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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Verderben rennen, wenn es seine Stellung überschätzte. Letzteres ist
jedoch in Deutschland nicht zu fürchten, wenn man die Dinge nicht
auf die Spitze treibt. Ueberall in Deutschland wird die Nothwen^
digkeit der monarchischen Gewalt als Regierungs> Einheit anerkannt.
Das Volk oder vielmehr die gebildeten Klassen, welche allein eines
klaren Zweckes sich bewußt sind, fordern nur ihre Zuziehung bei der
Abfassung der Gesetze, ein Recht, das die Stande schon vor Tausend
Jahren unter Karl dem Großen in Deutschland besaßen, und eine
kräftige Controle der Verwaltung, die am sichersten und billigsten
nur durch ein öffentliches Staatsleben und eine geordnete Freiheit
der Presse zu erreichen ist. Darüber sind unter den redlichen Staats¬
genossen die Stimmen schon längst einig, und man schadet sich offen¬
bar selbst, wenn man noch länger ansteht, diesen Wünschen zu ge¬
nügen, und die Friedensjahre unbenutzt verstreichen läßt.

Die wechselseitigen Rechte der Regierung und des Volkes zu
verbriefen, damit darüber kein Zweifel obwalte, ist eine alte germa¬
nische Sitte, und nur die Polizeigewalt, welche allein die klarsten
Gesetze zu umgehen stets bemüht war, ist eine "welsche", deutscher Red¬
lichkeit unwürdige Erfindung. Ein solcher Mißbrauch der Gewalt,
der eine, schon tief gehende Verstimmung erzeugt hat, sollte vom deut¬
schen Boden auf immer verschwinden, und dabei können nur beide
Theile, der Thron und die Nation, gewinnen. Es ist bei aller An¬
strengung schwer begreiflich, wie man eine solche Neigung des deut¬
schen Volkes, seine Rechte klar und fest verbrieft zu sehen, bis jetzt
so sehr verkennen konnte, da es doch von selbst einleuchtend ist, daß,
wer seine eigenen Rechte festgestellt sehen will, stets von dem Wunsche
beseelt wird, auch die Rechte Anderer zu achten.

Daß die preußische Regierung selbst auf den nächsten Landtagen
Schritte thun wird, um eine ständische Einheit, die sie nicht mehr
entbehren kann, herbeizuführen, kann als ausgemacht angesehen wer¬
den, und wir wünschen im Interesse der Negierung, wie gesagt, nur,
daß es nicht ein transitorisches Flickwerk sein möge, welches die Na¬
tion mehr verstimmt als beruhigt. Da die bloße weitere Entwicke¬
lung der jetzt bestehenden Ausschüsse, wie die Königsberger Stände
gebeten haben, nicht zum Ziele führen dürfte und der Regierung, so
lange die Provinzial-Stände nicht ihre Vorrechte aufgeben, in legis¬
latorischer und finanzieller Beziehung immer die Hände gebunden blei-


Verderben rennen, wenn es seine Stellung überschätzte. Letzteres ist
jedoch in Deutschland nicht zu fürchten, wenn man die Dinge nicht
auf die Spitze treibt. Ueberall in Deutschland wird die Nothwen^
digkeit der monarchischen Gewalt als Regierungs> Einheit anerkannt.
Das Volk oder vielmehr die gebildeten Klassen, welche allein eines
klaren Zweckes sich bewußt sind, fordern nur ihre Zuziehung bei der
Abfassung der Gesetze, ein Recht, das die Stande schon vor Tausend
Jahren unter Karl dem Großen in Deutschland besaßen, und eine
kräftige Controle der Verwaltung, die am sichersten und billigsten
nur durch ein öffentliches Staatsleben und eine geordnete Freiheit
der Presse zu erreichen ist. Darüber sind unter den redlichen Staats¬
genossen die Stimmen schon längst einig, und man schadet sich offen¬
bar selbst, wenn man noch länger ansteht, diesen Wünschen zu ge¬
nügen, und die Friedensjahre unbenutzt verstreichen läßt.

Die wechselseitigen Rechte der Regierung und des Volkes zu
verbriefen, damit darüber kein Zweifel obwalte, ist eine alte germa¬
nische Sitte, und nur die Polizeigewalt, welche allein die klarsten
Gesetze zu umgehen stets bemüht war, ist eine „welsche", deutscher Red¬
lichkeit unwürdige Erfindung. Ein solcher Mißbrauch der Gewalt,
der eine, schon tief gehende Verstimmung erzeugt hat, sollte vom deut¬
schen Boden auf immer verschwinden, und dabei können nur beide
Theile, der Thron und die Nation, gewinnen. Es ist bei aller An¬
strengung schwer begreiflich, wie man eine solche Neigung des deut¬
schen Volkes, seine Rechte klar und fest verbrieft zu sehen, bis jetzt
so sehr verkennen konnte, da es doch von selbst einleuchtend ist, daß,
wer seine eigenen Rechte festgestellt sehen will, stets von dem Wunsche
beseelt wird, auch die Rechte Anderer zu achten.

Daß die preußische Regierung selbst auf den nächsten Landtagen
Schritte thun wird, um eine ständische Einheit, die sie nicht mehr
entbehren kann, herbeizuführen, kann als ausgemacht angesehen wer¬
den, und wir wünschen im Interesse der Negierung, wie gesagt, nur,
daß es nicht ein transitorisches Flickwerk sein möge, welches die Na¬
tion mehr verstimmt als beruhigt. Da die bloße weitere Entwicke¬
lung der jetzt bestehenden Ausschüsse, wie die Königsberger Stände
gebeten haben, nicht zum Ziele führen dürfte und der Regierung, so
lange die Provinzial-Stände nicht ihre Vorrechte aufgeben, in legis¬
latorischer und finanzieller Beziehung immer die Hände gebunden blei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/11>, abgerufen am 22.07.2024.