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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ben, so wird wohl, so sehr man sich auch dagegen sträuben möge,
nichts Anderes übrig bleiben, als im gemeinschaftlichen Einverständniß
ein klares und hurtiges Grundgesetz abzufassen, wozu Deutschland
nicht zu verachtende Muster bereits geliefert hat. Das Eine oder das
Andere wird auf den nächsten Landtagen gewiß versucht werden;
daß man diesmal schon zum Ziel gelangen wird, ist bei dem hefti¬
gen Widerstreben der Ansichten und dem bunten Kampf der Interessen
kaum zu glauben. So viel kann nur mit höchster Wahrscheinlichkeit
vorausgesagt werden, daß man durch die bevorstehenden parlamen¬
tarischen Verhandlungen diesem Ziele, wenn man es auch nicht voll¬
ständig erreicht, bedeutend näher rücken wird. Daß aber dasselbe in
wenigen Jahren erreicht werden muß und wird, diesen Glauben hal¬
ten wir fest. "Es führt kein anderer Weg nach Küßnach."

Eine andere, sehr bedenkliche Frage ist jedoch die: ob von den ge¬
genwärtigen Ständen angenommen werden könne, daß sie von der
Nation zur Abfassung eines Grundgesetzes hinreichend bevollmächtigt
seien? Nach dem Gesetz vom 22. Mai 1815, das unmittelbar nach
dem ersten Friedensschlüsse erlassen wurde, zur Belohnung für die
unerhörten Aufopferungen, welche das Volk in dem Befreiungskampfe
der Dynastie gebracht hatte, sollte eine Vertretung des Volkes
eingeführt werden. Statt dessen hat man aber eine bloße Vertretung
des Grundeigenthums beliebt. Oder gibt es wohl Jemand, der be¬
haupten wollte, die Grundeigenthümer allein repräsentiren daS Volk?
Die Grundeigentümer, welche obendrein durchschnittlich hoch verschul¬
det sind, und denen mithin nur ein Theil ihrer Besitzungen als
freies Eigenthum gehört. Die Vervollständigung des Wahlrechts
muß der Abfassung des Grundgesetzes ohnstreitig vorangehen. Wenn
die jetzigen Provinzial-Stände wirklich von dem Geiste der strengsten
Gerechtigkeit gegen ihre Mitbürger beseelt sind und keine Sonder-
interessen, die sich in unsern Zeiten doch nicht mehr aufrecht erhalten
lassen, mit mehr Beharrlichkeit als Einsicht verfolgen; wenn sie ihren
Kindern und Nachkommen einen gesetzlich geordneten und auf Ver¬
nunft basirten Rechtszustand hinterlassen wollen; wenn sie der jetzigen
Verstimmung in ihrem und im Interesse der Krone auf immer ein
Ende zu machen ernstlich beabsichtigen, so werden sie an ein so wich¬
tiges Geschäft nicht eher gehen, bevor sie sich nicht aus der Gesammt-
nation ergänzt und verstärkt haben. Die letzten Landtags-Abschiede,


ben, so wird wohl, so sehr man sich auch dagegen sträuben möge,
nichts Anderes übrig bleiben, als im gemeinschaftlichen Einverständniß
ein klares und hurtiges Grundgesetz abzufassen, wozu Deutschland
nicht zu verachtende Muster bereits geliefert hat. Das Eine oder das
Andere wird auf den nächsten Landtagen gewiß versucht werden;
daß man diesmal schon zum Ziel gelangen wird, ist bei dem hefti¬
gen Widerstreben der Ansichten und dem bunten Kampf der Interessen
kaum zu glauben. So viel kann nur mit höchster Wahrscheinlichkeit
vorausgesagt werden, daß man durch die bevorstehenden parlamen¬
tarischen Verhandlungen diesem Ziele, wenn man es auch nicht voll¬
ständig erreicht, bedeutend näher rücken wird. Daß aber dasselbe in
wenigen Jahren erreicht werden muß und wird, diesen Glauben hal¬
ten wir fest. „Es führt kein anderer Weg nach Küßnach."

