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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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teil die weichen Polster knechtischer Heuchelei und Schmeichelei jenen
Vermeintlichen Angriffen entgegenhalten mußten. -- Tadel und Kri¬
tiken öffentlicher Maßregeln oder Zustände wurden um so heftiger
verfolgt, je begründeter sie waren; politische Zeitschriften, die im Ge¬
ruch der Freisinnigkeit waren, wurden unterdrückt und nur die farb¬
losen konnten sich erhalten. Auch censirte Schriften wurden häufig
in einem und demselben Staate confiscire, so daß selbst die Censur
keine Wahrheit und keine Schutzwehr gegen Verantwortlichkeit war.
Der Buchhändler und Verfasser wurden bestraft, weil sie das Er¬
laubte gethan hatten.

Man hatte dabei die gute Absicht, das Böse zu hindern, wel¬
ches durch eine freie Presse wohl veranlaßt werden kann; aber bei
der Beurtheilung dessen, was in der Literatur gut oder schlecht, nütz¬
lich oder schädlich sei, ließen sich vielfache Verwechselungen nicht ver¬
meiden. Wie die Polizei bei verdächtigen Personen verfährt, so durch¬
suchte die Censur jedes Buch mit der Präsumtion, daß es verdächtig
sei und gefährliche, auf den Todtschlag der Seelen berechnete Waf¬
fen bei sich führe; bei welcher Visitation freilich oft der Mißgriff
vorkam, daß man die geistigen Rüstzeuge der Wahrheit incriminirend
fand, während mancher giftige Dolch, der auf die öffentliche Moral
oder die geistige Freiheit gerichtet war, unbemerkt blieb, besonders
wenn er unter den Blumen der Heuchelei und Schmeichelei verbor¬
gen lag. Alles, was geschrieben wurde, sollte dem im Staate eben
geltenden politischen und religiösen Dogma gemäß sein, ohne zu be¬
denken , daß dieses Dogma doch nicht infallibel sei, und daß also die
Literatur mit ihrer Kritik über demselben stehen müsse. Es kam da¬
her ein solches Schwanken in die Censurmaßregeln, daß das, was
heute als Preßvergehen galt, morgen erlaubt war und umgekehrt.

"Das ist kaum zu glauben," werden unsere Nachkommen sagen.
"Sollten die damaligen erleuchteten Staatsmänner nicht gewußt haben,
daß die Censur von dem verworfensten der Päpste, Alexander VI.,
eingeführt und von dem leichtsinnigsten, Leo X., ausgebildet worden
lst? Sollte ihnen unbekannt gewesen sein, daß in den Ländern, auf
welchen das geistige Joch der Censur am drückendsten lastete, z. B.
in Italien, Spanien und Portugal der meiste Aberglaube und das
Wenigste Volksglück zu finden ist; daß die Regierungen daselbst am
Ichwachsten und keineswegs gegen Revolutionen gesichert waren. Soll-


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teil die weichen Polster knechtischer Heuchelei und Schmeichelei jenen
Vermeintlichen Angriffen entgegenhalten mußten. — Tadel und Kri¬
tiken öffentlicher Maßregeln oder Zustände wurden um so heftiger
verfolgt, je begründeter sie waren; politische Zeitschriften, die im Ge¬
ruch der Freisinnigkeit waren, wurden unterdrückt und nur die farb¬
losen konnten sich erhalten. Auch censirte Schriften wurden häufig
in einem und demselben Staate confiscire, so daß selbst die Censur
keine Wahrheit und keine Schutzwehr gegen Verantwortlichkeit war.
Der Buchhändler und Verfasser wurden bestraft, weil sie das Er¬
laubte gethan hatten.

