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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Ja freilich, das Duell ist eine Anomalie; aber nur darum, weil
die gesammte Studentenwelt eine solche ist. Und um das zu erfah¬
ren, braucht man eben nicht tiefere Forschungen anzustellen; man
braucht nur seine Augen nicht zu verschließen, denen sie sich ohne
alles Zuthun von selber aufdrängt.

Die bloße Tracht ist schon bezeichnend genug. Während in den
übrigen Kreisen der Gesellschaft die Mode ihre allmächtige Herrschaft
führt und die Unterschiede der Charaktere in einer gemeinsamen Form
verschwinden macht, trifft man hier eine charakteristische Individuali-
sation der Trachten, gradezu ein persönliches Prinzip der Kleidung.
Da ist Alles eigenthümlich, besonders, dein Gewöhnlichen und All¬
täglichen absagend, ein ausnehmender Schnitt, eine auszeichnende
Anordnung, die grellen Farben, solche, welche von der großen Masse
des Dunkeln abheben und unterscheiden. Farben und Farbenanord¬
nungen spielen überhaupt eine große Rolle. Die einzelnen geselligen
Kreise, welche sich innerhalb der Studentenwelt bilden, haben ihre
eigenthümlichen Farbenbezeichnungen, darin sie ihre Unterschiede nie¬
derlegen. Und das wird man nicht für zufällig ausgeben dürfen.
Vielmehr macht in dem Allen sich das Selbstgefühl einer rücksichts¬
losen Persönlichkeit, eines nach allen Seiten hin zugespitzten und eine
ausschließliche Selbständigkeit erstrebenden Individuums geltend. Die
unterscheidende Farbe, wie sie an der Person haftet, scheint freilich
ein ganz und gar äußerliches und gleichgiltigeS Beiwerk; wer aber
während seiner akademischen Jahre das innige Behagen an einer
farbigen Mütze an sich selber oder an Andern zu beobachten Gele¬
genheit gehabt hat, der wird eine gewisse gemüthliche Beziehung dazu
nicht absprechen dürfen, auch wenn er keine mathematische Formel
dafür aufzufinden im Stande ist. Solcherlei Dinge kann man weit
eher lächerlich machen, als begreifen, und so hat der Verstand auch
nicht angestanden, seinen schalsten Spott darüber zu ergießen. In
jenen geselligen Kreisen der Studirenden gilt es, die Persönlichkeit
zu erweitern und zu steigern, es sind Verbindungen wahlverwandter
Gemüther, die eines am andern sich ergänzt und gefördert sehen wol¬
len, die Persönlichkeit hat sich in ihnen nicht aufgegeben, sondern
arbeitet sich in der gegenseitigen Anerkennung zu höherer Geltung
empor. Und eine Selbstschau dieser so gesteigerten Persönlichkeit zu'
gewähren, ist der Sinn der Farben. Man müßte es sonst freilich


Grcnzbotc", >. 16

Ja freilich, das Duell ist eine Anomalie; aber nur darum, weil
die gesammte Studentenwelt eine solche ist. Und um das zu erfah¬
ren, braucht man eben nicht tiefere Forschungen anzustellen; man
braucht nur seine Augen nicht zu verschließen, denen sie sich ohne
alles Zuthun von selber aufdrängt.

