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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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tung selbst provozirte, um die geistigen Kämpfe des Prinzips zu besei¬
tigen, fängt jetzt selbst an zu furchten, einen Misigrisf begangen zu
haben, indem die gewerblichen und kommerziellen Verhältnisse Ungarns,
sobald solche sich emanzipiren, ohne die Steuerfrage entsprechend zu
gestalte", nothwendig eine Geldkrisis in den deutschen Ländern erzeugen
müssen, da diese seither gewohnt waren, die Mittel zu ihren hohen
Steuersätzen aus dem benachbarten Ungarn zu bekommen. Hört ein¬
mal das Verhältniß auf, so fällt unser ganzes Finanz- und Steuer¬
system in die Brüche.

Von auswärtigen, hier zugelassenen Zeitungen ist vom beginnen¬
den Jahr an die Kölnische Zeitung verboten worden, die häufig sehr
scharfe Artikel über Oesterreich mittheilte, in denen sie namentlich ge¬
gen den Finanzpräsidcnten ankämpfte. Ihr Verfasser ist der Regierung
wohlbekannt, allein unangreifbar; es ist ein Cavalier der großherzoglich
mecklenburgischen Gesandtschaft, der nicht einmal die Post zu seinen
Sendungen benützte, sondern diese durch den alle vierzehn Tage nach
Schwerin abgehenden Courier bewerkstelligte. Die Frankfurter Ober¬
postamtszeitung bleibt als zahmes Blatt ohne alle Farbe nach wie
vor freundlichst willkommen, nur ihre schwatzhafte Tante, das Eon-
versationsblatt, das so viel von den Jesuiten zu erzählen weiß, muß
vor den schwarzgelben Schranken Halt machen. Wir brauchen keine
Jesuitengeschichten, wir wissen deren selbst genug, keine fremden, son¬
dern vaterländische und zeitgenössische der schönsten Sorte. Wir rathen
Herrn Sue in Paris, so bald als möglich einen Abstecher nach Oester¬
reich zu machen, da kann er Studien machen zum Frommen seines
Ewigen Juden, der jedenfalls besser ausgefallen wäre, wenn sein Ver¬
fasser sechs Wochen in Linz, Tarnow oder Innsbruck gelebt hätte.


2.

Ein deutscher Krieger. -- Bauernfcld und die Thcatcrcensur. -- Fräulein
Marra. -- Halm und Grillparzer.

Die in diesen Tagen erfolgte Aufführung von Baucrnfeld's deut¬
schem Krieger im Hofburgtheater hat in den dramatischen Annalen der
Hauptstadt Epoche gemacht. Auch in Betreff unserer Bühnencensur
bildet die Novität, wenn man anders gestimmt ist, diesen Fall als
bindende Norm für die Praxis der ganzen Zukunft zu betrachten, ei¬
nen ganz bedeutungsvollen Abschnitt, der uns dem deutschen Geistes¬
leben gewiß näher rückt, als ein Anschluß Böhmens an den Zollver¬
ein. Zwei Richtungen sind es zumal, in denen der Dichter, der wie
bekannt, selbst Staatsbeamter ist, für die Ideen der Zeit gegen den
historischen Plunder rüstig ankämpft, gegen die Bureaukratie und ge¬
gen die deutsche Zersplitterung. Wer wollte läugnen, daß gerade diese
beiden Punkte die Wunden sind, aus denen Deutschland seit Jahr-


tung selbst provozirte, um die geistigen Kämpfe des Prinzips zu besei¬
tigen, fängt jetzt selbst an zu furchten, einen Misigrisf begangen zu
haben, indem die gewerblichen und kommerziellen Verhältnisse Ungarns,
sobald solche sich emanzipiren, ohne die Steuerfrage entsprechend zu
gestalte», nothwendig eine Geldkrisis in den deutschen Ländern erzeugen
müssen, da diese seither gewohnt waren, die Mittel zu ihren hohen
Steuersätzen aus dem benachbarten Ungarn zu bekommen. Hört ein¬
mal das Verhältniß auf, so fällt unser ganzes Finanz- und Steuer¬
system in die Brüche.

Von auswärtigen, hier zugelassenen Zeitungen ist vom beginnen¬
den Jahr an die Kölnische Zeitung verboten worden, die häufig sehr
scharfe Artikel über Oesterreich mittheilte, in denen sie namentlich ge¬
gen den Finanzpräsidcnten ankämpfte. Ihr Verfasser ist der Regierung
wohlbekannt, allein unangreifbar; es ist ein Cavalier der großherzoglich
mecklenburgischen Gesandtschaft, der nicht einmal die Post zu seinen
Sendungen benützte, sondern diese durch den alle vierzehn Tage nach
Schwerin abgehenden Courier bewerkstelligte. Die Frankfurter Ober¬
postamtszeitung bleibt als zahmes Blatt ohne alle Farbe nach wie
vor freundlichst willkommen, nur ihre schwatzhafte Tante, das Eon-
versationsblatt, das so viel von den Jesuiten zu erzählen weiß, muß
vor den schwarzgelben Schranken Halt machen. Wir brauchen keine
Jesuitengeschichten, wir wissen deren selbst genug, keine fremden, son¬
dern vaterländische und zeitgenössische der schönsten Sorte. Wir rathen
Herrn Sue in Paris, so bald als möglich einen Abstecher nach Oester¬
reich zu machen, da kann er Studien machen zum Frommen seines
Ewigen Juden, der jedenfalls besser ausgefallen wäre, wenn sein Ver¬
fasser sechs Wochen in Linz, Tarnow oder Innsbruck gelebt hätte.