Man hatte dabei die gute Absicht, das Böse zu hindern, wel¬
ches durch eine freie Presse wohl veranlaßt werden kann; aber bei
der Beurtheilung dessen, was in der Literatur gut oder schlecht, nütz¬
lich oder schädlich sei, ließen sich vielfache Verwechselungen nicht ver¬
meiden. Wie die Polizei bei verdächtigen Personen verfährt, so durch¬
suchte die Censur jedes Buch mit der Präsumtion, daß es verdächtig
sei und gefährliche, auf den Todtschlag der Seelen berechnete Waf¬
fen bei sich führe; bei welcher Visitation freilich oft der Mißgriff
vorkam, daß man die geistigen Rüstzeuge der Wahrheit incriminirend
fand, während mancher giftige Dolch, der auf die öffentliche Moral
oder die geistige Freiheit gerichtet war, unbemerkt blieb, besonders
wenn er unter den Blumen der Heuchelei und Schmeichelei verbor¬
gen lag. Alles, was geschrieben wurde, sollte dem im Staate eben
geltenden politischen und religiösen Dogma gemäß sein, ohne zu be¬
denken , daß dieses Dogma doch nicht infallibel sei, und daß also die
Literatur mit ihrer Kritik über demselben stehen müsse. Es kam da¬
her ein solches Schwanken in die Censurmaßregeln, daß das, was
heute als Preßvergehen galt, morgen erlaubt war und umgekehrt.

„Das ist kaum zu glauben," werden unsere Nachkommen sagen.
«Sollten die damaligen erleuchteten Staatsmänner nicht gewußt haben,
daß die Censur von dem verworfensten der Päpste, Alexander VI.,
eingeführt und von dem leichtsinnigsten, Leo X., ausgebildet worden
lst? Sollte ihnen unbekannt gewesen sein, daß in den Ländern, auf
welchen das geistige Joch der Censur am drückendsten lastete, z. B.
in Italien, Spanien und Portugal der meiste Aberglaube und das
Wenigste Volksglück zu finden ist; daß die Regierungen daselbst am
Ichwachsten und keineswegs gegen Revolutionen gesichert waren. Soll-


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[0527] teil die weichen Polster knechtischer Heuchelei und Schmeichelei jenen Vermeintlichen Angriffen entgegenhalten mußten. — Tadel und Kri¬ tiken öffentlicher Maßregeln oder Zustände wurden um so heftiger verfolgt, je begründeter sie waren; politische Zeitschriften, die im Ge¬ ruch der Freisinnigkeit waren, wurden unterdrückt und nur die farb¬ losen konnten sich erhalten. Auch censirte Schriften wurden häufig in einem und demselben Staate confiscire, so daß selbst die Censur keine Wahrheit und keine Schutzwehr gegen Verantwortlichkeit war. Der Buchhändler und Verfasser wurden bestraft, weil sie das Er¬ laubte gethan hatten. Man hatte dabei die gute Absicht, das Böse zu hindern, wel¬ ches durch eine freie Presse wohl veranlaßt werden kann; aber bei der Beurtheilung dessen, was in der Literatur gut oder schlecht, nütz¬ lich oder schädlich sei, ließen sich vielfache Verwechselungen nicht ver¬ meiden. Wie die Polizei bei verdächtigen Personen verfährt, so durch¬ suchte die Censur jedes Buch mit der Präsumtion, daß es verdächtig sei und gefährliche, auf den Todtschlag der Seelen berechnete Waf¬ fen bei sich führe; bei welcher Visitation freilich oft der Mißgriff vorkam, daß man die geistigen Rüstzeuge der Wahrheit incriminirend fand, während mancher giftige Dolch, der auf die öffentliche Moral oder die geistige Freiheit gerichtet war, unbemerkt blieb, besonders wenn er unter den Blumen der Heuchelei und Schmeichelei verbor¬ gen lag. Alles, was geschrieben wurde, sollte dem im Staate eben geltenden politischen und religiösen Dogma gemäß sein, ohne zu be¬ denken , daß dieses Dogma doch nicht infallibel sei, und daß also die Literatur mit ihrer Kritik über demselben stehen müsse. Es kam da¬ her ein solches Schwanken in die Censurmaßregeln, daß das, was heute als Preßvergehen galt, morgen erlaubt war und umgekehrt. „Das ist kaum zu glauben," werden unsere Nachkommen sagen. «Sollten die damaligen erleuchteten Staatsmänner nicht gewußt haben, daß die Censur von dem verworfensten der Päpste, Alexander VI., eingeführt und von dem leichtsinnigsten, Leo X., ausgebildet worden lst? Sollte ihnen unbekannt gewesen sein, daß in den Ländern, auf welchen das geistige Joch der Censur am drückendsten lastete, z. B. in Italien, Spanien und Portugal der meiste Aberglaube und das Wenigste Volksglück zu finden ist; daß die Regierungen daselbst am Ichwachsten und keineswegs gegen Revolutionen gesichert waren. Soll- 66»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/527>, abgerufen am 27.07.2024.