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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Diese Worte sind schön, aber sie machen sich lächerlich, ja fast
widerwärtig, wenn man erwägt, daß sie dem Kaiser Karl V. in den
Mund gelegt sind, welcher zuerst in Deutschland den Macchiavellis-
mus und die spanische Intrigue begünstigte, sich aber zur Vergeltung
von dem noch schlaueren Moritz übertölpeln ließ. So ist das ganze
Stück Nichts als eine glänzende, mit bunten Flittern aufgeputzte Lüge,
eine Versündigung an der Geschichte, ich möchte fast sagen, eine Be¬
leidigung der deutschen Nation! Wäre der Dichter vom Geiste des
wirklichen Liberalismus erfüllt, so hatte er uns die Lüge der damali¬
gen Zeit, jene Treubrüchigkeit, jene hinterlistige, intriguensüchtige Dip¬
lomatie, jenen nur das Hausinteresse im Auge habenden Eigennutz
in nackter Wahrheit schildern und Angesichts der deutschen Nation
brandmarken müssen, um diese vor den mancherlei ähnlichen bösen
Geistern zu warnen, welche gerade seit jener Zeit unter uns umge¬
gangen und sogar noch im lichten Sonnenschein der Gegenwart
hier und da wahrzunehmen sind. Daß er dies nicht gethan, daß er
den Macchiavellismus des Einen, den Treubruch des Andern beschö¬
nigt, daß er die Charaktere verdreht, ihnen uneigennützige Motive,
Vaterlands- und Freiheitsbegriffe als Nachtjäckchen unter-, die Flitter
großherziger Lügenphrasen überzieht, daß er der Wahrheit Hals und
Beine bricht und ihr das blutende Herz aus der Brust reißt, um es
mit Zucker, Marzipan und Goldschaum, zu verkleistern und dies sü߬
liche Gebäck dem gedankenlosen Publicum in den Mund zu schieben,
das ist das Unrecht und die Lüge, womit sich der Dichter an der Na¬
tion und der Geschichte versündigt und an der Poesie selbst, welche
die Unwahrheit und die Sophistik und die Beschönigung bis auf den
Tod haßt, ein Majestätsverbrechen begangen hat, das er durch alle in
seiner Dichtung unläugbar vorhandenen trefflichen Einzelheiten wie
durch die oft blendende und glänzende Rhetorik seiner weibischen Sprache
nicht wieder gut machen kann. Der Dichter hat jedenfalls ein höhe¬
res Amt, als die historische Wahrheit wie ein wehrloses Schaf todt¬
zuschlagen und aus ihren Eingeweiden Darmsaiten zu spinnen, um,
darauf dem Publicum etwas im neuesten Geschmack vorzuklimpern.
Jedenfalls hoffe ich, durch den hier ausgesprochenen Tadel dem Dich¬
ter im Wesentlichen weniger geschadet zu haben, als ihm der unbe¬
sonnene Ausspruch eines seiner Verehrer schaden muß, der im Nürn¬
berger Correspondenten kühnlich behauptete: Moritz von Sachsen sei
unbedenklich den classischen dramatischen Dichtungen der deutschen Na¬
tion anzureihen! -- Die Darstellung der Tragödie auf der hiesigen
Hofbühne war trefflich; namentlich auszuzeichnen sind Herr Jost, der
überhaupt zu den bedeutendsten Charakterdarstellern der Gegenwart ge¬
hört, Fräulein Denker, Frau Dahn und Herr Dahn, welcher den
Moritz gab, jenen in sich haltungs- und charakterlosen, die Lücken und
Löcher seines Wesens mit schönen Deklamationen ausstopfenden Haupt-


Diese Worte sind schön, aber sie machen sich lächerlich, ja fast
widerwärtig, wenn man erwägt, daß sie dem Kaiser Karl V. in den
Mund gelegt sind, welcher zuerst in Deutschland den Macchiavellis-
mus und die spanische Intrigue begünstigte, sich aber zur Vergeltung
von dem noch schlaueren Moritz übertölpeln ließ. So ist das ganze
Stück Nichts als eine glänzende, mit bunten Flittern aufgeputzte Lüge,
eine Versündigung an der Geschichte, ich möchte fast sagen, eine Be¬
leidigung der deutschen Nation! Wäre der Dichter vom Geiste des
wirklichen Liberalismus erfüllt, so hatte er uns die Lüge der damali¬
gen Zeit, jene Treubrüchigkeit, jene hinterlistige, intriguensüchtige Dip¬
lomatie, jenen nur das Hausinteresse im Auge habenden Eigennutz
in nackter Wahrheit schildern und Angesichts der deutschen Nation
brandmarken müssen, um diese vor den mancherlei ähnlichen bösen
Geistern zu warnen, welche gerade seit jener Zeit unter uns umge¬
gangen und sogar noch im lichten Sonnenschein der Gegenwart
hier und da wahrzunehmen sind. Daß er dies nicht gethan, daß er
den Macchiavellismus des Einen, den Treubruch des Andern beschö¬
nigt, daß er die Charaktere verdreht, ihnen uneigennützige Motive,
Vaterlands- und Freiheitsbegriffe als Nachtjäckchen unter-, die Flitter
großherziger Lügenphrasen überzieht, daß er der Wahrheit Hals und
Beine bricht und ihr das blutende Herz aus der Brust reißt, um es
mit Zucker, Marzipan und Goldschaum, zu verkleistern und dies sü߬
liche Gebäck dem gedankenlosen Publicum in den Mund zu schieben,
das ist das Unrecht und die Lüge, womit sich der Dichter an der Na¬
tion und der Geschichte versündigt und an der Poesie selbst, welche
die Unwahrheit und die Sophistik und die Beschönigung bis auf den
Tod haßt, ein Majestätsverbrechen begangen hat, das er durch alle in
seiner Dichtung unläugbar vorhandenen trefflichen Einzelheiten wie
durch die oft blendende und glänzende Rhetorik seiner weibischen Sprache
nicht wieder gut machen kann. Der Dichter hat jedenfalls ein höhe¬
res Amt, als die historische Wahrheit wie ein wehrloses Schaf todt¬
zuschlagen und aus ihren Eingeweiden Darmsaiten zu spinnen, um,
darauf dem Publicum etwas im neuesten Geschmack vorzuklimpern.
Jedenfalls hoffe ich, durch den hier ausgesprochenen Tadel dem Dich¬
ter im Wesentlichen weniger geschadet zu haben, als ihm der unbe¬
sonnene Ausspruch eines seiner Verehrer schaden muß, der im Nürn¬
berger Correspondenten kühnlich behauptete: Moritz von Sachsen sei
unbedenklich den classischen dramatischen Dichtungen der deutschen Na¬
tion anzureihen! — Die Darstellung der Tragödie auf der hiesigen
Hofbühne war trefflich; namentlich auszuzeichnen sind Herr Jost, der
überhaupt zu den bedeutendsten Charakterdarstellern der Gegenwart ge¬
hört, Fräulein Denker, Frau Dahn und Herr Dahn, welcher den
Moritz gab, jenen in sich haltungs- und charakterlosen, die Lücken und
Löcher seines Wesens mit schönen Deklamationen ausstopfenden Haupt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/38>, abgerufen am 01.09.2024.