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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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als ein gäUz und gar sinnloses Gebühren belächeln, wenn die Ein¬
zelnen, dnrch die strengen Verbote gegen das Farbentragen verhindert,
sie öffentlich zu bekunden, nur da ihre Bänder und Mützen zu Tage
legen, wo kein fremdes Auge sie beobachte" kann, also nur innerhalb
des Kreises der eignen Verbindung. Tritt da nicht aber gerade am
allernaivsten der reine Selbstgenuß einer ausnehmenden Persön¬
lichkeit hervor, ein Selbstgefühl, das sich gerade nur vor sich selber
zur Schall trägt? Oder wird man daS mit einem trivialen uitimur
in vetitum abfinden wollen? Dann vergißt man, daß die Farbenlust
der Studenten gegen jene Verbote das Frühere ist. Man möge
einsehn, daß es der Jugend nicht an einem kahlen Bewußtsein ihrer
selbst, an einem nur innerliche" Vorsichselberbekenncn ihres Werthes
genüge; dieses Beruhen in dem eignen Bewußtsein, das allenfalls
von aller Aeußerlichkeit abstrahirt, ist ein höheres, erst dem gereiften
Manne gebührendes; aber hier kann und soll es seine Statt noch
nicht haben. Die Jugend will die Anschauung ihrer selbst, die sinn¬
liche augenfällige Erscheinung; den" sie ist eben noch keine völlig
durchgebildete Persönlichkeit, sie ringt erst nach innerer Selbstgewi߬
heit, und darum hat sie noch das Bedürfniß nach einer äußeren Be¬
kräftigung. --

Dazu nehme man den kecken Kitzel des Uebermuthes, der in
hundert und aber hundert lustigen Streichen sich Lust macht, die
völlige Rücksichtslosigkeit gegen alles Conventionelle, das Hinwegsetzen
über alle die Schranken, welche eine polizeiliche Ordnung der Ge¬
sellschaft gezogen hat, und man wird darin überall dieselbe absolute,
in sich selbst zurückstrebende Persönlichkeit, dasselbe autonomische, nur
sich selber nachlebende Individuum finden. Ueberall die Kraftfülle
einer frischesten Unmittelbarkeit, die zum Erlrem verzerrt, in Rohheit
ausartet, überall die Bethätigungölust eines aus Gott und Welt
nichtsmachendcn Selbständigkeitsdranges. Und damit hängt auch
wieder auf der anderen Seite die theoretische Richtung dieser Jugend,
diese Hinneigung zur ungeheuerste" Abstraktion, wie sie auf den Uni¬
versitäten herrscht, zusammen. Oder ist es nicht das nämliche Ich,
das, immer nur sich selber vor Augen habend, die wirkliche Welt
nicht begreifen mag, sondern einem ursächlichen, nur subjectiven Den¬
ken nachhängt? Denn dieses ist der Akt einer Persönlichkeit, die in
der Freiheit von der Berührung mit den Außendingen ihre höchste


als ein gäUz und gar sinnloses Gebühren belächeln, wenn die Ein¬
zelnen, dnrch die strengen Verbote gegen das Farbentragen verhindert,
sie öffentlich zu bekunden, nur da ihre Bänder und Mützen zu Tage
legen, wo kein fremdes Auge sie beobachte» kann, also nur innerhalb
des Kreises der eignen Verbindung. Tritt da nicht aber gerade am
allernaivsten der reine Selbstgenuß einer ausnehmenden Persön¬
lichkeit hervor, ein Selbstgefühl, das sich gerade nur vor sich selber
zur Schall trägt? Oder wird man daS mit einem trivialen uitimur
in vetitum abfinden wollen? Dann vergißt man, daß die Farbenlust
der Studenten gegen jene Verbote das Frühere ist. Man möge
einsehn, daß es der Jugend nicht an einem kahlen Bewußtsein ihrer
selbst, an einem nur innerliche» Vorsichselberbekenncn ihres Werthes
genüge; dieses Beruhen in dem eignen Bewußtsein, das allenfalls
von aller Aeußerlichkeit abstrahirt, ist ein höheres, erst dem gereiften
Manne gebührendes; aber hier kann und soll es seine Statt noch
nicht haben. Die Jugend will die Anschauung ihrer selbst, die sinn¬
liche augenfällige Erscheinung; den» sie ist eben noch keine völlig
durchgebildete Persönlichkeit, sie ringt erst nach innerer Selbstgewi߬
heit, und darum hat sie noch das Bedürfniß nach einer äußeren Be¬
kräftigung. —

