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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ner Gedichte ganz direct von dem Minister von Arnim ausgegangen
und das Obcrcensurgericht also genöthigt war, diesem in Preußen all¬
mächtigen Manne die Stirne zu bieten. Wir betrachten freilich die
Gründe, welche das Obercensurgericht seinem Erkenntniß beifügt, nicht
sowohl als stetig folgernd aus Rechtsgrundsätzen, vielmehr sehen wir
sie als Maximen an, die bei ein.in anderen Falle irgend eine beliebige
Wendung nehmen können, allein demungeachtet ist es interessant, wie
das Obercensurgericht genöthigt wird, für ccnsursreie Schriften über
zwanzig Bogen einen anderen Maßstab als für censurpflichtige zu
fordern. Indem diese Behörde anerkennt, daß in Schriften über
zwanzig Bogen noch nicht "gemeingefährlich" sei, was in Schriften
unter zwanzig Bogen so betrachtet werden müsse, gesteht sie selber zu,
daß die sogenannte Gemeingefährlichkeit einer Schrift allerdings einem
Polizeibegrisfe entsprechend, aber jedem Vernunftbegrisse widersprechend
ist, denn was muß das für eine sonderbare Gemeingefährlichkeit sein,
die augenblicklich aufhört, sobald der Setzer anfangt, die erste Seite
des einundzwanzigsten Bogens zu drucken! Das Obercensurgericht fühlt
selber, wie unhaltbar dieser formelle Maßstab für die Gemeingefährlich¬
keit einer Schrift ist, und macht der Polizei einen höflichen Knix, in¬
dem es sagt, zwar sei für Schriften über zwanzig Bogen ein anderer
Gemeingefährlichkeitsmaßstab als für censurpflichtige anzulegen, allein
dennoch könne beim Urtheil über jene der Maßstab für diese, wie ihn
die Censurinstruction ausspricht, wenn nicht als Norm, doch als An¬
haltspunkt dienen, und nach diesem "Anhaltspunkte^' verurtheilt das
Gericht nun die beiden, bereits angeführten Gedichte, weil sie dem
monarchischen Princip durchaus feindlich sind, und sucht in seinem
Erkenntniß über Beck's Gedichte den Gemeingefährlichkeitsmaßstab der
preußischen Polizei mit dem Nichtgemeingefahrlichkeits-Standpunkt
der Vernunft zu vereinen. Denn diesen hat es geltend gemacht, in¬
dem es die "Auferstehung" vollkommen freigab. Aber es scheut sich,
auch dieses unumwunden zu erklären, deshalb wird das Obercensur¬
gericht in diesem Erkenntnisse plötzlich ein ästhetischer Kritiker, es
meint, diese Gedichte seien nicht gemeingefährlich, weil "der Gedanke
durch das schwunghafte Gewand in ihnen sehr an Scharfe verliere"
und der Dichter durchaus nicht, wie es wohl in andern politischen
Gedichten geschehe, -- das Obcrcensurgericht denkt an Heine und
Hoffmann von Fallersleben, -- auf das große Publicum wirken wolle.
Mag das Obercensurgericht immerhin der Ansicht sein, daß "der Ge¬
danke durch das schwunghafte Gewand sehr an Schärfe verliere", wir
halten das Erscheinen der Beck'schen Gedichte im beschränkten Banne
der preußischen Prcßpolizei für ein bedeutendes Ereigniß. Wenn man
die "Auferstehung" wird gelesen haben, so wird man erstaunt sein,
wie solche Gedanken in dem loyalen Berlin, wo A. Kopisch und Fr.
Förster die Poesie repräsentiren, haben gedruckt werden können und


ner Gedichte ganz direct von dem Minister von Arnim ausgegangen
und das Obcrcensurgericht also genöthigt war, diesem in Preußen all¬
mächtigen Manne die Stirne zu bieten. Wir betrachten freilich die
Gründe, welche das Obercensurgericht seinem Erkenntniß beifügt, nicht
sowohl als stetig folgernd aus Rechtsgrundsätzen, vielmehr sehen wir
sie als Maximen an, die bei ein.in anderen Falle irgend eine beliebige
Wendung nehmen können, allein demungeachtet ist es interessant, wie
das Obercensurgericht genöthigt wird, für ccnsursreie Schriften über
zwanzig Bogen einen anderen Maßstab als für censurpflichtige zu
fordern. Indem diese Behörde anerkennt, daß in Schriften über
zwanzig Bogen noch nicht „gemeingefährlich" sei, was in Schriften
unter zwanzig Bogen so betrachtet werden müsse, gesteht sie selber zu,
daß die sogenannte Gemeingefährlichkeit einer Schrift allerdings einem
Polizeibegrisfe entsprechend, aber jedem Vernunftbegrisse widersprechend
ist, denn was muß das für eine sonderbare Gemeingefährlichkeit sein,
die augenblicklich aufhört, sobald der Setzer anfangt, die erste Seite
des einundzwanzigsten Bogens zu drucken! Das Obercensurgericht fühlt
selber, wie unhaltbar dieser formelle Maßstab für die Gemeingefährlich¬
keit einer Schrift ist, und macht der Polizei einen höflichen Knix, in¬
dem es sagt, zwar sei für Schriften über zwanzig Bogen ein anderer
Gemeingefährlichkeitsmaßstab als für censurpflichtige anzulegen, allein
dennoch könne beim Urtheil über jene der Maßstab für diese, wie ihn
die Censurinstruction ausspricht, wenn nicht als Norm, doch als An¬
haltspunkt dienen, und nach diesem „Anhaltspunkte^' verurtheilt das
Gericht nun die beiden, bereits angeführten Gedichte, weil sie dem
monarchischen Princip durchaus feindlich sind, und sucht in seinem
Erkenntniß über Beck's Gedichte den Gemeingefährlichkeitsmaßstab der
preußischen Polizei mit dem Nichtgemeingefahrlichkeits-Standpunkt
der Vernunft zu vereinen. Denn diesen hat es geltend gemacht, in¬
dem es die „Auferstehung" vollkommen freigab. Aber es scheut sich,
auch dieses unumwunden zu erklären, deshalb wird das Obercensur¬
gericht in diesem Erkenntnisse plötzlich ein ästhetischer Kritiker, es
meint, diese Gedichte seien nicht gemeingefährlich, weil „der Gedanke
durch das schwunghafte Gewand in ihnen sehr an Scharfe verliere"
und der Dichter durchaus nicht, wie es wohl in andern politischen
Gedichten geschehe, — das Obcrcensurgericht denkt an Heine und
Hoffmann von Fallersleben, — auf das große Publicum wirken wolle.
Mag das Obercensurgericht immerhin der Ansicht sein, daß „der Ge¬
danke durch das schwunghafte Gewand sehr an Schärfe verliere", wir
halten das Erscheinen der Beck'schen Gedichte im beschränkten Banne
der preußischen Prcßpolizei für ein bedeutendes Ereigniß. Wenn man
die „Auferstehung" wird gelesen haben, so wird man erstaunt sein,
wie solche Gedanken in dem loyalen Berlin, wo A. Kopisch und Fr.
Förster die Poesie repräsentiren, haben gedruckt werden können und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/426>, abgerufen am 01.09.2024.