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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Absicht, "böswillig" oder "hämisch" zu sei", womit die "gute Presse"
in ihrer geistigen Ohnmacht mißliebige Berichterstatter abzufertigen
pflegt, von vorn herein Protest einlegen. Wir setze", indem wir un¬
sere kritischen Raketen ans das Museum werfen, voraus, daß es eine
öffentliche Anstalt sei, nicht etwa eine geschlossene Gesellschaft,
oder ein Familienzirkel. Freilich geht es in dieser der Oeffentlichkeit
gewidmeten Anstalt sehr "familiär" zu, d. h. wir unterhalten uns
dort über allerlei Allotria und Stadtklatsch, nur nicht über die res
nubila". Weil wir kein öffentliches Leben haben, beschäftigen wir
uns in den Rauch- und ConversationSzimmern nicht mit öffentlichen
Zuständen. Eine allgemeine, anregende politische Discussion ist et¬
was Unerhörtes, ja Unmögliches, da wir eigentlich politisch todt sind
und auf die Auferstehung warten. Weil wir Nichts zu besprechen
haben, als das Theater, unterhalten wir uns mit Schachspiel. Leider
fehlen noch die Karten. -- Treten nur in die Lesezimmer, so fällt
uns eine wunderbare Sammlung von Regierungs-, Amts-, Intelli¬
genz-' und dergleichen Blättern aus kleinen Staaten auf. Die Spe¬
kulation auf die Meßfremdcn ließ es nämlich wünschenswerth erschei¬
nen, den Spießbürger aus Reuß-Greiz-Schleiz und Lobenstein mit
dem, was er zu Hause fand, auf dem Museum in Leipzig zu über¬
raschen. Der Philister aus diesem oder jenem Winkel von Deutsch¬
land sollte sein heimathliches Philisterthum auf dem Museum in Leip¬
zig wieder finden, er sollte sich hier gleichsam wie zu Hause fühlen.
Man dachte sich, der Braunschweiger und der Strelitzcr würde nicht
versäumen, seine braunschweigischen und mecklenburgischen Anzeigen,
wenn er hierher zur Messe käme, auf dem Museum zu lesen. So
großartig die Idee auch war, so war eS doch eine verfehlte Specu-
lation auf den Patriotismus der deutschen Kleinstaaterei. Von die-
sen Sachen werden wir, wie man hört, mit Neujahr befreit werden.
Auf Antrag des Vorstandes wir) der. Sprecher" verschwinden. Der
Sprecher wird freilich von der CiN, ur hart mitgenommen, vom Ober¬
censurgericht indeß so viel wieder hergestellt, daß darin immer noch
mehr Geist und Ideen zu finden, als in einem Dutzend sächsischer
Wochenblätter. Aber freilich die neuen Ideen, die will man nicht;
die sociale Richtung mißfällt den Herren. Sind aber die Ideen dar¬
um etwa nicht in der Welt, wenn man auf dem Leipziger Museum,
wo freilich kein Jdeenreichthum zu finden, Nichts von ihnen erfährt?


Absicht, „böswillig" oder „hämisch" zu sei», womit die „gute Presse"
in ihrer geistigen Ohnmacht mißliebige Berichterstatter abzufertigen
pflegt, von vorn herein Protest einlegen. Wir setze», indem wir un¬
sere kritischen Raketen ans das Museum werfen, voraus, daß es eine
öffentliche Anstalt sei, nicht etwa eine geschlossene Gesellschaft,
oder ein Familienzirkel. Freilich geht es in dieser der Oeffentlichkeit
gewidmeten Anstalt sehr „familiär" zu, d. h. wir unterhalten uns
dort über allerlei Allotria und Stadtklatsch, nur nicht über die res
nubila». Weil wir kein öffentliches Leben haben, beschäftigen wir
uns in den Rauch- und ConversationSzimmern nicht mit öffentlichen
Zuständen. Eine allgemeine, anregende politische Discussion ist et¬
was Unerhörtes, ja Unmögliches, da wir eigentlich politisch todt sind
und auf die Auferstehung warten. Weil wir Nichts zu besprechen
haben, als das Theater, unterhalten wir uns mit Schachspiel. Leider
fehlen noch die Karten. — Treten nur in die Lesezimmer, so fällt
uns eine wunderbare Sammlung von Regierungs-, Amts-, Intelli¬
genz-' und dergleichen Blättern aus kleinen Staaten auf. Die Spe¬
kulation auf die Meßfremdcn ließ es nämlich wünschenswerth erschei¬
nen, den Spießbürger aus Reuß-Greiz-Schleiz und Lobenstein mit
dem, was er zu Hause fand, auf dem Museum in Leipzig zu über¬
raschen. Der Philister aus diesem oder jenem Winkel von Deutsch¬
land sollte sein heimathliches Philisterthum auf dem Museum in Leip¬
zig wieder finden, er sollte sich hier gleichsam wie zu Hause fühlen.
