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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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jemals aufgehoben zu sein. In der fruchtbaren Wische, in demjeni¬
gen Theile der Altmark, wo sich viele Freisassmhöfe fanden, die sich
im Laufe der Zeit größtentheils in Rittergüter verwandelten-!-), be¬
standen bis in's achtzehnte Jahrhundert zu Seehausen und Werben
Schatten der alten Landgerichte als Boddings- und Loddingsgerichte.
-- Nach Karl's IV. Landbuch der Kurmark von 1375 bestand in
der Altmark ein Landgericht, in welchem über widme. kunde Hand¬
lungen und über Verbrechen von sieben dazu erwählten Landleuten
unter dem Vorsitze eines Richters Untersuchungen angestellt und ge¬
setzliche Strafen erkannt wurden, und vor dem alle Landbewohner
ohne Unterschied des Standes, die rittermäßigen Leute nicht ausge¬
schlossen, sich auf die Beschuldigung eines jeden Anklägers stellen
mußten 5"). Es bestand also damals in der Mark noch kein eri-
mirter Gerichtsstand für die rittermäß'gen Leute, es bestand noch eine
gewisse Rechtsgleichheit. Konnten doch selbst noch im sechzehnten
Jahrhundert auf der Insel Rügen, wo später die härteste Leibeigen¬
schaft herrschte, Bauern als Schoppen im Mannengerichte sitzen.
Wurde doch erst 1524, als der bauernfreundliche Christian II. ge¬
stürzt und Friedrich II. durch den Adel auf den dänischen Thron ge¬
hoben war, in Schleswig-Holstein festgestellt, daß die Bonder und
Lauster kein Gericht oder Gewalt über Prälaten und Edelleute ha¬
ben, sie auch nicht an ihrem eigenen Leibe und Gute verurtheilen,
oder auf einige Weise mit dänischen Landrechte verfolgen sollen. "Die
Sand- und Grundmänner sollen nicht entscheiden über des Präla¬
ten oder Edelmannes Feldmark oder eingehegtes Land, das
sie im Besitz und im Gebrauch haben oder behalten wollen."
So scheint man auch in dem Boddings- und Loddingsgerichte, wo
das Verfahren, wie sich von selbst versteht, öffentlich und mündlich
war, keine Eremtionm und keinen privilegirten Gerichtsstand gekannt
zu haben. Nach einer Urkunde von 1558 standen die boddingspflich-
tigen Bauern vor keinem andern Richter, denn vor dem Bodding
und Lodding. Die Hof- und Landgerichtsordnung von 1621 besagt,
daß diejenigen, die dem Bodding unterworfen, "das ganze Jahr durch
von allem Gerichtszwange des Hof- und Landgerichts frei seind




*) Daher finden sich in dem diese Gegend umfassenden Kreis Osterburg
gegenwartig achtundsechzig Rittergüter.
**
) Wohlbrück, Geschichte von Lepus l., Seite 323.
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jemals aufgehoben zu sein. In der fruchtbaren Wische, in demjeni¬
gen Theile der Altmark, wo sich viele Freisassmhöfe fanden, die sich
im Laufe der Zeit größtentheils in Rittergüter verwandelten-!-), be¬
standen bis in's achtzehnte Jahrhundert zu Seehausen und Werben
Schatten der alten Landgerichte als Boddings- und Loddingsgerichte.
— Nach Karl's IV. Landbuch der Kurmark von 1375 bestand in
der Altmark ein Landgericht, in welchem über widme. kunde Hand¬
lungen und über Verbrechen von sieben dazu erwählten Landleuten
unter dem Vorsitze eines Richters Untersuchungen angestellt und ge¬
setzliche Strafen erkannt wurden, und vor dem alle Landbewohner
ohne Unterschied des Standes, die rittermäßigen Leute nicht ausge¬
schlossen, sich auf die Beschuldigung eines jeden Anklägers stellen
mußten 5»). Es bestand also damals in der Mark noch kein eri-
mirter Gerichtsstand für die rittermäß'gen Leute, es bestand noch eine
gewisse Rechtsgleichheit. Konnten doch selbst noch im sechzehnten
Jahrhundert auf der Insel Rügen, wo später die härteste Leibeigen¬
schaft herrschte, Bauern als Schoppen im Mannengerichte sitzen.
