Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.ses Wissen Vom Markte deö öffentlichen Lebens aus und vereinsamt ses Wissen Vom Markte deö öffentlichen Lebens aus und vereinsamt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181600"/> <p xml:id="ID_1163" prev="#ID_1162" next="#ID_1164"> ses Wissen Vom Markte deö öffentlichen Lebens aus und vereinsamt<lb/> uns in uns selber. Während die andern Völker mitten im Leben<lb/> stehen, stehen wir draußen; während die politische Theorie bei den<lb/> Andern die Darstellung eines Bedürfnisses, eines Interesses ist, rüh¬<lb/> men wir uns sie zum Selbstzweck erhoben zu haben. Dort wird sie<lb/> von der Partei, hier von der Schule getragen. Diese aber hat noch<lb/> kaum je etwas Anderes geleistet, als die Idee, um die sie sich<lb/> geschaart, zur höchsten Abstraction velflacht, die Einseitigkeit in all<lb/> ihrer ausschließlichen Schärfe gehegt und die Kluft zwischen dem<lb/> Denken und Handeln mehr und mehr erweitert. So ist denn ihr<lb/> Hauptverdienst die Phrase, welche das Privilegium hat, die Gesin¬<lb/> nungslosigkeit und Nichtigkeit zu bemänteln; jene hohle Phrase, die<lb/> zum Gemeingut geworden, die Wahrheit der Lüge und der Heuche¬<lb/> lei Preis gibt. Denn die Schule kennt nichts Höheres, denn die<lb/> nackte Form, den leeren Theorismus des Wissens. Predigt und han¬<lb/> delt die Poesie für den Fortschritt, so lehrt sie die Theorie desselben,<lb/> — während jene künstelt, disputirt diese; sie huldigt der Sache um<lb/> der Theorie willen, jene der Theorie um der Sache willen; für sie<lb/> gibt es nur maßlose Ideen, unter welchen die Verhältnisse sich beu¬<lb/> gen sollen, statt daß anerkannt werde, daß diese das Maß jener.<lb/> Würde sie es doch geradezu übel empfinden, wenn die Geschichte<lb/> eine andere Bahn sich bräche, als auf den von ihr vorgezeichneten<lb/> Wegen. — So haben wir denn in Deutschland Schulen, welche<lb/> den gewaltsamen Umsturz, Schulen, welche den gesetzmäßigen Fort¬<lb/> schritt wollen, aber keine von beiden macht auch nur die Miene dazu,<lb/> die geringste Thätigkeit sür ihre Ueberzeugung zu beweisen. — Zu¬<lb/> frieden mit der Kategorie und auf tausendfältige Weise sie umschrei¬<lb/> bend, begnügt sich jede ihre Meinung zu sagen und wieder zu sa¬<lb/> gen. — Weit entfernt aber, daß solche aus einem sorgfältigen Ein¬<lb/> gehen in die sittlichen und politischen Zustände des Volkes erwüchse,<lb/> ist sie das Resultat einer Sophistik, die aus gewissen allgemeinen<lb/> Dogmen und willkürlichen Annahmen ersprossen. Die Revolutionäre<lb/> sind revolutionär, ohne ein Bedenken darüber zu haben, ob ihnen<lb/> unter gegenwärtigen Umständen irgend Mittel zur Verwirklichung<lb/> ihrer Zwecke geboten; die Männer des loyalen Fortschritts loyal,<lb/> ohne nur darüber zu reflectiren, ob die gegenwärtigen Factoren der<lb/> Gesetzgebung irgend eine Aussicht dazu gewähren. So verschieden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0416]
ses Wissen Vom Markte deö öffentlichen Lebens aus und vereinsamt
uns in uns selber. Während die andern Völker mitten im Leben
stehen, stehen wir draußen; während die politische Theorie bei den
Andern die Darstellung eines Bedürfnisses, eines Interesses ist, rüh¬
men wir uns sie zum Selbstzweck erhoben zu haben. Dort wird sie
von der Partei, hier von der Schule getragen. Diese aber hat noch
kaum je etwas Anderes geleistet, als die Idee, um die sie sich
geschaart, zur höchsten Abstraction velflacht, die Einseitigkeit in all
ihrer ausschließlichen Schärfe gehegt und die Kluft zwischen dem
Denken und Handeln mehr und mehr erweitert. So ist denn ihr
Hauptverdienst die Phrase, welche das Privilegium hat, die Gesin¬
nungslosigkeit und Nichtigkeit zu bemänteln; jene hohle Phrase, die
zum Gemeingut geworden, die Wahrheit der Lüge und der Heuche¬
lei Preis gibt. Denn die Schule kennt nichts Höheres, denn die
nackte Form, den leeren Theorismus des Wissens. Predigt und han¬
delt die Poesie für den Fortschritt, so lehrt sie die Theorie desselben,
— während jene künstelt, disputirt diese; sie huldigt der Sache um
der Theorie willen, jene der Theorie um der Sache willen; für sie
gibt es nur maßlose Ideen, unter welchen die Verhältnisse sich beu¬
gen sollen, statt daß anerkannt werde, daß diese das Maß jener.
Würde sie es doch geradezu übel empfinden, wenn die Geschichte
eine andere Bahn sich bräche, als auf den von ihr vorgezeichneten
Wegen. — So haben wir denn in Deutschland Schulen, welche
den gewaltsamen Umsturz, Schulen, welche den gesetzmäßigen Fort¬
schritt wollen, aber keine von beiden macht auch nur die Miene dazu,
die geringste Thätigkeit sür ihre Ueberzeugung zu beweisen. — Zu¬
frieden mit der Kategorie und auf tausendfältige Weise sie umschrei¬
bend, begnügt sich jede ihre Meinung zu sagen und wieder zu sa¬
gen. — Weit entfernt aber, daß solche aus einem sorgfältigen Ein¬
gehen in die sittlichen und politischen Zustände des Volkes erwüchse,
ist sie das Resultat einer Sophistik, die aus gewissen allgemeinen
Dogmen und willkürlichen Annahmen ersprossen. Die Revolutionäre
sind revolutionär, ohne ein Bedenken darüber zu haben, ob ihnen
unter gegenwärtigen Umständen irgend Mittel zur Verwirklichung
ihrer Zwecke geboten; die Männer des loyalen Fortschritts loyal,
ohne nur darüber zu reflectiren, ob die gegenwärtigen Factoren der
Gesetzgebung irgend eine Aussicht dazu gewähren. So verschieden
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