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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ebenso oft seine lächerliche, als seine ernste und oft tragische Seite
herauskehrt.

Wir haben den Widerspruch im Studentenleben schon einmal
hervorzuheben Gelegenheit gefunden: hier ist ein neuer; ein neuer
Kreislauf, der immer innerhalb derselben Momente abläuft. Und
das Duell selber ist eine solche widerspruchsvolle Eristenz. Die
Ertreme berühren sich; der höchste Genuß der Selbstheit ist eine
Selbstentäußerung, die letzte Bewährung der Persönlichkeit wird in
der Gleichgiltigkeit gegen sich selber gesucht, die Abstraction balancirt
auf der Spitze und schlägt so nach beiden Seiten hin um.

Das Duell ist also freilich eine Anomalie, wenn es gegen die
Sitte der Gesellschaft gehalten wird und gegen die Lebensanschauung
eines späteren Altars; aber wer darf es dagegen halten? Wird ihm
dadurch nicht eine Beziehung untergeschoben, die es durchaus von
sich abweist, und wird es damit nicht seiner wahren und eigentlichen
Bedeutung entkleidet? Das Duell ist eine Anomalie, aber nichts desto
weniger die naturgemäße, psychologisch-begründete That der studen¬
tischen Jugend. Und eben darum hört es auf, eine besondere
Ausnahme zu sein, es ist vielmehr die Regel einer Sphäre, die man
freilich selber wieder als eine Ausnahme bezeichnen könnte.

Wenn wir aber unternommen haben, das Duell -- nicht zu
vertheidigen, sondern - zu erklären und auf seinen letzten inneren
Grund zurückzuführen, so sind wir doch weit entfernt, seine heutige
Gestalt auf den deutschen Hochschulen in Schutz zu nehmen. Viel¬
mehr meinen wir, daß noch immer ein ekler und sinnloser Mißbrauch
damit getrieben werde, um so ekler und sinnloser, als ein Höchstes
und Letztes zu einem vorgeschriebenen und ganz alltäglichen Akte ge¬
macht wird. Was will überhaupt in derlei Dingen ein Alle um¬
fassendes Gesetz? Ist das Duell wirklich die nothwendige That der
Persönlichkeit, so muß es durchaus dieser überlassen bleiben. Dazu
sind die Bildungs- und Allersgrade in der akademischen Jugend sel¬
ber unendlich verschieden, und bieten die mannichfachsten Abschattun¬
gen dar. Zwischen Dem, der so eben die Universität bezogen und
Demjenigen, der im Begriffe ist, sie zu verlassen, liegt ein Zwischen¬
raum, wie er kaum größer und bedeutender sein kann. Dem Cha¬
rakter ' des Duells gemäß muß es beim Einzelnen als der Ausdruck
eiuer bestimmten Bildungsstufe betrachtet werden; wie aber sollte diese


ebenso oft seine lächerliche, als seine ernste und oft tragische Seite
herauskehrt.

Wir haben den Widerspruch im Studentenleben schon einmal
hervorzuheben Gelegenheit gefunden: hier ist ein neuer; ein neuer
Kreislauf, der immer innerhalb derselben Momente abläuft. Und
das Duell selber ist eine solche widerspruchsvolle Eristenz. Die
Ertreme berühren sich; der höchste Genuß der Selbstheit ist eine
Selbstentäußerung, die letzte Bewährung der Persönlichkeit wird in
der Gleichgiltigkeit gegen sich selber gesucht, die Abstraction balancirt
auf der Spitze und schlägt so nach beiden Seiten hin um.

Das Duell ist also freilich eine Anomalie, wenn es gegen die
Sitte der Gesellschaft gehalten wird und gegen die Lebensanschauung
eines späteren Altars; aber wer darf es dagegen halten? Wird ihm
dadurch nicht eine Beziehung untergeschoben, die es durchaus von
sich abweist, und wird es damit nicht seiner wahren und eigentlichen
Bedeutung entkleidet? Das Duell ist eine Anomalie, aber nichts desto
weniger die naturgemäße, psychologisch-begründete That der studen¬
tischen Jugend. Und eben darum hört es auf, eine besondere
Ausnahme zu sein, es ist vielmehr die Regel einer Sphäre, die man
freilich selber wieder als eine Ausnahme bezeichnen könnte.

Wenn wir aber unternommen haben, das Duell — nicht zu
vertheidigen, sondern - zu erklären und auf seinen letzten inneren
Grund zurückzuführen, so sind wir doch weit entfernt, seine heutige
Gestalt auf den deutschen Hochschulen in Schutz zu nehmen. Viel¬
mehr meinen wir, daß noch immer ein ekler und sinnloser Mißbrauch
damit getrieben werde, um so ekler und sinnloser, als ein Höchstes
und Letztes zu einem vorgeschriebenen und ganz alltäglichen Akte ge¬
macht wird. Was will überhaupt in derlei Dingen ein Alle um¬
fassendes Gesetz? Ist das Duell wirklich die nothwendige That der
Persönlichkeit, so muß es durchaus dieser überlassen bleiben. Dazu
sind die Bildungs- und Allersgrade in der akademischen Jugend sel¬
ber unendlich verschieden, und bieten die mannichfachsten Abschattun¬
gen dar. Zwischen Dem, der so eben die Universität bezogen und
Demjenigen, der im Begriffe ist, sie zu verlassen, liegt ein Zwischen¬
raum, wie er kaum größer und bedeutender sein kann. Dem Cha¬
rakter ' des Duells gemäß muß es beim Einzelnen als der Ausdruck
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/128>, abgerufen am 03.07.2024.