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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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man wird nicht blos den neuen lebensvollen Aufschwung der Beck'schen
Poesie mit Freude begrüßen, sondern dem jungen Dichter auch noch
dafür Dank sagen, daß er den Muth gehabt hat, im Namen der
freien Poesie dem beschränkten preußischen Preßpolizeistandpunkte Con¬
cessionen zu erpressen, die nicht ohne Folgen bleiben können.

Sonst geht ein schrecklicher Hiatus durch das prerentiös-bewußt-
volle Berliner Dasein. Es folgte eine Erschlaffung, wie sie immer
nach einem Schwindel und Rausche folgt, und dieses Mal war nicht
ein Lißt, sondern eine GeWerbeausstellung die Ursache des Schwindels.
Nur Hr. Wönigcr scheint noch im Schwindel zu leben, er schreibt
noch immer seine Berichte über die Gewerbeausstcllung für die Aach-
ner Zeitung und will damit, wie das schreckliche Gerücht geht, bis
zur Eröffnung einer neuen GeWerbeausstellung unausgesetzt fortfahren.
Wenn Sie übrigens wissen wollen, wie Berlin nicht ist, so lesen
Sie nur die edelen, hier angefertigten Berliner Correspondenzen. Sie
pflegen aus grundlosen Vermuthungen und subjectiven Traumbildern
zusammengesetzt zu werden und den Aeitungsredactionen, denen sie
entgegenflattern, von Berlin wenig mehr als einen Berliner Poststem¬
pel zu bringen.

Indessen redet man hier jetzt sehr viel von der Hebung und Con-
solidirung unseres transatlantischen Handels. In der Conditorei bei
Koblanc unter den Linden sagt Ihnen alle Abende ein Mann in
grünem Frack mit blanken Knöpfen, daß die Friesen einmal sehr mäch¬
tig zur See gewesen sind und daß der große Churfürst von Branden¬
burg schon IV78 mit einem holländischen Kaufmanne, Namens Rank",
wegen Errichtung einer Flotte Unterhandlungen gepflogen hatte und
jetzt haben wir 1844 und immer noch keine Flotte! Es nimmt in Ber¬
lin selbst der Ernst den Schein der Lächerlichkeit an; Sie brauchen
nur an den seligen Nationalverein zu denken! Der Prinz Karl in¬
teressier sich für die Begründung einer deutschen Colonie in Central-
amerika an der Musquitoküste; vorläufig wählt man die Beamten
aus, welche zuerst in die neue Colonie geschickt werden sol¬
len, auch ist die Tafel bereits geschrieben, an der die Colonisten
sobald sie die neue Heimath betreten, lesen werden: "Hier ist das
Rauchen bei Gefängnißstrafe verboten."

Doch zum Schluß noch ein ernstes Wort. Der Abschluß des
Handelstractates mit Belgien, die Unterhandlungen, welche hier zwi¬
schen Brasilien und dem Zollverein stattfinden, die offen ausgesprochene
Mißstimmung, mit der sowohl die französische Presse als der hansea¬
tische Particularismus das belgische Bündniß aufgenommen haben,
sprechen für die rege Bewegung, welche jetzt in der Aollvcreinspolitik
herrscht; aber nichts desto weniger dürfen wir Alles, was bisher ge¬
schehen ist und was noch projectirt wird, nicht zu hoch anschlagen,
um uns nicht über unsere Stellung und unsere Bedürfnisse zu lau-


man wird nicht blos den neuen lebensvollen Aufschwung der Beck'schen
Poesie mit Freude begrüßen, sondern dem jungen Dichter auch noch
dafür Dank sagen, daß er den Muth gehabt hat, im Namen der
freien Poesie dem beschränkten preußischen Preßpolizeistandpunkte Con¬
cessionen zu erpressen, die nicht ohne Folgen bleiben können.

Sonst geht ein schrecklicher Hiatus durch das prerentiös-bewußt-
volle Berliner Dasein. Es folgte eine Erschlaffung, wie sie immer
nach einem Schwindel und Rausche folgt, und dieses Mal war nicht
ein Lißt, sondern eine GeWerbeausstellung die Ursache des Schwindels.
Nur Hr. Wönigcr scheint noch im Schwindel zu leben, er schreibt
noch immer seine Berichte über die Gewerbeausstcllung für die Aach-
ner Zeitung und will damit, wie das schreckliche Gerücht geht, bis
zur Eröffnung einer neuen GeWerbeausstellung unausgesetzt fortfahren.
Wenn Sie übrigens wissen wollen, wie Berlin nicht ist, so lesen
Sie nur die edelen, hier angefertigten Berliner Correspondenzen. Sie
pflegen aus grundlosen Vermuthungen und subjectiven Traumbildern
zusammengesetzt zu werden und den Aeitungsredactionen, denen sie
entgegenflattern, von Berlin wenig mehr als einen Berliner Poststem¬
pel zu bringen.