Dazu nehme man den kecken Kitzel des Uebermuthes, der in
hundert und aber hundert lustigen Streichen sich Lust macht, die
völlige Rücksichtslosigkeit gegen alles Conventionelle, das Hinwegsetzen
über alle die Schranken, welche eine polizeiliche Ordnung der Ge¬
sellschaft gezogen hat, und man wird darin überall dieselbe absolute,
in sich selbst zurückstrebende Persönlichkeit, dasselbe autonomische, nur
sich selber nachlebende Individuum finden. Ueberall die Kraftfülle
einer frischesten Unmittelbarkeit, die zum Erlrem verzerrt, in Rohheit
ausartet, überall die Bethätigungölust eines aus Gott und Welt
nichtsmachendcn Selbständigkeitsdranges. Und damit hängt auch
wieder auf der anderen Seite die theoretische Richtung dieser Jugend,
diese Hinneigung zur ungeheuerste» Abstraktion, wie sie auf den Uni¬
versitäten herrscht, zusammen. Oder ist es nicht das nämliche Ich,
das, immer nur sich selber vor Augen habend, die wirkliche Welt
nicht begreifen mag, sondern einem ursächlichen, nur subjectiven Den¬
ken nachhängt? Denn dieses ist der Akt einer Persönlichkeit, die in
der Freiheit von der Berührung mit den Außendingen ihre höchste


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[0124] als ein gäUz und gar sinnloses Gebühren belächeln, wenn die Ein¬ zelnen, dnrch die strengen Verbote gegen das Farbentragen verhindert, sie öffentlich zu bekunden, nur da ihre Bänder und Mützen zu Tage legen, wo kein fremdes Auge sie beobachte» kann, also nur innerhalb des Kreises der eignen Verbindung. Tritt da nicht aber gerade am allernaivsten der reine Selbstgenuß einer ausnehmenden Persön¬ lichkeit hervor, ein Selbstgefühl, das sich gerade nur vor sich selber zur Schall trägt? Oder wird man daS mit einem trivialen uitimur in vetitum abfinden wollen? Dann vergißt man, daß die Farbenlust der Studenten gegen jene Verbote das Frühere ist. Man möge einsehn, daß es der Jugend nicht an einem kahlen Bewußtsein ihrer selbst, an einem nur innerliche» Vorsichselberbekenncn ihres Werthes genüge; dieses Beruhen in dem eignen Bewußtsein, das allenfalls von aller Aeußerlichkeit abstrahirt, ist ein höheres, erst dem gereiften Manne gebührendes; aber hier kann und soll es seine Statt noch nicht haben. Die Jugend will die Anschauung ihrer selbst, die sinn¬ liche augenfällige Erscheinung; den» sie ist eben noch keine völlig durchgebildete Persönlichkeit, sie ringt erst nach innerer Selbstgewi߬ heit, und darum hat sie noch das Bedürfniß nach einer äußeren Be¬ kräftigung. — Dazu nehme man den kecken Kitzel des Uebermuthes, der in hundert und aber hundert lustigen Streichen sich Lust macht, die völlige Rücksichtslosigkeit gegen alles Conventionelle, das Hinwegsetzen über alle die Schranken, welche eine polizeiliche Ordnung der Ge¬ sellschaft gezogen hat, und man wird darin überall dieselbe absolute, in sich selbst zurückstrebende Persönlichkeit, dasselbe autonomische, nur sich selber nachlebende Individuum finden. Ueberall die Kraftfülle einer frischesten Unmittelbarkeit, die zum Erlrem verzerrt, in Rohheit ausartet, überall die Bethätigungölust eines aus Gott und Welt nichtsmachendcn Selbständigkeitsdranges. Und damit hängt auch wieder auf der anderen Seite die theoretische Richtung dieser Jugend, diese Hinneigung zur ungeheuerste» Abstraktion, wie sie auf den Uni¬ versitäten herrscht, zusammen. Oder ist es nicht das nämliche Ich, das, immer nur sich selber vor Augen habend, die wirkliche Welt nicht begreifen mag, sondern einem ursächlichen, nur subjectiven Den¬ ken nachhängt? Denn dieses ist der Akt einer Persönlichkeit, die in der Freiheit von der Berührung mit den Außendingen ihre höchste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/124>, abgerufen am 29.06.2024.