Eine andere, sehr bedenkliche Frage ist jedoch die: ob von den ge¬
genwärtigen Ständen angenommen werden könne, daß sie von der
Nation zur Abfassung eines Grundgesetzes hinreichend bevollmächtigt
seien? Nach dem Gesetz vom 22. Mai 1815, das unmittelbar nach
dem ersten Friedensschlüsse erlassen wurde, zur Belohnung für die
unerhörten Aufopferungen, welche das Volk in dem Befreiungskampfe
der Dynastie gebracht hatte, sollte eine Vertretung des Volkes
eingeführt werden. Statt dessen hat man aber eine bloße Vertretung
des Grundeigenthums beliebt. Oder gibt es wohl Jemand, der be¬
haupten wollte, die Grundeigenthümer allein repräsentiren daS Volk?
Die Grundeigentümer, welche obendrein durchschnittlich hoch verschul¬
det sind, und denen mithin nur ein Theil ihrer Besitzungen als
freies Eigenthum gehört. Die Vervollständigung des Wahlrechts
muß der Abfassung des Grundgesetzes ohnstreitig vorangehen. Wenn
die jetzigen Provinzial-Stände wirklich von dem Geiste der strengsten
Gerechtigkeit gegen ihre Mitbürger beseelt sind und keine Sonder-
interessen, die sich in unsern Zeiten doch nicht mehr aufrecht erhalten
lassen, mit mehr Beharrlichkeit als Einsicht verfolgen; wenn sie ihren
Kindern und Nachkommen einen gesetzlich geordneten und auf Ver¬
nunft basirten Rechtszustand hinterlassen wollen; wenn sie der jetzigen
Verstimmung in ihrem und im Interesse der Krone auf immer ein
Ende zu machen ernstlich beabsichtigen, so werden sie an ein so wich¬
tiges Geschäft nicht eher gehen, bevor sie sich nicht aus der Gesammt-
nation ergänzt und verstärkt haben. Die letzten Landtags-Abschiede,


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[0012] ben, so wird wohl, so sehr man sich auch dagegen sträuben möge, nichts Anderes übrig bleiben, als im gemeinschaftlichen Einverständniß ein klares und hurtiges Grundgesetz abzufassen, wozu Deutschland nicht zu verachtende Muster bereits geliefert hat. Das Eine oder das Andere wird auf den nächsten Landtagen gewiß versucht werden; daß man diesmal schon zum Ziel gelangen wird, ist bei dem hefti¬ gen Widerstreben der Ansichten und dem bunten Kampf der Interessen kaum zu glauben. So viel kann nur mit höchster Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden, daß man durch die bevorstehenden parlamen¬ tarischen Verhandlungen diesem Ziele, wenn man es auch nicht voll¬ ständig erreicht, bedeutend näher rücken wird. Daß aber dasselbe in wenigen Jahren erreicht werden muß und wird, diesen Glauben hal¬ ten wir fest. „Es führt kein anderer Weg nach Küßnach." Eine andere, sehr bedenkliche Frage ist jedoch die: ob von den ge¬ genwärtigen Ständen angenommen werden könne, daß sie von der Nation zur Abfassung eines Grundgesetzes hinreichend bevollmächtigt seien? Nach dem Gesetz vom 22. Mai 1815, das unmittelbar nach dem ersten Friedensschlüsse erlassen wurde, zur Belohnung für die unerhörten Aufopferungen, welche das Volk in dem Befreiungskampfe der Dynastie gebracht hatte, sollte eine Vertretung des Volkes eingeführt werden. Statt dessen hat man aber eine bloße Vertretung des Grundeigenthums beliebt. Oder gibt es wohl Jemand, der be¬ haupten wollte, die Grundeigenthümer allein repräsentiren daS Volk? Die Grundeigentümer, welche obendrein durchschnittlich hoch verschul¬ det sind, und denen mithin nur ein Theil ihrer Besitzungen als freies Eigenthum gehört. Die Vervollständigung des Wahlrechts muß der Abfassung des Grundgesetzes ohnstreitig vorangehen. Wenn die jetzigen Provinzial-Stände wirklich von dem Geiste der strengsten Gerechtigkeit gegen ihre Mitbürger beseelt sind und keine Sonder- interessen, die sich in unsern Zeiten doch nicht mehr aufrecht erhalten lassen, mit mehr Beharrlichkeit als Einsicht verfolgen; wenn sie ihren Kindern und Nachkommen einen gesetzlich geordneten und auf Ver¬ nunft basirten Rechtszustand hinterlassen wollen; wenn sie der jetzigen Verstimmung in ihrem und im Interesse der Krone auf immer ein Ende zu machen ernstlich beabsichtigen, so werden sie an ein so wich¬ tiges Geschäft nicht eher gehen, bevor sie sich nicht aus der Gesammt- nation ergänzt und verstärkt haben. Die letzten Landtags-Abschiede,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/12>, abgerufen am 22.07.2024.