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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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lich in dieser Gestalt noch eine lange Weile fortdauern mag. Ein
bedeutender Forscher und Gelehrter bringt allerdings Ehre und Anse¬
hen dem Vereine zu, aber die Etre und das Ansehen, die er von
demselben erhält, dürsten ihn schwerlich sehr fördern! Böckh fühlt
dieses Verhältniß der Akademie lebhaft und spricht es mit edlem
Selbstgefühl aus; er und jeder Tüchtige kann auf den falschen Glanz
verzichten, der echte strahlt um so Heller. Das Gute und Nichtige,
was er über die reine Liebe zu den Wissenschaften sagt, die in dem
Stifter der Berliner Akademie waltete, wird kein irgend Einsichtiger
bestreiten wollen. --

Als Probe seiner freimüthigen und kräftigen Darstellung führen
wir an, was er über zwei verstorbene, berühmte Mitglieder der Ber¬
liner Akademie sagt: "Unbekümmert -- heißt es Seite 19 -- um
die, welche für ihre und unsere Freunde und große Gelehrte eine un¬
bedingte Verehrung in Anspruch nehmen und die Erwähnung einer
menschlichen Schwäche, auch wenn sie um der Sache willen, und nicht
um die Person zu beeinträchtigen geschieht, gleich zu einer Verletzung
der Pietät stempeln, wird erlaubt sein, anzuführen, wie zwei als Ge¬
schichtschreiber ausgezeichnete ehemalige Mitglieder dieser Akademie, die
auch dazu noch Staatsmänner waren, sich über ihre Zeit geirrt haben.
Johannes von Müller, nachdem er lange die Napoleonische Herr¬
schaft mit den Waffen der Rede bekämpft hatte, weissagte in ihrer
unüberwindlichen Befestigung nach der Bestegung Preußens ein neues
goldenes Zeitalter; Niebuhr fand in der Julirevolution den Unter¬
gang der humanen Bildung und den Einbruch der Barbarei. Beide
sind schon durch die nächsten Jahre widerlegt worden, die Hoffnun¬
gen des Einen, wie die Befürchtungen des Andern." Solches offene
Darlegen ehrt den Sprechenden wie die Hörer, vorausgesetzt, daß diese
im Gefühl eigener Stärke sich ebenfalls auf den Standpunkt des Red¬
ners zu erheben wissen, nicht lieber auf dem der Schwäche ehemaliger
Genossen zurückbleiben! -- Böckh spricht sodann gegen die Befangen¬
heit, welche eine Verschlimmerung der Sitten bei nicht zu läugnender
Vorschreitung der Erkenntniß und Wissenschaft zu finden glaubt, um
nicht von denen zu reden, welche die Quelle des eingebildeten Uebels
gar in dem Wissen selbst suchen. Er läugnet diese Verschlimmerung
der Sitten, er weis't auf das Mittelalter hin, "das gepriesene Mit¬
telalter, in welchem die ^ille.'llosigkeit massenhaft erscheint", und auf
die späteren Jahrhunderte, wo der Laster und Verbrechen entschieden
mehr waren, als in unserer Zeit. Er sagt sehr schön und wahr: "Nur
durch den Geist kann sich das menschliche Geschlecht vorwärts bewe¬
gen, die Thätigkeit des Geistes aber ist das Wissen. Freilich muß
dieser Geist ein heilige sein; aber die Heiligung liegt nicht in dem
starren Dogma, sondern auch das religiöse Bewußtsein muß sich fort-


lich in dieser Gestalt noch eine lange Weile fortdauern mag. Ein
bedeutender Forscher und Gelehrter bringt allerdings Ehre und Anse¬
hen dem Vereine zu, aber die Etre und das Ansehen, die er von
demselben erhält, dürsten ihn schwerlich sehr fördern! Böckh fühlt
dieses Verhältniß der Akademie lebhaft und spricht es mit edlem
Selbstgefühl aus; er und jeder Tüchtige kann auf den falschen Glanz
verzichten, der echte strahlt um so Heller. Das Gute und Nichtige,
was er über die reine Liebe zu den Wissenschaften sagt, die in dem
Stifter der Berliner Akademie waltete, wird kein irgend Einsichtiger
bestreiten wollen. —

Als Probe seiner freimüthigen und kräftigen Darstellung führen
wir an, was er über zwei verstorbene, berühmte Mitglieder der Ber¬
liner Akademie sagt: „Unbekümmert — heißt es Seite 19 — um
die, welche für ihre und unsere Freunde und große Gelehrte eine un¬
bedingte Verehrung in Anspruch nehmen und die Erwähnung einer
menschlichen Schwäche, auch wenn sie um der Sache willen, und nicht
um die Person zu beeinträchtigen geschieht, gleich zu einer Verletzung
der Pietät stempeln, wird erlaubt sein, anzuführen, wie zwei als Ge¬
schichtschreiber ausgezeichnete ehemalige Mitglieder dieser Akademie, die
auch dazu noch Staatsmänner waren, sich über ihre Zeit geirrt haben.
Johannes von Müller, nachdem er lange die Napoleonische Herr¬
schaft mit den Waffen der Rede bekämpft hatte, weissagte in ihrer
unüberwindlichen Befestigung nach der Bestegung Preußens ein neues
goldenes Zeitalter; Niebuhr fand in der Julirevolution den Unter¬
gang der humanen Bildung und den Einbruch der Barbarei. Beide
sind schon durch die nächsten Jahre widerlegt worden, die Hoffnun¬
gen des Einen, wie die Befürchtungen des Andern." Solches offene
Darlegen ehrt den Sprechenden wie die Hörer, vorausgesetzt, daß diese
im Gefühl eigener Stärke sich ebenfalls auf den Standpunkt des Red¬
ners zu erheben wissen, nicht lieber auf dem der Schwäche ehemaliger
Genossen zurückbleiben! — Böckh spricht sodann gegen die Befangen¬
heit, welche eine Verschlimmerung der Sitten bei nicht zu läugnender
Vorschreitung der Erkenntniß und Wissenschaft zu finden glaubt, um
nicht von denen zu reden, welche die Quelle des eingebildeten Uebels
gar in dem Wissen selbst suchen. Er läugnet diese Verschlimmerung
der Sitten, er weis't auf das Mittelalter hin, „das gepriesene Mit¬
telalter, in welchem die ^ille.'llosigkeit massenhaft erscheint", und auf
die späteren Jahrhunderte, wo der Laster und Verbrechen entschieden
mehr waren, als in unserer Zeit. Er sagt sehr schön und wahr: „Nur
durch den Geist kann sich das menschliche Geschlecht vorwärts bewe¬
gen, die Thätigkeit des Geistes aber ist das Wissen. Freilich muß
dieser Geist ein heilige sein; aber die Heiligung liegt nicht in dem
starren Dogma, sondern auch das religiöse Bewußtsein muß sich fort-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/432>, abgerufen am 05.12.2024.