Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.schein gebracht werden kann, ohne der Censur und Polizei faßbar zu schein gebracht werden kann, ohne der Censur und Polizei faßbar zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0008" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181192"/> <p xml:id="ID_5" prev="#ID_4" next="#ID_6"> schein gebracht werden kann, ohne der Censur und Polizei faßbar zu<lb/> sein. Denn diese ziehen aus mit Spießen und Stangen, den Geist<lb/> der Zeit zu fangen, er aber schreitet mitten durch sie hin. Auch hat<lb/> doch schon die öffentliche Meinung selbst bei uns so vielen Raum<lb/> gewonnen, um von da aus wieder operiren zu können. Darf die<lb/> dramatische Poesie daher noch nicht wagen, direct auf den heutigen<lb/> politischen Begriff loszugehen, so bleiben ihr doch die Analogien der<lb/> Geschichte, so wie bedeutende Probleme aus dem religiösen und ge¬<lb/> sellschaftlichen Leben der Gegenwart, Dinge, die den Fürchtenden<lb/> minder verfänglich erscheinen. Genug, es blieb eine Möglichkeit, die<lb/> dramatische Poesie zu frischem Leben zu erwecken. Denn sie schlief,<lb/> in der Versenkung lag sie und schlief, und auf den Brettern, die die<lb/> Welt bedeuten, wucherte Unkraut: geistlose Opern, schlechte Uebersez-<lb/> zungen, alberne Vallets; kaum sichtbar und erkennbar vor den gelten<lb/> Ranken und dem struppigen Gebüsch standen Lessing, Göthe und<lb/> Schiller, und der fremde, aber glücklich verpflanzte Baum Shakspeare.<lb/> Productionen aus dem Sinn und Geist der Zeit heraus gab es gar<lb/> nicht, die Stücke aus der großen Epoche der Literatur, so wie die<lb/> des Briten gingen selten über die Bühne, und dann so gut wie wir¬<lb/> kungslos, entweder vor leerem, oder blos um irgend eines renommir-<lb/> ten Schauspielers willen gefülltem Hause. Nicht die Poesie machte das<lb/> Interesse des Theaters aus; ein Künstler vielleicht, ein einzelner Schwan<lb/> unter Krähen und Naben. So stand es mit dem Theater seit Gö-<lb/> the's und Schiller's Blüthezeit, seit welcher nur Weniges von wahrer<lb/> Kunstbedeutung geschaffen worden war, und dies wiederum nicht ei¬<lb/> gentlich für die Bühne, oder'doch von der Bühne nicht aufgenom¬<lb/> men, nicht beachtet. Man überblicke die Reihe der Dramatiker von<lb/> jener Epoche ab, was haben sie zur Förderung des Theaters gewirkt?<lb/> Es fehlt darunter nicht an bedeutenden Talenten, aber gerade die<lb/> bedeutendsten, wie Platen, Grabbe, Immermann, sind auf der Bühne<lb/> zu keinem Leben gekommen. — Diese drei waren nun todt, als die<lb/> Literatur jene neue Wendung aus das Dramatische nahm, andere,<lb/> wie Raupach, so gut wie todt, unfähig, an dem frischen Streben<lb/> irgendwie Antheil zu nehmen. Aber noch waren Kräfte vorhanden,<lb/> der echt dramatische Grillparzer, der reiche, gewandte Halm, die, von<lb/> der Bühne seit^längerer Zeit aufgenommen, von den Sympathien der<lb/> Romantik losgemacht und für die jüngste Entwickelung gewonnen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0008]
schein gebracht werden kann, ohne der Censur und Polizei faßbar zu
sein. Denn diese ziehen aus mit Spießen und Stangen, den Geist
der Zeit zu fangen, er aber schreitet mitten durch sie hin. Auch hat
doch schon die öffentliche Meinung selbst bei uns so vielen Raum
gewonnen, um von da aus wieder operiren zu können. Darf die
dramatische Poesie daher noch nicht wagen, direct auf den heutigen
politischen Begriff loszugehen, so bleiben ihr doch die Analogien der
Geschichte, so wie bedeutende Probleme aus dem religiösen und ge¬
sellschaftlichen Leben der Gegenwart, Dinge, die den Fürchtenden
minder verfänglich erscheinen. Genug, es blieb eine Möglichkeit, die
dramatische Poesie zu frischem Leben zu erwecken. Denn sie schlief,
in der Versenkung lag sie und schlief, und auf den Brettern, die die
Welt bedeuten, wucherte Unkraut: geistlose Opern, schlechte Uebersez-
zungen, alberne Vallets; kaum sichtbar und erkennbar vor den gelten
Ranken und dem struppigen Gebüsch standen Lessing, Göthe und
Schiller, und der fremde, aber glücklich verpflanzte Baum Shakspeare.
Productionen aus dem Sinn und Geist der Zeit heraus gab es gar
nicht, die Stücke aus der großen Epoche der Literatur, so wie die
des Briten gingen selten über die Bühne, und dann so gut wie wir¬
kungslos, entweder vor leerem, oder blos um irgend eines renommir-
ten Schauspielers willen gefülltem Hause. Nicht die Poesie machte das
Interesse des Theaters aus; ein Künstler vielleicht, ein einzelner Schwan
unter Krähen und Naben. So stand es mit dem Theater seit Gö-
the's und Schiller's Blüthezeit, seit welcher nur Weniges von wahrer
Kunstbedeutung geschaffen worden war, und dies wiederum nicht ei¬
gentlich für die Bühne, oder'doch von der Bühne nicht aufgenom¬
men, nicht beachtet. Man überblicke die Reihe der Dramatiker von
jener Epoche ab, was haben sie zur Förderung des Theaters gewirkt?
Es fehlt darunter nicht an bedeutenden Talenten, aber gerade die
bedeutendsten, wie Platen, Grabbe, Immermann, sind auf der Bühne
zu keinem Leben gekommen. — Diese drei waren nun todt, als die
Literatur jene neue Wendung aus das Dramatische nahm, andere,
wie Raupach, so gut wie todt, unfähig, an dem frischen Streben
irgendwie Antheil zu nehmen. Aber noch waren Kräfte vorhanden,
der echt dramatische Grillparzer, der reiche, gewandte Halm, die, von
der Bühne seit^längerer Zeit aufgenommen, von den Sympathien der
Romantik losgemacht und für die jüngste Entwickelung gewonnen
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