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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Aber in den österreichischen Provinzen und zumal in Böhmen herrscht
ein anderer Geist; so hat denn der eingeschlagene Weg des Grafen
Salm nicht nur die von ihm so redlich gehofften Resultate nicht her¬
beigeführt, sondern er hat eine andere schlimme Ader geöffnet, die der
Denunciation. -- Nicht der bedrückte, in seinem Rechte geschmälerte
Bürger tritt als Kläger auf, sondern der Beamte, der nach Beförde¬
rung jagt, nicht der Rechtliche, sondern der Neidische. Das verpönte
französische Sprüchlein: "M"- den iwui- <>us ^ in'^ mette" steht
bei uns jetzt in voller Blüthe. Nicht Klagen, das heißt offene, frei¬
müthige, sondern Denunciationen, das heißt heimlich schleichende, ma¬
chen sich Bahn. Tausend Widersprüche dringen zugleich zu dem Ohre
des Untersuchenden; vergebens bemüht er sich, Licht in der Sache zu
bekommen. Der Unterstand, die Papierstöße hemmen überall seinen
Blick, er weiß nicht, wem er trauen soll, denn überall stößt er auf
Egoismus, auf Kameraderie und Nepotenwirthschast. In Mitte solcher
Zustände wird ein ernster, oft getäuschter Mensch endlich mißtrauisch
gegen Jedermann, und hier stehen wir denn bei einem Charakterzüge
des Grafen Salm, der, so motivirt und aus so edler Quelle er ent¬
sprungen ist, dennoch auch seine schlimme Seite hat. Umgeben von
einer corrumpirten Welt, droht dem Grafen Salm die Gefahr, allen
Glauben an die Menschheit zu verlieren, und im Gegensatze von je¬
nem voltaire'schen Helden', diese Welt, für die schlimmste zu erklären.
Es wäre traurig, wenn das Her; eines jungen Staatsmannes, dem
noch ein größerer Wirkungskreis vorbehalten ist, so zeitig in Welt¬
verachtung unterginge! Schon jetzt ist der Graf geneigt, von Menschen
und Dingen eher das Schlimme, als das Gute zu glauben, wodurch
w.der seinen Willen das Kind mit dem Bade oft verschüttet wird.
Zudem leidet der Graf an dem Fehler vieler Staatsmänner, die, wenn
sie einmal über den politischen Zweck mit sich im Reinen sind, die
Elasticität unserer gesetzlichen Bestimmungen nach ihrer persönlichen
Einsicht behandeln; so daß die Ausführung oft den Anstrich der Scho¬
nungslosigkeit und des Absolutismus trägt.

Die Schrift: "Prag und die Prager" (Leipzig. Reclam, 1844)
macht, ungeachtet sie strenge verboten ist, die Runde durch alle Hände
und großen Spektakel und Skandal wegen der vielen -- oft sehr ge¬
meinen -- Persönlichkeiten, welche sie enthält. Da alle Welt den
Grafen * * * als Verfasser derselben nennt, so ist es kein Ge¬
heimniß, das ich verrathe, wenn ich ihn als solchen bezeichne. Der
arme Graf (arm im buchstäblichen Sinne des Wortes), der in seinem
Leben so viele Schicksale erlebt hat, -- er war gemeiner Soldat, Mönch,
possendichtcr fürdie Leopoldstadt, und wenn ich nicht irre, auch Schauspieler"
hat durch seine Verheiratung vollends mit seinen Standesgenossen ver¬
dorben und lebt nun ganz allein von dem Ertrage seiner Feder. Ohne
Kenntnisse und ohne Schriftstellertalent ist der Mann um so bewun-


Aber in den österreichischen Provinzen und zumal in Böhmen herrscht
ein anderer Geist; so hat denn der eingeschlagene Weg des Grafen
Salm nicht nur die von ihm so redlich gehofften Resultate nicht her¬
beigeführt, sondern er hat eine andere schlimme Ader geöffnet, die der
Denunciation. — Nicht der bedrückte, in seinem Rechte geschmälerte
Bürger tritt als Kläger auf, sondern der Beamte, der nach Beförde¬
rung jagt, nicht der Rechtliche, sondern der Neidische. Das verpönte
französische Sprüchlein: „M»- den iwui- <>us ^ in'^ mette" steht
bei uns jetzt in voller Blüthe. Nicht Klagen, das heißt offene, frei¬
müthige, sondern Denunciationen, das heißt heimlich schleichende, ma¬
chen sich Bahn. Tausend Widersprüche dringen zugleich zu dem Ohre
des Untersuchenden; vergebens bemüht er sich, Licht in der Sache zu
bekommen. Der Unterstand, die Papierstöße hemmen überall seinen
Blick, er weiß nicht, wem er trauen soll, denn überall stößt er auf
Egoismus, auf Kameraderie und Nepotenwirthschast. In Mitte solcher
Zustände wird ein ernster, oft getäuschter Mensch endlich mißtrauisch
gegen Jedermann, und hier stehen wir denn bei einem Charakterzüge
des Grafen Salm, der, so motivirt und aus so edler Quelle er ent¬
sprungen ist, dennoch auch seine schlimme Seite hat. Umgeben von
einer corrumpirten Welt, droht dem Grafen Salm die Gefahr, allen
Glauben an die Menschheit zu verlieren, und im Gegensatze von je¬
nem voltaire'schen Helden', diese Welt, für die schlimmste zu erklären.
Es wäre traurig, wenn das Her; eines jungen Staatsmannes, dem
noch ein größerer Wirkungskreis vorbehalten ist, so zeitig in Welt¬
verachtung unterginge! Schon jetzt ist der Graf geneigt, von Menschen
und Dingen eher das Schlimme, als das Gute zu glauben, wodurch
w.der seinen Willen das Kind mit dem Bade oft verschüttet wird.
Zudem leidet der Graf an dem Fehler vieler Staatsmänner, die, wenn
sie einmal über den politischen Zweck mit sich im Reinen sind, die
Elasticität unserer gesetzlichen Bestimmungen nach ihrer persönlichen
Einsicht behandeln; so daß die Ausführung oft den Anstrich der Scho¬
nungslosigkeit und des Absolutismus trägt.

Die Schrift: „Prag und die Prager" (Leipzig. Reclam, 1844)
macht, ungeachtet sie strenge verboten ist, die Runde durch alle Hände
und großen Spektakel und Skandal wegen der vielen — oft sehr ge¬
meinen — Persönlichkeiten, welche sie enthält. Da alle Welt den
Grafen * * * als Verfasser derselben nennt, so ist es kein Ge¬
heimniß, das ich verrathe, wenn ich ihn als solchen bezeichne. Der
arme Graf (arm im buchstäblichen Sinne des Wortes), der in seinem
Leben so viele Schicksale erlebt hat, — er war gemeiner Soldat, Mönch,
possendichtcr fürdie Leopoldstadt, und wenn ich nicht irre, auch Schauspieler"
hat durch seine Verheiratung vollends mit seinen Standesgenossen ver¬
dorben und lebt nun ganz allein von dem Ertrage seiner Feder. Ohne
Kenntnisse und ohne Schriftstellertalent ist der Mann um so bewun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/561>, abgerufen am 27.07.2024.