Die bloße Tracht ist schon bezeichnend genug. Während in den
übrigen Kreisen der Gesellschaft die Mode ihre allmächtige Herrschaft
führt und die Unterschiede der Charaktere in einer gemeinsamen Form
verschwinden macht, trifft man hier eine charakteristische Individuali-
sation der Trachten, gradezu ein persönliches Prinzip der Kleidung.
Da ist Alles eigenthümlich, besonders, dein Gewöhnlichen und All¬
täglichen absagend, ein ausnehmender Schnitt, eine auszeichnende
Anordnung, die grellen Farben, solche, welche von der großen Masse
des Dunkeln abheben und unterscheiden. Farben und Farbenanord¬
nungen spielen überhaupt eine große Rolle. Die einzelnen geselligen
Kreise, welche sich innerhalb der Studentenwelt bilden, haben ihre
eigenthümlichen Farbenbezeichnungen, darin sie ihre Unterschiede nie¬
derlegen. Und das wird man nicht für zufällig ausgeben dürfen.
Vielmehr macht in dem Allen sich das Selbstgefühl einer rücksichts¬
losen Persönlichkeit, eines nach allen Seiten hin zugespitzten und eine
ausschließliche Selbständigkeit erstrebenden Individuums geltend. Die
unterscheidende Farbe, wie sie an der Person haftet, scheint freilich
ein ganz und gar äußerliches und gleichgiltigeS Beiwerk; wer aber
während seiner akademischen Jahre das innige Behagen an einer
farbigen Mütze an sich selber oder an Andern zu beobachten Gele¬
genheit gehabt hat, der wird eine gewisse gemüthliche Beziehung dazu
nicht absprechen dürfen, auch wenn er keine mathematische Formel
dafür aufzufinden im Stande ist. Solcherlei Dinge kann man weit
eher lächerlich machen, als begreifen, und so hat der Verstand auch
nicht angestanden, seinen schalsten Spott darüber zu ergießen. In
jenen geselligen Kreisen der Studirenden gilt es, die Persönlichkeit
zu erweitern und zu steigern, es sind Verbindungen wahlverwandter
Gemüther, die eines am andern sich ergänzt und gefördert sehen wol¬
len, die Persönlichkeit hat sich in ihnen nicht aufgegeben, sondern
arbeitet sich in der gegenseitigen Anerkennung zu höherer Geltung
empor. Und eine Selbstschau dieser so gesteigerten Persönlichkeit zu'
gewähren, ist der Sinn der Farben. Man müßte es sonst freilich


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[0123] Ja freilich, das Duell ist eine Anomalie; aber nur darum, weil die gesammte Studentenwelt eine solche ist. Und um das zu erfah¬ ren, braucht man eben nicht tiefere Forschungen anzustellen; man braucht nur seine Augen nicht zu verschließen, denen sie sich ohne alles Zuthun von selber aufdrängt. Die bloße Tracht ist schon bezeichnend genug. Während in den übrigen Kreisen der Gesellschaft die Mode ihre allmächtige Herrschaft führt und die Unterschiede der Charaktere in einer gemeinsamen Form verschwinden macht, trifft man hier eine charakteristische Individuali- sation der Trachten, gradezu ein persönliches Prinzip der Kleidung. Da ist Alles eigenthümlich, besonders, dein Gewöhnlichen und All¬ täglichen absagend, ein ausnehmender Schnitt, eine auszeichnende Anordnung, die grellen Farben, solche, welche von der großen Masse des Dunkeln abheben und unterscheiden. Farben und Farbenanord¬ nungen spielen überhaupt eine große Rolle. Die einzelnen geselligen Kreise, welche sich innerhalb der Studentenwelt bilden, haben ihre eigenthümlichen Farbenbezeichnungen, darin sie ihre Unterschiede nie¬ derlegen. Und das wird man nicht für zufällig ausgeben dürfen. Vielmehr macht in dem Allen sich das Selbstgefühl einer rücksichts¬ losen Persönlichkeit, eines nach allen Seiten hin zugespitzten und eine ausschließliche Selbständigkeit erstrebenden Individuums geltend. Die unterscheidende Farbe, wie sie an der Person haftet, scheint freilich ein ganz und gar äußerliches und gleichgiltigeS Beiwerk; wer aber während seiner akademischen Jahre das innige Behagen an einer farbigen Mütze an sich selber oder an Andern zu beobachten Gele¬ genheit gehabt hat, der wird eine gewisse gemüthliche Beziehung dazu nicht absprechen dürfen, auch wenn er keine mathematische Formel dafür aufzufinden im Stande ist. Solcherlei Dinge kann man weit eher lächerlich machen, als begreifen, und so hat der Verstand auch nicht angestanden, seinen schalsten Spott darüber zu ergießen. In jenen geselligen Kreisen der Studirenden gilt es, die Persönlichkeit zu erweitern und zu steigern, es sind Verbindungen wahlverwandter Gemüther, die eines am andern sich ergänzt und gefördert sehen wol¬ len, die Persönlichkeit hat sich in ihnen nicht aufgegeben, sondern arbeitet sich in der gegenseitigen Anerkennung zu höherer Geltung empor. Und eine Selbstschau dieser so gesteigerten Persönlichkeit zu' gewähren, ist der Sinn der Farben. Man müßte es sonst freilich Grcnzbotc», >. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/123>, abgerufen am 26.06.2024.