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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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schen. Wir reden schon von einer Flotte und gehen mit großen Co-
lonisationsplanen schwanger, aber noch ist nicht das Kleinste gethan,
unser Interesse in Nordamerika zu wahren. Es gibt in Nordamerika
keinen Zollvereinsgesandten, der die vielen Lügen entkräftete, die dort
über den Zollverein verbreitet werden. Den Landesconsulaten der ein¬
zelnen Regierungen fehlt dort aller Zusammenhang, sie verfolgen das
bekannte deutsche System, welches am allerwenigsten Nordamerikanern
imponiren kann. Was ist denn nun von allen hiesigen Colonisations-
projecten und von aller ungeheuren Flottenromantik zu halten, so lange
noch das Erste fehlt. In Sachsen würde man aus alter Abneigung
einen solchen Enthusiasmus "preußische Aufschneiderei" nennen, allein
wir sehen wirklich viele Lebendigkeit in unserer publizistischen, indu¬
striellen und handelnden Welt, nur dürfen wir fordern, wenn dieses
Feuer nicht zur leeren Kohle verglimmen soll, daß auch die höhern
politischen Sphären jene Geringschätzung ablegen, mit der sie lange
genug die mercantilen Austande zu betrachten pflegten, und daß dem
Staate selber die handelspolitischen Fragen aus Nebensachen Haupt¬
sachen werden. In wie fern dieses freilich in bureaukratisch eingerich¬
teten Staaten, wo das Handelsinteresse nicht vom nationalen, sondern
mehr oder minder vom ständischen Gesichtspunkte aus betrachtet wird,
möglich sein kann, ist hier nicht zu erörtern, aber wir weisen auf
England hin, dessen Handclszustände nur deshalb so großartig ange¬
legt werden konnten, weil sich der Staat ihnen gegenüber nicht, wie
es kommt, bald spröde, bald indifferent, bald gnädig verhielt, sondern
weil er sich an die Spitze derselben stellte und alle seine Macht an¬
wendete, dem Handel Bahnen zu erobern und dadurch selbst an Macht
zu gewinnen. Wollen wir deshalb zu einer achtbaren Handelspolitik
gelangen, so dürfen wir, ohne unbescheiden zu sein, vom Staate weit
mehr verlangen, als er bisher geleistet hat, und andererseits können
wir von Projecten, mit denen einzelne Köpfe schwanger gehen oder
die sich in Gesellschaften aussprechen, nur wenig erwarten. Während
der Hr. Firmenich hier eine Schissfahrtsgesellschaft, über deren Wirk¬
samkeit wir sehr im Unklaren sind und über deren Realistcung wir
uns ganz bescheidene Zweifel erlauben, zusammenzutreiben sucht, bringt
die Deutsche Allgemeine einen Artikel aus Boston, in dem die Ver-
tretungslosigkeit unserer Interessen in Nordamerika auf das schla¬
gendste dargestellt wird. Könnten wir doch dieses Mal von dem Hrn.
Raumer, der aus Amerika zurückgekehrt ist, erwarten, daß er nicht
über kleinlichen Rücksichten vergessen wird, die Wahrheiten auszuM-
chen, welche sich ihm in Amerika haben ausbringen müssen!

Hr. A. v. Bornstedt ist wieder nach Paris zurückgekehrt; er ist
in seinen Bemühungen, den philosophischen Radikalismus Berlins für
das Princip der französischen Legitimität zu gewinnen, wenig glücklich
gewesen. Der Deutsche ist für einen solchen Theaterstreich doch zu


schen. Wir reden schon von einer Flotte und gehen mit großen Co-
lonisationsplanen schwanger, aber noch ist nicht das Kleinste gethan,
unser Interesse in Nordamerika zu wahren. Es gibt in Nordamerika
keinen Zollvereinsgesandten, der die vielen Lügen entkräftete, die dort
über den Zollverein verbreitet werden. Den Landesconsulaten der ein¬
zelnen Regierungen fehlt dort aller Zusammenhang, sie verfolgen das
bekannte deutsche System, welches am allerwenigsten Nordamerikanern
imponiren kann. Was ist denn nun von allen hiesigen Colonisations-
projecten und von aller ungeheuren Flottenromantik zu halten, so lange
noch das Erste fehlt. In Sachsen würde man aus alter Abneigung
einen solchen Enthusiasmus „preußische Aufschneiderei" nennen, allein
wir sehen wirklich viele Lebendigkeit in unserer publizistischen, indu¬
striellen und handelnden Welt, nur dürfen wir fordern, wenn dieses
Feuer nicht zur leeren Kohle verglimmen soll, daß auch die höhern
politischen Sphären jene Geringschätzung ablegen, mit der sie lange
genug die mercantilen Austande zu betrachten pflegten, und daß dem
Staate selber die handelspolitischen Fragen aus Nebensachen Haupt¬
sachen werden. In wie fern dieses freilich in bureaukratisch eingerich¬
teten Staaten, wo das Handelsinteresse nicht vom nationalen, sondern
mehr oder minder vom ständischen Gesichtspunkte aus betrachtet wird,
möglich sein kann, ist hier nicht zu erörtern, aber wir weisen auf
England hin, dessen Handclszustände nur deshalb so großartig ange¬
legt werden konnten, weil sich der Staat ihnen gegenüber nicht, wie
es kommt, bald spröde, bald indifferent, bald gnädig verhielt, sondern
weil er sich an die Spitze derselben stellte und alle seine Macht an¬
wendete, dem Handel Bahnen zu erobern und dadurch selbst an Macht
zu gewinnen. Wollen wir deshalb zu einer achtbaren Handelspolitik
gelangen, so dürfen wir, ohne unbescheiden zu sein, vom Staate weit
mehr verlangen, als er bisher geleistet hat, und andererseits können
wir von Projecten, mit denen einzelne Köpfe schwanger gehen oder
die sich in Gesellschaften aussprechen, nur wenig erwarten. Während
der Hr. Firmenich hier eine Schissfahrtsgesellschaft, über deren Wirk¬
samkeit wir sehr im Unklaren sind und über deren Realistcung wir
uns ganz bescheidene Zweifel erlauben, zusammenzutreiben sucht, bringt
die Deutsche Allgemeine einen Artikel aus Boston, in dem die Ver-
tretungslosigkeit unserer Interessen in Nordamerika auf das schla¬
gendste dargestellt wird. Könnten wir doch dieses Mal von dem Hrn.
Raumer, der aus Amerika zurückgekehrt ist, erwarten, daß er nicht
über kleinlichen Rücksichten vergessen wird, die Wahrheiten auszuM-
chen, welche sich ihm in Amerika haben ausbringen müssen!

