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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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werden mußten. Grillparzer hatte bereits aus eigener Triebkraft mit
seinem Ottokar einen bedeutenden Schritt herüber gethan, und, wie
einzelne Aeußerungen von ihmZ hoffen ließen, durste man auf ihn mit
Bestimmtheit rechnen. Halm, dieser Liebling'des Publicums, Zank¬
apfel der Kritik, scheint gleichfalls mit dem Sampiero unter die neue
Fahne getreten zu sein. Als Dritter zu diesen ist der geniale Heb-
bel zu nennen, dessen Auftreten ziemlich mit dem Zeitpunkte in Rede
zusammenfällt, obwohl er nicht in unmittelbarem Zusammenhange mit
den Bestrebungen der Andern stand. Zu diesen vorhandenen Künst¬
lern nun mußten sich neue gesellen; und so ist es geschehen, und
zwar von diesen gerade ist der Anstoß ausgegangen. Am meisten
Aufsehen erregte Gutzkow, als er anfing, seine Thätigkeit auf die
Bühne zu wenden. Vor, mit und nach ihm traten auf Marggraff,
Beck, Mosen, Prutz, Kühne, Laube und Andere.

Noch war aber kein bedeutender Erfolg errungen, als von Ber¬
lin aus Versuche in ganz anderem Sinne unternommen wurden. In
ganz anderem? Allerdings! Und doch nicht ganz. Auch diesen lag
vielleicht die Absicht zu Grunde, unsere so tief' gesunkene Bühne wie¬
der zu heben, zu reformiren. Oder war das Ganze Nichts als eine
Laune? Doch jene tiefere Absicht zugegeben, so war diese das Ein¬
zige, was die Berliner Versuche mit den oben besprochenen gemein
hatten. Im Uebrigen waren beide Richtungen durchaus verschieden,
die Berliner ging höchstens auf ein Aeußerliches, Formales. Man
brachte die Antigone des Sophokles, so wie die Medea des Euripi-
des zur Aufführung, dann Shcckspeare's Sommernachtstraum und
weiterhin in beschränkteren Kreisen Plautus, Aristophanes und Tieck'ö
gestiefelten Kater. Endlich möchte ich hierher auch die Aufführung
des Moliere'schen Tartüffe rechnen. -- Viele Kritiker stießen bei die¬
sen Unternehmungen in die Lobesposaune und prophezeiten die Mor¬
genröthe einer neuen Aera, andere hielten zurück; doch nicht allzu¬
lange. Bald genug geriethen die beiden Richtungen in offenen Kampf,
das heißt, die junge Literatur fiel mit Heftigkeit über die classisch-
romantischen Abenteurer her, die vornehm schwiegen und in nachläs¬
sig stolzer Ruhe ihren Weg fortsetzen zu wollen schienen, nun aber
doch, allem Ansehen nach, sich betroffen fühlen und verblüfft. Denn
mit ungewöhnlicher Entschiedenheit hat die junge Literatur diese Ber¬
liner Experimente zurückgewiesen, am nachdrücklichsten der Telegraph


werden mußten. Grillparzer hatte bereits aus eigener Triebkraft mit
seinem Ottokar einen bedeutenden Schritt herüber gethan, und, wie
einzelne Aeußerungen von ihmZ hoffen ließen, durste man auf ihn mit
Bestimmtheit rechnen. Halm, dieser Liebling'des Publicums, Zank¬
apfel der Kritik, scheint gleichfalls mit dem Sampiero unter die neue
Fahne getreten zu sein. Als Dritter zu diesen ist der geniale Heb-
bel zu nennen, dessen Auftreten ziemlich mit dem Zeitpunkte in Rede
zusammenfällt, obwohl er nicht in unmittelbarem Zusammenhange mit
den Bestrebungen der Andern stand. Zu diesen vorhandenen Künst¬
lern nun mußten sich neue gesellen; und so ist es geschehen, und
zwar von diesen gerade ist der Anstoß ausgegangen. Am meisten
Aufsehen erregte Gutzkow, als er anfing, seine Thätigkeit auf die
Bühne zu wenden. Vor, mit und nach ihm traten auf Marggraff,
Beck, Mosen, Prutz, Kühne, Laube und Andere.

