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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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auch, welche Klippen für einen jüngeren Staatsmann, der nicht das
Stromwasser der Localverwaltung durch eine Reihe von Jahren prak¬
tisch kennen lernte! -- Die Hauptwunde Böhmens, der faule und
bestechliche Geist so vieler Beamten, die, entfernt von dem Auge der
Wiener Centralverwaltung, ihre Mißbräuche seit einer Reihe von nach¬
sichtsvollen Jahren sanctionirt sahen, frappirte sowohl den jungen edlen
Erzherzog, als auch den Oberstburggrafenamtsverweser. Eine strengere
Ueberwachung, eine schärfere Controle gab sich sogleich durch jenes Cir-
cular kund, welches kurz nach dem Antritte dieser neuen Verwaltungs¬
männer, im Lande verbreitet und verlesen wurde, und wornach Jeder¬
mann aufgefordert wurde, über Bestechlichkeit und Mißbräuche, die
ihm von Seite der Beamten kund würden, geeigneten Orts die direkte
Anzeige zu machen. Ein solcher Aufruf, der die wohlthätigsten Hol¬
ger gehabt hätte, in einem Lande, wo das Rechtsgefühl des Indivi¬
duums gehörig ausgebildet ist durch das langjährige Bewußtsein des¬
jenigen, was der Staat an Schutz und Gerechtigkeit jedem seiner Un¬
terthanen schuldet, verfehlte seine Wirkung in einem Lande, wo Bauer
und Bürger seit langer Zeit an die Tyrannei seiner kleineren und grö¬
ßeren Beamten sich gewöhnt hat, wo Furcht und unmännlicher Re¬
spect die geringeren, ja selbst die mittleren Classen einen Conflict mit
den ihnen Vorgesetzten wie Feuer scheuen läßt. Wie schwer, ja wie
fast unmöglich wird es dem Unterthan, der in einem von der Haupt--
stadt oder von der Kreisstadt entfernten Marktflecken lebt, eine Be¬
schwerde gegen die Uebergriffe eines Beamten vor die höchste Stelle
zu bringen, da er sich erst durch ein ganzes Heer von Beamten und
Stellen drängen muß, ehe sie zu dem Ohre gelangt, an das sie gerich¬
tet ist? Welche Gutachten, das heißt, welche Mißachten, werden einer
solchen Klage angehängt von Seiten der Mittelstellen, die in der Ue-
berhandnahme solcher Anklagen eine Gefährdung ihrer bureaukratischen
Uebermacht erblicken; und wie leicht wird es dem verklagten Beamten,
durch Konnexionen und persönliche Unterredungen jede Anklage zu
schwächen, während der Kläger mittlerweile den Verationen eben die¬
ses Vorgesetzten und seiner College" ausgesetzt bleibt und am Ende
vielleicht noch Gefahr läuft, sich als Lügner und Verleumder erklärt
zu sehen. In England, Frankreich, wo Oeffentlichkeit, Mündlichkeit
und größere Garantie des Einzelnen herrschen, da ist eine solche Pro¬
cedur erleichtert. Ja selbst in Preußen, Sachsen, das heißt in Län¬
dern ohne mündliches und öffentliches Verfahren ist ein solcher Kläger
geschützt durch das höhere Rechtsgefühl, durch die traditionelle Würde,
welche dem Staatsbeamten in Deutschland innewohnt; er hat nicht zu
befürchten, daß die bureaukratischen College" einander die Hand rei¬
chen, weil Bestechlichkeit unter den Beamten der meisten deutschen
Staaten zu den Ausnahmen gehört und vonj Niemand schärfer ver¬
pönt wird, als von den College" eines so unwürdigen Beamten selbst.


auch, welche Klippen für einen jüngeren Staatsmann, der nicht das
Stromwasser der Localverwaltung durch eine Reihe von Jahren prak¬
tisch kennen lernte! — Die Hauptwunde Böhmens, der faule und
bestechliche Geist so vieler Beamten, die, entfernt von dem Auge der
Wiener Centralverwaltung, ihre Mißbräuche seit einer Reihe von nach¬
sichtsvollen Jahren sanctionirt sahen, frappirte sowohl den jungen edlen
Erzherzog, als auch den Oberstburggrafenamtsverweser. Eine strengere
Ueberwachung, eine schärfere Controle gab sich sogleich durch jenes Cir-
cular kund, welches kurz nach dem Antritte dieser neuen Verwaltungs¬
männer, im Lande verbreitet und verlesen wurde, und wornach Jeder¬
mann aufgefordert wurde, über Bestechlichkeit und Mißbräuche, die
ihm von Seite der Beamten kund würden, geeigneten Orts die direkte
Anzeige zu machen. Ein solcher Aufruf, der die wohlthätigsten Hol¬
ger gehabt hätte, in einem Lande, wo das Rechtsgefühl des Indivi¬
duums gehörig ausgebildet ist durch das langjährige Bewußtsein des¬
jenigen, was der Staat an Schutz und Gerechtigkeit jedem seiner Un¬
terthanen schuldet, verfehlte seine Wirkung in einem Lande, wo Bauer
und Bürger seit langer Zeit an die Tyrannei seiner kleineren und grö¬
ßeren Beamten sich gewöhnt hat, wo Furcht und unmännlicher Re¬
spect die geringeren, ja selbst die mittleren Classen einen Conflict mit
den ihnen Vorgesetzten wie Feuer scheuen läßt. Wie schwer, ja wie
fast unmöglich wird es dem Unterthan, der in einem von der Haupt--
stadt oder von der Kreisstadt entfernten Marktflecken lebt, eine Be¬
schwerde gegen die Uebergriffe eines Beamten vor die höchste Stelle
zu bringen, da er sich erst durch ein ganzes Heer von Beamten und
Stellen drängen muß, ehe sie zu dem Ohre gelangt, an das sie gerich¬
tet ist? Welche Gutachten, das heißt, welche Mißachten, werden einer
solchen Klage angehängt von Seiten der Mittelstellen, die in der Ue-
berhandnahme solcher Anklagen eine Gefährdung ihrer bureaukratischen
Uebermacht erblicken; und wie leicht wird es dem verklagten Beamten,
durch Konnexionen und persönliche Unterredungen jede Anklage zu
schwächen, während der Kläger mittlerweile den Verationen eben die¬
ses Vorgesetzten und seiner College» ausgesetzt bleibt und am Ende
vielleicht noch Gefahr läuft, sich als Lügner und Verleumder erklärt
zu sehen. In England, Frankreich, wo Oeffentlichkeit, Mündlichkeit
und größere Garantie des Einzelnen herrschen, da ist eine solche Pro¬
cedur erleichtert. Ja selbst in Preußen, Sachsen, das heißt in Län¬
dern ohne mündliches und öffentliches Verfahren ist ein solcher Kläger
geschützt durch das höhere Rechtsgefühl, durch die traditionelle Würde,
welche dem Staatsbeamten in Deutschland innewohnt; er hat nicht zu
befürchten, daß die bureaukratischen College« einander die Hand rei¬
chen, weil Bestechlichkeit unter den Beamten der meisten deutschen
Staaten zu den Ausnahmen gehört und vonj Niemand schärfer ver¬
pönt wird, als von den College» eines so unwürdigen Beamten selbst.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/560>, abgerufen am 27.07.2024.