Indessen redet man hier jetzt sehr viel von der Hebung und Con-
solidirung unseres transatlantischen Handels. In der Conditorei bei
Koblanc unter den Linden sagt Ihnen alle Abende ein Mann in
grünem Frack mit blanken Knöpfen, daß die Friesen einmal sehr mäch¬
tig zur See gewesen sind und daß der große Churfürst von Branden¬
burg schon IV78 mit einem holländischen Kaufmanne, Namens Rank«,
wegen Errichtung einer Flotte Unterhandlungen gepflogen hatte und
jetzt haben wir 1844 und immer noch keine Flotte! Es nimmt in Ber¬
lin selbst der Ernst den Schein der Lächerlichkeit an; Sie brauchen
nur an den seligen Nationalverein zu denken! Der Prinz Karl in¬
teressier sich für die Begründung einer deutschen Colonie in Central-
amerika an der Musquitoküste; vorläufig wählt man die Beamten
aus, welche zuerst in die neue Colonie geschickt werden sol¬
len, auch ist die Tafel bereits geschrieben, an der die Colonisten
sobald sie die neue Heimath betreten, lesen werden: „Hier ist das
Rauchen bei Gefängnißstrafe verboten."

Doch zum Schluß noch ein ernstes Wort. Der Abschluß des
Handelstractates mit Belgien, die Unterhandlungen, welche hier zwi¬
schen Brasilien und dem Zollverein stattfinden, die offen ausgesprochene
Mißstimmung, mit der sowohl die französische Presse als der hansea¬
tische Particularismus das belgische Bündniß aufgenommen haben,
sprechen für die rege Bewegung, welche jetzt in der Aollvcreinspolitik
herrscht; aber nichts desto weniger dürfen wir Alles, was bisher ge¬
schehen ist und was noch projectirt wird, nicht zu hoch anschlagen,
um uns nicht über unsere Stellung und unsere Bedürfnisse zu lau-


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[0427] man wird nicht blos den neuen lebensvollen Aufschwung der Beck'schen Poesie mit Freude begrüßen, sondern dem jungen Dichter auch noch dafür Dank sagen, daß er den Muth gehabt hat, im Namen der freien Poesie dem beschränkten preußischen Preßpolizeistandpunkte Con¬ cessionen zu erpressen, die nicht ohne Folgen bleiben können. Sonst geht ein schrecklicher Hiatus durch das prerentiös-bewußt- volle Berliner Dasein. Es folgte eine Erschlaffung, wie sie immer nach einem Schwindel und Rausche folgt, und dieses Mal war nicht ein Lißt, sondern eine GeWerbeausstellung die Ursache des Schwindels. Nur Hr. Wönigcr scheint noch im Schwindel zu leben, er schreibt noch immer seine Berichte über die Gewerbeausstcllung für die Aach- ner Zeitung und will damit, wie das schreckliche Gerücht geht, bis zur Eröffnung einer neuen GeWerbeausstellung unausgesetzt fortfahren. Wenn Sie übrigens wissen wollen, wie Berlin nicht ist, so lesen Sie nur die edelen, hier angefertigten Berliner Correspondenzen. Sie pflegen aus grundlosen Vermuthungen und subjectiven Traumbildern zusammengesetzt zu werden und den Aeitungsredactionen, denen sie entgegenflattern, von Berlin wenig mehr als einen Berliner Poststem¬ pel zu bringen. Indessen redet man hier jetzt sehr viel von der Hebung und Con- solidirung unseres transatlantischen Handels. In der Conditorei bei Koblanc unter den Linden sagt Ihnen alle Abende ein Mann in grünem Frack mit blanken Knöpfen, daß die Friesen einmal sehr mäch¬ tig zur See gewesen sind und daß der große Churfürst von Branden¬ burg schon IV78 mit einem holländischen Kaufmanne, Namens Rank«, wegen Errichtung einer Flotte Unterhandlungen gepflogen hatte und jetzt haben wir 1844 und immer noch keine Flotte! Es nimmt in Ber¬ lin selbst der Ernst den Schein der Lächerlichkeit an; Sie brauchen nur an den seligen Nationalverein zu denken! Der Prinz Karl in¬ teressier sich für die Begründung einer deutschen Colonie in Central- amerika an der Musquitoküste; vorläufig wählt man die Beamten aus, welche zuerst in die neue Colonie geschickt werden sol¬ len, auch ist die Tafel bereits geschrieben, an der die Colonisten sobald sie die neue Heimath betreten, lesen werden: „Hier ist das Rauchen bei Gefängnißstrafe verboten." Doch zum Schluß noch ein ernstes Wort. Der Abschluß des Handelstractates mit Belgien, die Unterhandlungen, welche hier zwi¬ schen Brasilien und dem Zollverein stattfinden, die offen ausgesprochene Mißstimmung, mit der sowohl die französische Presse als der hansea¬ tische Particularismus das belgische Bündniß aufgenommen haben, sprechen für die rege Bewegung, welche jetzt in der Aollvcreinspolitik herrscht; aber nichts desto weniger dürfen wir Alles, was bisher ge¬ schehen ist und was noch projectirt wird, nicht zu hoch anschlagen, um uns nicht über unsere Stellung und unsere Bedürfnisse zu lau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/427>, abgerufen am 28.07.2024.