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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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In den Kreisen der hiesigen Gcldwelr macht jetzt ein Vorfall
großes Aufsehen, der einem der ersten Wiener Banquiers dreizehntau¬
send Gulden E.-M. gekostet hat. Zu dem Wechsler, Herrn E., kam
nämlich in diesen Tagen ein Fremder mit einigen Ordensbändern im
Knopfloch, der, nachdem er im Laufe des Gesprächs seine Vertrautheit
mit den innersten Verhältnissen der angesehensten Banquierhäuser in
Berlin und Hamburg bewiesen hatte, demselben erklärte, er sei eben
durch ein Ausammentreffen widerwärtiger Umstände in eine gepreßte
Lage gerathen, worin er dreizehntausend Gulden dringend benöthige.
Da der Fremde seine Angelegenheit sehr plausibel darzustellen wußte
und der Banquier wohl hoffen mochte, sich durch diesen gewagten
Dienst lucrative Connexionen zu gewinnen, so ging er in die Falle.
Der Fremde, der sich als preußischer Justizrath eingeführt und als
solcher zu legitimiren gewußt hatte, war von dieser Stunde an ver¬
schwunden. Es ist hier weniger der pecuniäre Verlust, was dabei in
Anschlag zu bringen, als der unschmeichelhafte Ruf, sich haben dupiren
zu lassen, was einen Kaufmann immer am meisten schmerzt.

Ein anderes Ereignis", dessen Schauplatz unsere Stadt kürzlich
gewesen, würde in Paris gewiß binnen vierzehn Tagen zu einem ef¬
fectvollen Melodrama umgestaltet worden sein, denn es spielt sehr stark
in das Hochroth der Romantik, obschon ich dessen Wahrheit vollkom¬
men verbürgen kann. Zwei junge Schottländer, Studirende von Edin-
burg, langten auf ihrer Continentalreise hier an und wohnten im Gast¬
hofe zum "weißen Roß" in der Leopoldstadt. Sie hatten Empfeh¬
lungsbriefe an einen hier lebenden Regierungsrath, der es sich ange¬
legen sein ließ, die jungen Männer in die hiesige Welt einzufüh¬
ren. An einem Nachmittage erkundigt sich einer von ihnen bei dem
Wirthe um einen passenden Badeort und wird zur Schwimmschule
gewiesen. Abends erscheint er nicht wieder, und sein Bruder läßt sich
-damit vertrösten, er werde wohl in's Theater gegangen sein. Nach
einer schlaflosen Nacht eilt der zärtliche Bruder am frühen Morgen
auf das Polizeiamt, wo bereits die Kleider und Kostbarkeiten des
Verschwundenen deponirt waren, die ein Polizeiagent in den Praterauen
am Donauufer gefunden hatte. Bei dem Anblick dieser Kleider bricht
der Engländer mit einem Schrei des Schreckens zusammen und als
derselbe wieder zur Besinnung kommt, hat er --- den Verstand ver¬
loren. Hier, wo die Bande des Familienlebens ziemlich locker sind,
können viele Leute diesen maßlosen Bruderschmerz nicht begreifen, we¬
niger seltsam aber wird er solchen erscheinen, die die sittliche Reinheit
und Strenge des englischen Familienbandes kennen, denn in diesem
Punkte sind die Engländer ohne alle Widerrede das Muster der üb¬
rigen Nationen.

Die österreichische Marine geht einer gänzlichen Reorganisation
entgegen, indem die in Folge der bekannten Desertion der Seeoffiziere


II "

In den Kreisen der hiesigen Gcldwelr macht jetzt ein Vorfall
großes Aufsehen, der einem der ersten Wiener Banquiers dreizehntau¬
send Gulden E.-M. gekostet hat. Zu dem Wechsler, Herrn E., kam
nämlich in diesen Tagen ein Fremder mit einigen Ordensbändern im
Knopfloch, der, nachdem er im Laufe des Gesprächs seine Vertrautheit
mit den innersten Verhältnissen der angesehensten Banquierhäuser in
Berlin und Hamburg bewiesen hatte, demselben erklärte, er sei eben
durch ein Ausammentreffen widerwärtiger Umstände in eine gepreßte
Lage gerathen, worin er dreizehntausend Gulden dringend benöthige.
Da der Fremde seine Angelegenheit sehr plausibel darzustellen wußte
und der Banquier wohl hoffen mochte, sich durch diesen gewagten
Dienst lucrative Connexionen zu gewinnen, so ging er in die Falle.
Der Fremde, der sich als preußischer Justizrath eingeführt und als
solcher zu legitimiren gewußt hatte, war von dieser Stunde an ver¬
schwunden. Es ist hier weniger der pecuniäre Verlust, was dabei in
Anschlag zu bringen, als der unschmeichelhafte Ruf, sich haben dupiren
zu lassen, was einen Kaufmann immer am meisten schmerzt.

