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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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So stehen nun die Sachen in Preußen: die Provinzial-Stände
wollen von ihren Vorrechten nicht ablassen und die Regierung kann
durch die Ausschüsse allein zur ständischen Einheit nicht gelmuzen.

Eine Vermittlung ist ohne eine tiefer gehende Verstimmung nur
dadurch zu erzielen, daß man den Reichsständen außer den oben ge¬
nannten, in dem Grundgesetz vom 5,. Juni 1823 garantirten Befugnissen,
noch größere Rechte, wie in anderen modernen Staaten bereits gesche¬
hen ist, einräumt und die acht Provinzial-Versammlungen für ihre
Verluste etwa dadurch einigermaßen entschädigt, daß man ihnen nach
altgermanischer Sitte die Präsentation der Kandidaten zu den ober¬
sten Richterstellen einräumt. Dadurch würden bei dem obersten Ge¬
richtshofe, wo das Recht im Wege des Erkennens seine Vollendung
erhält, alle Provinzen gleichmäßig repräsentirt werden und das Volk
zu seinen Entscheidungen größeres Zutrauen, als jetzt der Fall ist,
fassen. Diese Einrichtung muß um so billiger und gerechter erschein
nen, als zur Entscheidung in höchster Instanz, zumal wenn es sich
um politische Streitigkeiten und fiskalische Processe handelt, es eben
so viel auf Unabhängigkeit und Charakterfestigkeit, als auf Nechts-
kenntnisse ankommt.

Die Negierung soll, wie es allgemein heißt, um diese Vermitte¬
lung herbeizuführen, selbst die Initiative, was wir nur loben können,
ergreifen wollen. Wir wünschen aber in ihrem wohlverstandenen Inter¬
esse, daß sie dem Bedürfnisse der Neuzeit freiwillig mit freigebiger
Hand entgegenkomme und nicht den oft gescheiterten Versuch erneuern
möge, mit furchtsamer Halbheit das Minimum der Zugeständnisse
abzuzirkeln. Denn nur der ist wahrhaft stark und mächtig, welcher der Ver¬
nunft und den gerechtfertigten Wünschen der Gegenwart am nächsten steht.
Man hat in neuester Zeit mit den Begriffen monarchischer und Volks-
Souvercinetät eine Art Schachspiel getrieben, welches, nach einem be¬
kannten Wort, für ein Spiel zu ernsthaft und für Ernst zu spielerisch
ist. Souvereäntät, wenn sie nicht ein leerer Schall sein soll, muß
auf Macht sich stützen. Macht jedoch hängt von der richtigen Stel¬
lung ab, welche man in seiner Zeit zu nehmen versteht. Eine Re¬
gierung, welche die Zustände der Gegenwart nicht gründlich studirt
hat und richtig auffaßt, wird immer ohnmächtig sein, wenn sie sich
auch noch so viel Mühe gibt, ihre vermeintlichen Prärogative auf
dem Papiere festzuhalten. Eben so würde ein Volk sicherlich in's


So stehen nun die Sachen in Preußen: die Provinzial-Stände
wollen von ihren Vorrechten nicht ablassen und die Regierung kann
durch die Ausschüsse allein zur ständischen Einheit nicht gelmuzen.

Eine Vermittlung ist ohne eine tiefer gehende Verstimmung nur
dadurch zu erzielen, daß man den Reichsständen außer den oben ge¬
nannten, in dem Grundgesetz vom 5,. Juni 1823 garantirten Befugnissen,
noch größere Rechte, wie in anderen modernen Staaten bereits gesche¬
hen ist, einräumt und die acht Provinzial-Versammlungen für ihre
Verluste etwa dadurch einigermaßen entschädigt, daß man ihnen nach
altgermanischer Sitte die Präsentation der Kandidaten zu den ober¬
sten Richterstellen einräumt. Dadurch würden bei dem obersten Ge¬
richtshofe, wo das Recht im Wege des Erkennens seine Vollendung
erhält, alle Provinzen gleichmäßig repräsentirt werden und das Volk
zu seinen Entscheidungen größeres Zutrauen, als jetzt der Fall ist,
fassen. Diese Einrichtung muß um so billiger und gerechter erschein
nen, als zur Entscheidung in höchster Instanz, zumal wenn es sich
um politische Streitigkeiten und fiskalische Processe handelt, es eben
so viel auf Unabhängigkeit und Charakterfestigkeit, als auf Nechts-
kenntnisse ankommt.

