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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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dastanden, damit sie sich an der kühlen Herbstluft nicht erkalten. Der
Cicero von Meldung verstand diesen Gnadcnwink und verschluckte
seine Rede, die ohnedem nichts Neues gesagt haben würde. -- Einen
ungünstigen Eindruck haben einige Zwischenfalle, die sich wahrend des
kurzen Aufenthalts ereigneten, nach dortigen Mittheilungen auf die
hohen Reisenden gemacht, besonders auf das Gemüth der Kaiserin,
welches so leicht erschüttert wird und allen Ahnungen zugänglich ist.
Vor ihren Augen haben mehrere Menschen durch den Umsturz eines
leichtsinnig errichteten Gitters mit gemauerten Pfeilern schwere Ver¬
wundungen erlitten, als eben die Truppen der Garnison über den
Platz defilirten. Den zweiten Tag schlug ihr beim Heraustritt aus
der Festhalle die helle Lohe eines in Brand gerathenen Brauhauses
entgegen, deren rother Widerschein die grauen Mauern der nahen
Pfarrkirche mit einem unheimlichen Gluthschimmer übergoß. -- Bei
dem zu Ehren des Monarchen veranstalteten Feste wurden kriegerische
Spiele im mittelalterlichen Geiste von geharnischten Männern ausge¬
führt und der Gegensatz der eisernen Herrlichkeit des steiermärLischcn
Ritterthums mit der modernen Eleganz der Uniformen und Staats-
kleidcr soll ein sehr pikantes Bild geboten haben. Die Anordner des
Festes hatten im Saale auch einige staatsrechtliche und historische Cu-
riositäten der Steiermark anzubringen gewußt, deren Anblick vielleicht
auf manches Antlitz ein diplomatisches Lächeln hinzauberte. Wir
verstehen darunter nicht etwa die Reimchronik von Hornet, auch nicht
den colossalen Silberpocal, welcher der Landschadenbund heißt, sondern
jenes gelbgraue Pergamentbuch, das noch immer da ist, nachdem be¬
reits Alles verschwunden, was darin steht. Dieses Pergament, das
sich ausnahm, wie ein politisches Gespenst der Vorzeit, ist die Land-
handveste Ottokar's, des heldenkühnen Böhmenkönigs, der dem Bür¬
gerkönig seiner Zeit, dem milden-und klugen Habsburg, erlegen. Otto¬
kar hatte diese Verfassungsurkunde den steiermärkischen Standen aus¬
gestellt, und seitdem mußten die in derselben ausgesprochenen Rechte
von allen steierischen Herzogen feierlich beschworen werden, bevor ihnen
der Huldigungseid geleistet wurde. Die Unterdrückung der Reforma¬
tion hat auch hier die Veranlassung gegeben, die Fürstengewalt auf
Kosten der ständischen Gerechtsame zu verstärken, doch blieb die Be¬
schwörung der Verfassung bis auf Kaiser Karl VI. im Gebrauch.
Dieser Kaiser war der letzte Herzog von Steiermark, welcher die von
Ottokar verliehene Verfassung des Landes eidlich anerkannte, mit sei¬
ner Tochter Maria Theresia unterblieb dieser ohnehin blos zur leeren
Ceremonie herabgesunkene Act gänzlich und kam von dieser Aelt an
nicht mehr in Aufnahme. Was nützt auch solches Formenspiel mit
Dingen, aus denen nun doch einmal der Geist entwichen; wäre der
Geist, in dem diese Landhandveste verfaßt ist, wirklich vorhanden, er
würde sich wohl schon einen neuen Leib geschaffen haben.


dastanden, damit sie sich an der kühlen Herbstluft nicht erkalten. Der
Cicero von Meldung verstand diesen Gnadcnwink und verschluckte
seine Rede, die ohnedem nichts Neues gesagt haben würde. — Einen
ungünstigen Eindruck haben einige Zwischenfalle, die sich wahrend des
kurzen Aufenthalts ereigneten, nach dortigen Mittheilungen auf die
hohen Reisenden gemacht, besonders auf das Gemüth der Kaiserin,
welches so leicht erschüttert wird und allen Ahnungen zugänglich ist.
Vor ihren Augen haben mehrere Menschen durch den Umsturz eines
leichtsinnig errichteten Gitters mit gemauerten Pfeilern schwere Ver¬
wundungen erlitten, als eben die Truppen der Garnison über den
Platz defilirten. Den zweiten Tag schlug ihr beim Heraustritt aus
der Festhalle die helle Lohe eines in Brand gerathenen Brauhauses
entgegen, deren rother Widerschein die grauen Mauern der nahen
Pfarrkirche mit einem unheimlichen Gluthschimmer übergoß. — Bei
dem zu Ehren des Monarchen veranstalteten Feste wurden kriegerische
Spiele im mittelalterlichen Geiste von geharnischten Männern ausge¬
führt und der Gegensatz der eisernen Herrlichkeit des steiermärLischcn
Ritterthums mit der modernen Eleganz der Uniformen und Staats-
kleidcr soll ein sehr pikantes Bild geboten haben. Die Anordner des
Festes hatten im Saale auch einige staatsrechtliche und historische Cu-
riositäten der Steiermark anzubringen gewußt, deren Anblick vielleicht
auf manches Antlitz ein diplomatisches Lächeln hinzauberte. Wir
verstehen darunter nicht etwa die Reimchronik von Hornet, auch nicht
den colossalen Silberpocal, welcher der Landschadenbund heißt, sondern
jenes gelbgraue Pergamentbuch, das noch immer da ist, nachdem be¬
reits Alles verschwunden, was darin steht. Dieses Pergament, das
sich ausnahm, wie ein politisches Gespenst der Vorzeit, ist die Land-
handveste Ottokar's, des heldenkühnen Böhmenkönigs, der dem Bür¬
gerkönig seiner Zeit, dem milden-und klugen Habsburg, erlegen. Otto¬
kar hatte diese Verfassungsurkunde den steiermärkischen Standen aus¬
gestellt, und seitdem mußten die in derselben ausgesprochenen Rechte
von allen steierischen Herzogen feierlich beschworen werden, bevor ihnen
der Huldigungseid geleistet wurde. Die Unterdrückung der Reforma¬
tion hat auch hier die Veranlassung gegeben, die Fürstengewalt auf
Kosten der ständischen Gerechtsame zu verstärken, doch blieb die Be¬
schwörung der Verfassung bis auf Kaiser Karl VI. im Gebrauch.
Dieser Kaiser war der letzte Herzog von Steiermark, welcher die von
Ottokar verliehene Verfassung des Landes eidlich anerkannte, mit sei¬
ner Tochter Maria Theresia unterblieb dieser ohnehin blos zur leeren
Ceremonie herabgesunkene Act gänzlich und kam von dieser Aelt an
nicht mehr in Aufnahme. Was nützt auch solches Formenspiel mit
Dingen, aus denen nun doch einmal der Geist entwichen; wäre der
Geist, in dem diese Landhandveste verfaßt ist, wirklich vorhanden, er
würde sich wohl schon einen neuen Leib geschaffen haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/86>, abgerufen am 27.07.2024.