Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.Ich weiß nicht, was man von dem Ausbrüche meines Schmer¬ Ich verließ rasch den Saal; das Schauspiel schien seinem Ende -- Adolf! rief ich. -- Felir, Du wieder hier? Wir lagen einander in den Armen. -- Wie blaß Du aussiehst! sagte Adolf. -- Hast Du sie gesehen? fragte ich. -- Wen? -- Henrietten. -- Ich komme eben von ihr; nicht wahr, die ist verändert? -- Schweig! rief ich zitternd, ich bin ein Ungeheuer! -- Was! sagte er lachend, wärest Du der Spitzbube? der -- Charlatan? -- Weißt Du denn nicht das Unglück? Vor ungefähr einem Ich weiß nicht, was man von dem Ausbrüche meines Schmer¬ Ich verließ rasch den Saal; das Schauspiel schien seinem Ende — Adolf! rief ich. — Felir, Du wieder hier? Wir lagen einander in den Armen. — Wie blaß Du aussiehst! sagte Adolf. — Hast Du sie gesehen? fragte ich. — Wen? — Henrietten. — Ich komme eben von ihr; nicht wahr, die ist verändert? — Schweig! rief ich zitternd, ich bin ein Ungeheuer! — Was! sagte er lachend, wärest Du der Spitzbube? der — Charlatan? — Weißt Du denn nicht das Unglück? Vor ungefähr einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0548" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181732"/> <p xml:id="ID_1564"> Ich weiß nicht, was man von dem Ausbrüche meines Schmer¬<lb/> zes gedacht hätte; von diesem Ausrufe, den die Erinnerung an mein<lb/> entsetzliches Verbrechen mir auspreßte; aber glücklicherweise ließ in<lb/> diesem Augenblick das Orchester seine Donner los, all das Geschmet¬<lb/> ter, mit welchem uns die moderne Musik beschenkt, und der Vor¬<lb/> hang ging wieder in die Höhe. Aber welches Drama hätte man '<lb/> wohl spielen können, das reicher an Liebe, Aufopferung, Treue und<lb/> Verrath gewesen wäre, als das, welches ich jetzt in meiner Erinne¬<lb/> rung durchlebte! Ich rief mir alle die Scenen in's Gedächtniß, wo<lb/> sie ihr schönes, weiches Herz mir aufgethan, wo ich geschworen, ewig<lb/> ihr anzugehören — ihr, die ich dann auf so schmähliche Art ver¬<lb/> gessen und verlassen! Ich sah, daß ich ihr Leben vergiftet, daß<lb/> diese Henrietie, die ich so blühend, so ruhig verlassen, nun mit<lb/> weißem Haar und gebrochenem Herzen dem Grabe zuwankte. Elen¬<lb/> der! rief ich mir -u, steht eS denn in deiner Gewalt, eS wieder gut<lb/> zu machen? — Ein Gedanke durchzuckte mich: vielleicht macht<lb/> deine Neue Alles wieder gut. Die Gewalt der Liebe ist allmächtig,<lb/> vielleicht —</p><lb/> <p xml:id="ID_1565"> Ich verließ rasch den Saal; das Schauspiel schien seinem Ende<lb/> nahe. Da faßte mich eine Hand; ich blickte auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1566"> — Adolf! rief ich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1567"> — Felir, Du wieder hier?</p><lb/> <p xml:id="ID_1568"> Wir lagen einander in den Armen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1569"> — Wie blaß Du aussiehst! sagte Adolf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1570"> — Hast Du sie gesehen? fragte ich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1571"> — Wen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1572"> — Henrietten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1573"> — Ich komme eben von ihr; nicht wahr, die ist verändert?</p><lb/> <p xml:id="ID_1574"> — Schweig! rief ich zitternd, ich bin ein Ungeheuer!</p><lb/> <p xml:id="ID_1575"> — Was! sagte er lachend, wärest Du der Spitzbube? der<lb/> Charlatan?</p><lb/> <p xml:id="ID_1576"> — Charlatan?</p><lb/> <p xml:id="ID_1577"> — Weißt Du denn nicht das Unglück? Vor ungefähr einem<lb/> Monat kaufte Henriette von einem herumziehenden Pomadehändler<lb/> eine Substanz, welche den Haarwuchs befördern sollte. Kaum hatte<lb/> sie sich einig e Mal ihre Haare damit bestrichen, als diese ihre Farbe<lb/> verloren und allmälig grau zu werden begannen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0548]
Ich weiß nicht, was man von dem Ausbrüche meines Schmer¬
zes gedacht hätte; von diesem Ausrufe, den die Erinnerung an mein
entsetzliches Verbrechen mir auspreßte; aber glücklicherweise ließ in
diesem Augenblick das Orchester seine Donner los, all das Geschmet¬
ter, mit welchem uns die moderne Musik beschenkt, und der Vor¬
hang ging wieder in die Höhe. Aber welches Drama hätte man '
wohl spielen können, das reicher an Liebe, Aufopferung, Treue und
Verrath gewesen wäre, als das, welches ich jetzt in meiner Erinne¬
rung durchlebte! Ich rief mir alle die Scenen in's Gedächtniß, wo
sie ihr schönes, weiches Herz mir aufgethan, wo ich geschworen, ewig
ihr anzugehören — ihr, die ich dann auf so schmähliche Art ver¬
gessen und verlassen! Ich sah, daß ich ihr Leben vergiftet, daß
diese Henrietie, die ich so blühend, so ruhig verlassen, nun mit
weißem Haar und gebrochenem Herzen dem Grabe zuwankte. Elen¬
der! rief ich mir -u, steht eS denn in deiner Gewalt, eS wieder gut
zu machen? — Ein Gedanke durchzuckte mich: vielleicht macht
deine Neue Alles wieder gut. Die Gewalt der Liebe ist allmächtig,
vielleicht —
Ich verließ rasch den Saal; das Schauspiel schien seinem Ende
nahe. Da faßte mich eine Hand; ich blickte auf.
— Adolf! rief ich.
— Felir, Du wieder hier?
Wir lagen einander in den Armen.
— Wie blaß Du aussiehst! sagte Adolf.
— Hast Du sie gesehen? fragte ich.
— Wen?
— Henrietten.
— Ich komme eben von ihr; nicht wahr, die ist verändert?
— Schweig! rief ich zitternd, ich bin ein Ungeheuer!
— Was! sagte er lachend, wärest Du der Spitzbube? der
Charlatan?
— Charlatan?
— Weißt Du denn nicht das Unglück? Vor ungefähr einem
Monat kaufte Henriette von einem herumziehenden Pomadehändler
eine Substanz, welche den Haarwuchs befördern sollte. Kaum hatte
sie sich einig e Mal ihre Haare damit bestrichen, als diese ihre Farbe
verloren und allmälig grau zu werden begannen.
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