Die Negierung soll, wie es allgemein heißt, um diese Vermitte¬
lung herbeizuführen, selbst die Initiative, was wir nur loben können,
ergreifen wollen. Wir wünschen aber in ihrem wohlverstandenen Inter¬
esse, daß sie dem Bedürfnisse der Neuzeit freiwillig mit freigebiger
Hand entgegenkomme und nicht den oft gescheiterten Versuch erneuern
möge, mit furchtsamer Halbheit das Minimum der Zugeständnisse
abzuzirkeln. Denn nur der ist wahrhaft stark und mächtig, welcher der Ver¬
nunft und den gerechtfertigten Wünschen der Gegenwart am nächsten steht.
Man hat in neuester Zeit mit den Begriffen monarchischer und Volks-
Souvercinetät eine Art Schachspiel getrieben, welches, nach einem be¬
kannten Wort, für ein Spiel zu ernsthaft und für Ernst zu spielerisch
ist. Souvereäntät, wenn sie nicht ein leerer Schall sein soll, muß
auf Macht sich stützen. Macht jedoch hängt von der richtigen Stel¬
lung ab, welche man in seiner Zeit zu nehmen versteht. Eine Re¬
gierung, welche die Zustände der Gegenwart nicht gründlich studirt
hat und richtig auffaßt, wird immer ohnmächtig sein, wenn sie sich
auch noch so viel Mühe gibt, ihre vermeintlichen Prärogative auf
dem Papiere festzuhalten. Eben so würde ein Volk sicherlich in's


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[0010] So stehen nun die Sachen in Preußen: die Provinzial-Stände wollen von ihren Vorrechten nicht ablassen und die Regierung kann durch die Ausschüsse allein zur ständischen Einheit nicht gelmuzen. Eine Vermittlung ist ohne eine tiefer gehende Verstimmung nur dadurch zu erzielen, daß man den Reichsständen außer den oben ge¬ nannten, in dem Grundgesetz vom 5,. Juni 1823 garantirten Befugnissen, noch größere Rechte, wie in anderen modernen Staaten bereits gesche¬ hen ist, einräumt und die acht Provinzial-Versammlungen für ihre Verluste etwa dadurch einigermaßen entschädigt, daß man ihnen nach altgermanischer Sitte die Präsentation der Kandidaten zu den ober¬ sten Richterstellen einräumt. Dadurch würden bei dem obersten Ge¬ richtshofe, wo das Recht im Wege des Erkennens seine Vollendung erhält, alle Provinzen gleichmäßig repräsentirt werden und das Volk zu seinen Entscheidungen größeres Zutrauen, als jetzt der Fall ist, fassen. Diese Einrichtung muß um so billiger und gerechter erschein nen, als zur Entscheidung in höchster Instanz, zumal wenn es sich um politische Streitigkeiten und fiskalische Processe handelt, es eben so viel auf Unabhängigkeit und Charakterfestigkeit, als auf Nechts- kenntnisse ankommt. Die Negierung soll, wie es allgemein heißt, um diese Vermitte¬ lung herbeizuführen, selbst die Initiative, was wir nur loben können, ergreifen wollen. Wir wünschen aber in ihrem wohlverstandenen Inter¬ esse, daß sie dem Bedürfnisse der Neuzeit freiwillig mit freigebiger Hand entgegenkomme und nicht den oft gescheiterten Versuch erneuern möge, mit furchtsamer Halbheit das Minimum der Zugeständnisse abzuzirkeln. Denn nur der ist wahrhaft stark und mächtig, welcher der Ver¬ nunft und den gerechtfertigten Wünschen der Gegenwart am nächsten steht. Man hat in neuester Zeit mit den Begriffen monarchischer und Volks- Souvercinetät eine Art Schachspiel getrieben, welches, nach einem be¬ kannten Wort, für ein Spiel zu ernsthaft und für Ernst zu spielerisch ist. Souvereäntät, wenn sie nicht ein leerer Schall sein soll, muß auf Macht sich stützen. Macht jedoch hängt von der richtigen Stel¬ lung ab, welche man in seiner Zeit zu nehmen versteht. Eine Re¬ gierung, welche die Zustände der Gegenwart nicht gründlich studirt hat und richtig auffaßt, wird immer ohnmächtig sein, wenn sie sich auch noch so viel Mühe gibt, ihre vermeintlichen Prärogative auf dem Papiere festzuhalten. Eben so würde ein Volk sicherlich in's

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/10>, abgerufen am 22.07.2024.