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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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es ist aber darum auch eine letzte und höchste Bewährung solcher.
Alle Rücksichten müssen abgestreift sein, welche an das Dasein ketten,
alle Verhältnisse und Bezüge nach Außen untergegangen sein in dem
einen reinen Genusse des Selbst. -- Das Duell ist ein Akt der
Abstraktion, wie sie gar nicht weiter getrieben werden kann, einer
Abstraction, die zuletzt von sich selber abstrahirt, indem sie das Leben,
die Basis d.S Selbst, der gegnerischen Klinge anheimstellt. Man
muß die eigenthümlich bange und doch zugleich wollüstige Empfin¬
dung kennen, die sich des Einzelnen darin bemächtigt, um den in
seiner Art einzigen Reiz zu begreifen, den es ausübt. Oder kann es
einen höheren Triumph der Persönlichkeit geben, als mit Bewußtsein
der Gefahr entgegen zu treten, mit Bewußtsein mit sich selber zu
spielen und das Gefühl der Kraft, welches solches Spiel erheischt,
zu hegen? Und somit hat das Duell keine andere Bedeutung, als
dem Einzelnen eine Bewährung vor sich selber zu sein, ihn seines
ganzen Werthes wieder zu vergewissern, wenn eine Beleidigung, ein
kränkendes Wort ihn aus seiner Sclbstgewißheit aufgeschreckt hat.
Den" diese Persönlichkeit des Studenten ist der -niederdrückenden
Empfindung der Beleidigung zugänglich, so lange sie noch nicht zu
innerer Befriedigung gelangt, nach der Ruhe der Selbstgewißheit erst
ringt. Ihr ganzes Thun und Treiben ist darum eine fortlaufende
Reihe von Versuchen, sich solche zu verschaffen, ein fortwährendes
Streben, sich ihrer selbst zu vergewissern. Die ausnehmende Selb¬
ständigkeit, der sie sich versichert hält, ist von der steten ängstlichen
Besorgniß begleitet, sich zu verlieren, und gerade die überall hervor¬
tretende Sucht nach Bewährung jener der Beweis dafür, daß sie
noch nicht wahrhaft gewonnen. So liegt es also in der Natur deS
Studenten, daß er durch die leichteste Berührung verletzbar, eine bis
in's Kleinliche gehende Empfindlichkeit kund gibt. Aber eben um
deßwillen ist auch jede Beleidigung ein neuer Antrieb, seine Selb¬
ständigkeit zu documentiren. Die eigene Unsicherheit leiht dem Worte
des Beleidigers Gewicht, es lastet drückend auf der Persönlichkeit, und
diesem Drucke sich zu entwinden, setzt sie eine höchste Gefahr, die sie ihrer
ganzen Kraft und Energie wieder versichern soll. Schon die nächste
Beleidigung aber, die sie erfährt, gibt sie von Neuem demselben Zwei¬
fel preis. Die kleinlichste Schwäche und die höchste Kraftanstrengung
wechseln mit einander ab und erzeugen ein stetes Schwanken, welches


es ist aber darum auch eine letzte und höchste Bewährung solcher.
Alle Rücksichten müssen abgestreift sein, welche an das Dasein ketten,
alle Verhältnisse und Bezüge nach Außen untergegangen sein in dem
einen reinen Genusse des Selbst. — Das Duell ist ein Akt der
Abstraktion, wie sie gar nicht weiter getrieben werden kann, einer
Abstraction, die zuletzt von sich selber abstrahirt, indem sie das Leben,
die Basis d.S Selbst, der gegnerischen Klinge anheimstellt. Man
muß die eigenthümlich bange und doch zugleich wollüstige Empfin¬
dung kennen, die sich des Einzelnen darin bemächtigt, um den in
seiner Art einzigen Reiz zu begreifen, den es ausübt. Oder kann es
einen höheren Triumph der Persönlichkeit geben, als mit Bewußtsein
der Gefahr entgegen zu treten, mit Bewußtsein mit sich selber zu
spielen und das Gefühl der Kraft, welches solches Spiel erheischt,
zu hegen? Und somit hat das Duell keine andere Bedeutung, als
dem Einzelnen eine Bewährung vor sich selber zu sein, ihn seines
ganzen Werthes wieder zu vergewissern, wenn eine Beleidigung, ein
kränkendes Wort ihn aus seiner Sclbstgewißheit aufgeschreckt hat.
Den» diese Persönlichkeit des Studenten ist der -niederdrückenden
Empfindung der Beleidigung zugänglich, so lange sie noch nicht zu
innerer Befriedigung gelangt, nach der Ruhe der Selbstgewißheit erst
ringt. Ihr ganzes Thun und Treiben ist darum eine fortlaufende
Reihe von Versuchen, sich solche zu verschaffen, ein fortwährendes
Streben, sich ihrer selbst zu vergewissern. Die ausnehmende Selb¬
ständigkeit, der sie sich versichert hält, ist von der steten ängstlichen
Besorgniß begleitet, sich zu verlieren, und gerade die überall hervor¬
tretende Sucht nach Bewährung jener der Beweis dafür, daß sie
noch nicht wahrhaft gewonnen. So liegt es also in der Natur deS
Studenten, daß er durch die leichteste Berührung verletzbar, eine bis
in's Kleinliche gehende Empfindlichkeit kund gibt. Aber eben um
deßwillen ist auch jede Beleidigung ein neuer Antrieb, seine Selb¬
ständigkeit zu documentiren. Die eigene Unsicherheit leiht dem Worte
des Beleidigers Gewicht, es lastet drückend auf der Persönlichkeit, und
diesem Drucke sich zu entwinden, setzt sie eine höchste Gefahr, die sie ihrer
ganzen Kraft und Energie wieder versichern soll. Schon die nächste
Beleidigung aber, die sie erfährt, gibt sie von Neuem demselben Zwei¬
fel preis. Die kleinlichste Schwäche und die höchste Kraftanstrengung
wechseln mit einander ab und erzeugen ein stetes Schwanken, welches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/127>, abgerufen am 03.07.2024.