler noch nie und wer weiß nicht, wie un- ermeßlich verschieden die Wirkung eines Gedankens, eines Schlagwor¬ tes sich gestaltet, ob wir ihn im einsamen Zimmer, im Schlafrock und Pantoffeln gesagt finden, oder von der Tribüne der Bretter her ver¬ nehmen, wo wir in den Zügen von Tausenden im Augenblick den Eindruck lesen können, den das zündende Wort in der Seele der Ver¬ sammelten erweckt. Wenn man gerecht gewesen wäre, würde man auch den Censor, nicht blos den Verfasser gerufen haben. Diesem aber gebührt die Anerkennung einer Gesinnung, wie sie leider unter unseren Literaten noch zu selten gefunden wird. Kräftigen Naturen, festen Charakteren gegenüber behauptet die Behörde eine gewisse Rück¬ sicht und ihre Strenge trifft nur jene, die sie verachten muß. Grcnzloic», ,84Z. I. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/147>, abgerufen am 22.07.2024.