Wurde doch erst 1524, als der bauernfreundliche Christian II. ge¬
stürzt und Friedrich II. durch den Adel auf den dänischen Thron ge¬
hoben war, in Schleswig-Holstein festgestellt, daß die Bonder und
Lauster kein Gericht oder Gewalt über Prälaten und Edelleute ha¬
ben, sie auch nicht an ihrem eigenen Leibe und Gute verurtheilen,
oder auf einige Weise mit dänischen Landrechte verfolgen sollen. „Die
Sand- und Grundmänner sollen nicht entscheiden über des Präla¬
ten oder Edelmannes Feldmark oder eingehegtes Land, das
sie im Besitz und im Gebrauch haben oder behalten wollen."
So scheint man auch in dem Boddings- und Loddingsgerichte, wo
das Verfahren, wie sich von selbst versteht, öffentlich und mündlich
war, keine Eremtionm und keinen privilegirten Gerichtsstand gekannt
zu haben. Nach einer Urkunde von 1558 standen die boddingspflich-
tigen Bauern vor keinem andern Richter, denn vor dem Bodding
und Lodding. Die Hof- und Landgerichtsordnung von 1621 besagt,
daß diejenigen, die dem Bodding unterworfen, „das ganze Jahr durch
von allem Gerichtszwange des Hof- und Landgerichts frei seind




*) Daher finden sich in dem diese Gegend umfassenden Kreis Osterburg
gegenwartig achtundsechzig Rittergüter.
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) Wohlbrück, Geschichte von Lepus l., Seite 323.
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[0543] jemals aufgehoben zu sein. In der fruchtbaren Wische, in demjeni¬ gen Theile der Altmark, wo sich viele Freisassmhöfe fanden, die sich im Laufe der Zeit größtentheils in Rittergüter verwandelten-!-), be¬ standen bis in's achtzehnte Jahrhundert zu Seehausen und Werben Schatten der alten Landgerichte als Boddings- und Loddingsgerichte. — Nach Karl's IV. Landbuch der Kurmark von 1375 bestand in der Altmark ein Landgericht, in welchem über widme. kunde Hand¬ lungen und über Verbrechen von sieben dazu erwählten Landleuten unter dem Vorsitze eines Richters Untersuchungen angestellt und ge¬ setzliche Strafen erkannt wurden, und vor dem alle Landbewohner ohne Unterschied des Standes, die rittermäßigen Leute nicht ausge¬ schlossen, sich auf die Beschuldigung eines jeden Anklägers stellen mußten 5»). Es bestand also damals in der Mark noch kein eri- mirter Gerichtsstand für die rittermäß'gen Leute, es bestand noch eine gewisse Rechtsgleichheit. Konnten doch selbst noch im sechzehnten Jahrhundert auf der Insel Rügen, wo später die härteste Leibeigen¬ schaft herrschte, Bauern als Schoppen im Mannengerichte sitzen. Wurde doch erst 1524, als der bauernfreundliche Christian II. ge¬ stürzt und Friedrich II. durch den Adel auf den dänischen Thron ge¬ hoben war, in Schleswig-Holstein festgestellt, daß die Bonder und Lauster kein Gericht oder Gewalt über Prälaten und Edelleute ha¬ ben, sie auch nicht an ihrem eigenen Leibe und Gute verurtheilen, oder auf einige Weise mit dänischen Landrechte verfolgen sollen. „Die Sand- und Grundmänner sollen nicht entscheiden über des Präla¬ ten oder Edelmannes Feldmark oder eingehegtes Land, das sie im Besitz und im Gebrauch haben oder behalten wollen." So scheint man auch in dem Boddings- und Loddingsgerichte, wo das Verfahren, wie sich von selbst versteht, öffentlich und mündlich war, keine Eremtionm und keinen privilegirten Gerichtsstand gekannt zu haben. Nach einer Urkunde von 1558 standen die boddingspflich- tigen Bauern vor keinem andern Richter, denn vor dem Bodding und Lodding. Die Hof- und Landgerichtsordnung von 1621 besagt, daß diejenigen, die dem Bodding unterworfen, „das ganze Jahr durch von allem Gerichtszwange des Hof- und Landgerichts frei seind *) Daher finden sich in dem diese Gegend umfassenden Kreis Osterburg gegenwartig achtundsechzig Rittergüter. ** ) Wohlbrück, Geschichte von Lepus l., Seite 323. 68»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/543>, abgerufen am 06.10.2024.