2.

Ein deutscher Krieger. — Bauernfcld und die Thcatcrcensur. — Fräulein
Marra. — Halm und Grillparzer.

Die in diesen Tagen erfolgte Aufführung von Baucrnfeld's deut¬
schem Krieger im Hofburgtheater hat in den dramatischen Annalen der
Hauptstadt Epoche gemacht. Auch in Betreff unserer Bühnencensur
bildet die Novität, wenn man anders gestimmt ist, diesen Fall als
bindende Norm für die Praxis der ganzen Zukunft zu betrachten, ei¬
nen ganz bedeutungsvollen Abschnitt, der uns dem deutschen Geistes¬
leben gewiß näher rückt, als ein Anschluß Böhmens an den Zollver¬
ein. Zwei Richtungen sind es zumal, in denen der Dichter, der wie
bekannt, selbst Staatsbeamter ist, für die Ideen der Zeit gegen den
historischen Plunder rüstig ankämpft, gegen die Bureaukratie und ge¬
gen die deutsche Zersplitterung. Wer wollte läugnen, daß gerade diese
beiden Punkte die Wunden sind, aus denen Deutschland seit Jahr-


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[0146] tung selbst provozirte, um die geistigen Kämpfe des Prinzips zu besei¬ tigen, fängt jetzt selbst an zu furchten, einen Misigrisf begangen zu haben, indem die gewerblichen und kommerziellen Verhältnisse Ungarns, sobald solche sich emanzipiren, ohne die Steuerfrage entsprechend zu gestalte», nothwendig eine Geldkrisis in den deutschen Ländern erzeugen müssen, da diese seither gewohnt waren, die Mittel zu ihren hohen Steuersätzen aus dem benachbarten Ungarn zu bekommen. Hört ein¬ mal das Verhältniß auf, so fällt unser ganzes Finanz- und Steuer¬ system in die Brüche. Von auswärtigen, hier zugelassenen Zeitungen ist vom beginnen¬ den Jahr an die Kölnische Zeitung verboten worden, die häufig sehr scharfe Artikel über Oesterreich mittheilte, in denen sie namentlich ge¬ gen den Finanzpräsidcnten ankämpfte. Ihr Verfasser ist der Regierung wohlbekannt, allein unangreifbar; es ist ein Cavalier der großherzoglich mecklenburgischen Gesandtschaft, der nicht einmal die Post zu seinen Sendungen benützte, sondern diese durch den alle vierzehn Tage nach Schwerin abgehenden Courier bewerkstelligte. Die Frankfurter Ober¬ postamtszeitung bleibt als zahmes Blatt ohne alle Farbe nach wie vor freundlichst willkommen, nur ihre schwatzhafte Tante, das Eon- versationsblatt, das so viel von den Jesuiten zu erzählen weiß, muß vor den schwarzgelben Schranken Halt machen. Wir brauchen keine Jesuitengeschichten, wir wissen deren selbst genug, keine fremden, son¬ dern vaterländische und zeitgenössische der schönsten Sorte. Wir rathen Herrn Sue in Paris, so bald als möglich einen Abstecher nach Oester¬ reich zu machen, da kann er Studien machen zum Frommen seines Ewigen Juden, der jedenfalls besser ausgefallen wäre, wenn sein Ver¬ fasser sechs Wochen in Linz, Tarnow oder Innsbruck gelebt hätte. 2. Ein deutscher Krieger. — Bauernfcld und die Thcatcrcensur. — Fräulein Marra. — Halm und Grillparzer. Die in diesen Tagen erfolgte Aufführung von Baucrnfeld's deut¬ schem Krieger im Hofburgtheater hat in den dramatischen Annalen der Hauptstadt Epoche gemacht. Auch in Betreff unserer Bühnencensur bildet die Novität, wenn man anders gestimmt ist, diesen Fall als bindende Norm für die Praxis der ganzen Zukunft zu betrachten, ei¬ nen ganz bedeutungsvollen Abschnitt, der uns dem deutschen Geistes¬ leben gewiß näher rückt, als ein Anschluß Böhmens an den Zollver¬ ein. Zwei Richtungen sind es zumal, in denen der Dichter, der wie bekannt, selbst Staatsbeamter ist, für die Ideen der Zeit gegen den historischen Plunder rüstig ankämpft, gegen die Bureaukratie und ge¬ gen die deutsche Zersplitterung. Wer wollte läugnen, daß gerade diese beiden Punkte die Wunden sind, aus denen Deutschland seit Jahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/146>, abgerufen am 22.07.2024.