Hr. A. v. Bornstedt ist wieder nach Paris zurückgekehrt; er ist
in seinen Bemühungen, den philosophischen Radikalismus Berlins für
das Princip der französischen Legitimität zu gewinnen, wenig glücklich
gewesen. Der Deutsche ist für einen solchen Theaterstreich doch zu


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[0428] schen. Wir reden schon von einer Flotte und gehen mit großen Co- lonisationsplanen schwanger, aber noch ist nicht das Kleinste gethan, unser Interesse in Nordamerika zu wahren. Es gibt in Nordamerika keinen Zollvereinsgesandten, der die vielen Lügen entkräftete, die dort über den Zollverein verbreitet werden. Den Landesconsulaten der ein¬ zelnen Regierungen fehlt dort aller Zusammenhang, sie verfolgen das bekannte deutsche System, welches am allerwenigsten Nordamerikanern imponiren kann. Was ist denn nun von allen hiesigen Colonisations- projecten und von aller ungeheuren Flottenromantik zu halten, so lange noch das Erste fehlt. In Sachsen würde man aus alter Abneigung einen solchen Enthusiasmus „preußische Aufschneiderei" nennen, allein wir sehen wirklich viele Lebendigkeit in unserer publizistischen, indu¬ striellen und handelnden Welt, nur dürfen wir fordern, wenn dieses Feuer nicht zur leeren Kohle verglimmen soll, daß auch die höhern politischen Sphären jene Geringschätzung ablegen, mit der sie lange genug die mercantilen Austande zu betrachten pflegten, und daß dem Staate selber die handelspolitischen Fragen aus Nebensachen Haupt¬ sachen werden. In wie fern dieses freilich in bureaukratisch eingerich¬ teten Staaten, wo das Handelsinteresse nicht vom nationalen, sondern mehr oder minder vom ständischen Gesichtspunkte aus betrachtet wird, möglich sein kann, ist hier nicht zu erörtern, aber wir weisen auf England hin, dessen Handclszustände nur deshalb so großartig ange¬ legt werden konnten, weil sich der Staat ihnen gegenüber nicht, wie es kommt, bald spröde, bald indifferent, bald gnädig verhielt, sondern weil er sich an die Spitze derselben stellte und alle seine Macht an¬ wendete, dem Handel Bahnen zu erobern und dadurch selbst an Macht zu gewinnen. Wollen wir deshalb zu einer achtbaren Handelspolitik gelangen, so dürfen wir, ohne unbescheiden zu sein, vom Staate weit mehr verlangen, als er bisher geleistet hat, und andererseits können wir von Projecten, mit denen einzelne Köpfe schwanger gehen oder die sich in Gesellschaften aussprechen, nur wenig erwarten. Während der Hr. Firmenich hier eine Schissfahrtsgesellschaft, über deren Wirk¬ samkeit wir sehr im Unklaren sind und über deren Realistcung wir uns ganz bescheidene Zweifel erlauben, zusammenzutreiben sucht, bringt die Deutsche Allgemeine einen Artikel aus Boston, in dem die Ver- tretungslosigkeit unserer Interessen in Nordamerika auf das schla¬ gendste dargestellt wird. Könnten wir doch dieses Mal von dem Hrn. Raumer, der aus Amerika zurückgekehrt ist, erwarten, daß er nicht über kleinlichen Rücksichten vergessen wird, die Wahrheiten auszuM- chen, welche sich ihm in Amerika haben ausbringen müssen! Hr. A. v. Bornstedt ist wieder nach Paris zurückgekehrt; er ist in seinen Bemühungen, den philosophischen Radikalismus Berlins für das Princip der französischen Legitimität zu gewinnen, wenig glücklich gewesen. Der Deutsche ist für einen solchen Theaterstreich doch zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/428>, abgerufen am 01.09.2024.