Man dachte sich, der Braunschweiger und der Strelitzcr würde nicht
versäumen, seine braunschweigischen und mecklenburgischen Anzeigen,
wenn er hierher zur Messe käme, auf dem Museum zu lesen. So
großartig die Idee auch war, so war eS doch eine verfehlte Specu-
lation auf den Patriotismus der deutschen Kleinstaaterei. Von die-
sen Sachen werden wir, wie man hört, mit Neujahr befreit werden.
Auf Antrag des Vorstandes wir) der. Sprecher" verschwinden. Der
Sprecher wird freilich von der CiN, ur hart mitgenommen, vom Ober¬
censurgericht indeß so viel wieder hergestellt, daß darin immer noch
mehr Geist und Ideen zu finden, als in einem Dutzend sächsischer
Wochenblätter. Aber freilich die neuen Ideen, die will man nicht;
die sociale Richtung mißfällt den Herren. Sind aber die Ideen dar¬
um etwa nicht in der Welt, wenn man auf dem Leipziger Museum,
wo freilich kein Jdeenreichthum zu finden, Nichts von ihnen erfährt?


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[0132] Absicht, „böswillig" oder „hämisch" zu sei», womit die „gute Presse" in ihrer geistigen Ohnmacht mißliebige Berichterstatter abzufertigen pflegt, von vorn herein Protest einlegen. Wir setze», indem wir un¬ sere kritischen Raketen ans das Museum werfen, voraus, daß es eine öffentliche Anstalt sei, nicht etwa eine geschlossene Gesellschaft, oder ein Familienzirkel. Freilich geht es in dieser der Oeffentlichkeit gewidmeten Anstalt sehr „familiär" zu, d. h. wir unterhalten uns dort über allerlei Allotria und Stadtklatsch, nur nicht über die res nubila». Weil wir kein öffentliches Leben haben, beschäftigen wir uns in den Rauch- und ConversationSzimmern nicht mit öffentlichen Zuständen. Eine allgemeine, anregende politische Discussion ist et¬ was Unerhörtes, ja Unmögliches, da wir eigentlich politisch todt sind und auf die Auferstehung warten. Weil wir Nichts zu besprechen haben, als das Theater, unterhalten wir uns mit Schachspiel. Leider fehlen noch die Karten. — Treten nur in die Lesezimmer, so fällt uns eine wunderbare Sammlung von Regierungs-, Amts-, Intelli¬ genz-' und dergleichen Blättern aus kleinen Staaten auf. Die Spe¬ kulation auf die Meßfremdcn ließ es nämlich wünschenswerth erschei¬ nen, den Spießbürger aus Reuß-Greiz-Schleiz und Lobenstein mit dem, was er zu Hause fand, auf dem Museum in Leipzig zu über¬ raschen. Der Philister aus diesem oder jenem Winkel von Deutsch¬ land sollte sein heimathliches Philisterthum auf dem Museum in Leip¬ zig wieder finden, er sollte sich hier gleichsam wie zu Hause fühlen. Man dachte sich, der Braunschweiger und der Strelitzcr würde nicht versäumen, seine braunschweigischen und mecklenburgischen Anzeigen, wenn er hierher zur Messe käme, auf dem Museum zu lesen. So großartig die Idee auch war, so war eS doch eine verfehlte Specu- lation auf den Patriotismus der deutschen Kleinstaaterei. Von die- sen Sachen werden wir, wie man hört, mit Neujahr befreit werden. Auf Antrag des Vorstandes wir) der. Sprecher" verschwinden. Der Sprecher wird freilich von der CiN, ur hart mitgenommen, vom Ober¬ censurgericht indeß so viel wieder hergestellt, daß darin immer noch mehr Geist und Ideen zu finden, als in einem Dutzend sächsischer Wochenblätter. Aber freilich die neuen Ideen, die will man nicht; die sociale Richtung mißfällt den Herren. Sind aber die Ideen dar¬ um etwa nicht in der Welt, wenn man auf dem Leipziger Museum, wo freilich kein Jdeenreichthum zu finden, Nichts von ihnen erfährt?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/132>, abgerufen am 22.07.2024.