Ein anderes Ereignis«, dessen Schauplatz unsere Stadt kürzlich
gewesen, würde in Paris gewiß binnen vierzehn Tagen zu einem ef¬
fectvollen Melodrama umgestaltet worden sein, denn es spielt sehr stark
in das Hochroth der Romantik, obschon ich dessen Wahrheit vollkom¬
men verbürgen kann. Zwei junge Schottländer, Studirende von Edin-
burg, langten auf ihrer Continentalreise hier an und wohnten im Gast¬
hofe zum „weißen Roß" in der Leopoldstadt. Sie hatten Empfeh¬
lungsbriefe an einen hier lebenden Regierungsrath, der es sich ange¬
legen sein ließ, die jungen Männer in die hiesige Welt einzufüh¬
ren. An einem Nachmittage erkundigt sich einer von ihnen bei dem
Wirthe um einen passenden Badeort und wird zur Schwimmschule
gewiesen. Abends erscheint er nicht wieder, und sein Bruder läßt sich
-damit vertrösten, er werde wohl in's Theater gegangen sein. Nach
einer schlaflosen Nacht eilt der zärtliche Bruder am frühen Morgen
auf das Polizeiamt, wo bereits die Kleider und Kostbarkeiten des
Verschwundenen deponirt waren, die ein Polizeiagent in den Praterauen
am Donauufer gefunden hatte. Bei dem Anblick dieser Kleider bricht
der Engländer mit einem Schrei des Schreckens zusammen und als
derselbe wieder zur Besinnung kommt, hat er —- den Verstand ver¬
loren. Hier, wo die Bande des Familienlebens ziemlich locker sind,
können viele Leute diesen maßlosen Bruderschmerz nicht begreifen, we¬
niger seltsam aber wird er solchen erscheinen, die die sittliche Reinheit
und Strenge des englischen Familienbandes kennen, denn in diesem
Punkte sind die Engländer ohne alle Widerrede das Muster der üb¬
rigen Nationen.

Die österreichische Marine geht einer gänzlichen Reorganisation
entgegen, indem die in Folge der bekannten Desertion der Seeoffiziere


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[0087] In den Kreisen der hiesigen Gcldwelr macht jetzt ein Vorfall großes Aufsehen, der einem der ersten Wiener Banquiers dreizehntau¬ send Gulden E.-M. gekostet hat. Zu dem Wechsler, Herrn E., kam nämlich in diesen Tagen ein Fremder mit einigen Ordensbändern im Knopfloch, der, nachdem er im Laufe des Gesprächs seine Vertrautheit mit den innersten Verhältnissen der angesehensten Banquierhäuser in Berlin und Hamburg bewiesen hatte, demselben erklärte, er sei eben durch ein Ausammentreffen widerwärtiger Umstände in eine gepreßte Lage gerathen, worin er dreizehntausend Gulden dringend benöthige. Da der Fremde seine Angelegenheit sehr plausibel darzustellen wußte und der Banquier wohl hoffen mochte, sich durch diesen gewagten Dienst lucrative Connexionen zu gewinnen, so ging er in die Falle. Der Fremde, der sich als preußischer Justizrath eingeführt und als solcher zu legitimiren gewußt hatte, war von dieser Stunde an ver¬ schwunden. Es ist hier weniger der pecuniäre Verlust, was dabei in Anschlag zu bringen, als der unschmeichelhafte Ruf, sich haben dupiren zu lassen, was einen Kaufmann immer am meisten schmerzt. Ein anderes Ereignis«, dessen Schauplatz unsere Stadt kürzlich gewesen, würde in Paris gewiß binnen vierzehn Tagen zu einem ef¬ fectvollen Melodrama umgestaltet worden sein, denn es spielt sehr stark in das Hochroth der Romantik, obschon ich dessen Wahrheit vollkom¬ men verbürgen kann. Zwei junge Schottländer, Studirende von Edin- burg, langten auf ihrer Continentalreise hier an und wohnten im Gast¬ hofe zum „weißen Roß" in der Leopoldstadt. Sie hatten Empfeh¬ lungsbriefe an einen hier lebenden Regierungsrath, der es sich ange¬ legen sein ließ, die jungen Männer in die hiesige Welt einzufüh¬ ren. An einem Nachmittage erkundigt sich einer von ihnen bei dem Wirthe um einen passenden Badeort und wird zur Schwimmschule gewiesen. Abends erscheint er nicht wieder, und sein Bruder läßt sich -damit vertrösten, er werde wohl in's Theater gegangen sein. Nach einer schlaflosen Nacht eilt der zärtliche Bruder am frühen Morgen auf das Polizeiamt, wo bereits die Kleider und Kostbarkeiten des Verschwundenen deponirt waren, die ein Polizeiagent in den Praterauen am Donauufer gefunden hatte. Bei dem Anblick dieser Kleider bricht der Engländer mit einem Schrei des Schreckens zusammen und als derselbe wieder zur Besinnung kommt, hat er —- den Verstand ver¬ loren. Hier, wo die Bande des Familienlebens ziemlich locker sind, können viele Leute diesen maßlosen Bruderschmerz nicht begreifen, we¬ niger seltsam aber wird er solchen erscheinen, die die sittliche Reinheit und Strenge des englischen Familienbandes kennen, denn in diesem Punkte sind die Engländer ohne alle Widerrede das Muster der üb¬ rigen Nationen. Die österreichische Marine geht einer gänzlichen Reorganisation entgegen, indem die in Folge der bekannten Desertion der Seeoffiziere II »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/87>, abgerufen am 27.07.2024.