Noch war aber kein bedeutender Erfolg errungen, als von Ber¬
lin aus Versuche in ganz anderem Sinne unternommen wurden. In
ganz anderem? Allerdings! Und doch nicht ganz. Auch diesen lag
vielleicht die Absicht zu Grunde, unsere so tief' gesunkene Bühne wie¬
der zu heben, zu reformiren. Oder war das Ganze Nichts als eine
Laune? Doch jene tiefere Absicht zugegeben, so war diese das Ein¬
zige, was die Berliner Versuche mit den oben besprochenen gemein
hatten. Im Uebrigen waren beide Richtungen durchaus verschieden,
die Berliner ging höchstens auf ein Aeußerliches, Formales. Man
brachte die Antigone des Sophokles, so wie die Medea des Euripi-
des zur Aufführung, dann Shcckspeare's Sommernachtstraum und
weiterhin in beschränkteren Kreisen Plautus, Aristophanes und Tieck'ö
gestiefelten Kater. Endlich möchte ich hierher auch die Aufführung
des Moliere'schen Tartüffe rechnen. — Viele Kritiker stießen bei die¬
sen Unternehmungen in die Lobesposaune und prophezeiten die Mor¬
genröthe einer neuen Aera, andere hielten zurück; doch nicht allzu¬
lange. Bald genug geriethen die beiden Richtungen in offenen Kampf,
das heißt, die junge Literatur fiel mit Heftigkeit über die classisch-
romantischen Abenteurer her, die vornehm schwiegen und in nachläs¬
sig stolzer Ruhe ihren Weg fortsetzen zu wollen schienen, nun aber
doch, allem Ansehen nach, sich betroffen fühlen und verblüfft. Denn
mit ungewöhnlicher Entschiedenheit hat die junge Literatur diese Ber¬
liner Experimente zurückgewiesen, am nachdrücklichsten der Telegraph


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[0009] werden mußten. Grillparzer hatte bereits aus eigener Triebkraft mit seinem Ottokar einen bedeutenden Schritt herüber gethan, und, wie einzelne Aeußerungen von ihmZ hoffen ließen, durste man auf ihn mit Bestimmtheit rechnen. Halm, dieser Liebling'des Publicums, Zank¬ apfel der Kritik, scheint gleichfalls mit dem Sampiero unter die neue Fahne getreten zu sein. Als Dritter zu diesen ist der geniale Heb- bel zu nennen, dessen Auftreten ziemlich mit dem Zeitpunkte in Rede zusammenfällt, obwohl er nicht in unmittelbarem Zusammenhange mit den Bestrebungen der Andern stand. Zu diesen vorhandenen Künst¬ lern nun mußten sich neue gesellen; und so ist es geschehen, und zwar von diesen gerade ist der Anstoß ausgegangen. Am meisten Aufsehen erregte Gutzkow, als er anfing, seine Thätigkeit auf die Bühne zu wenden. Vor, mit und nach ihm traten auf Marggraff, Beck, Mosen, Prutz, Kühne, Laube und Andere. Noch war aber kein bedeutender Erfolg errungen, als von Ber¬ lin aus Versuche in ganz anderem Sinne unternommen wurden. In ganz anderem? Allerdings! Und doch nicht ganz. Auch diesen lag vielleicht die Absicht zu Grunde, unsere so tief' gesunkene Bühne wie¬ der zu heben, zu reformiren. Oder war das Ganze Nichts als eine Laune? Doch jene tiefere Absicht zugegeben, so war diese das Ein¬ zige, was die Berliner Versuche mit den oben besprochenen gemein hatten. Im Uebrigen waren beide Richtungen durchaus verschieden, die Berliner ging höchstens auf ein Aeußerliches, Formales. Man brachte die Antigone des Sophokles, so wie die Medea des Euripi- des zur Aufführung, dann Shcckspeare's Sommernachtstraum und weiterhin in beschränkteren Kreisen Plautus, Aristophanes und Tieck'ö gestiefelten Kater. Endlich möchte ich hierher auch die Aufführung des Moliere'schen Tartüffe rechnen. — Viele Kritiker stießen bei die¬ sen Unternehmungen in die Lobesposaune und prophezeiten die Mor¬ genröthe einer neuen Aera, andere hielten zurück; doch nicht allzu¬ lange. Bald genug geriethen die beiden Richtungen in offenen Kampf, das heißt, die junge Literatur fiel mit Heftigkeit über die classisch- romantischen Abenteurer her, die vornehm schwiegen und in nachläs¬ sig stolzer Ruhe ihren Weg fortsetzen zu wollen schienen, nun aber doch, allem Ansehen nach, sich betroffen fühlen und verblüfft. Denn mit ungewöhnlicher Entschiedenheit hat die junge Literatur diese Ber¬ liner Experimente zurückgewiesen, am nachdrücklichsten der Telegraph

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/9>, abgerufen am 01.09.2024.