Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dere Gabe Gottes auf Rechnung schreiben, um darüber dankbarlichst
zu quittiren. Wer Jahre lang mit der Feder und mit Feder Füh¬
renden umgegangen ist, weiß am besten, wie gerade auf der rhythmi¬
schen Drehbank sich am leichtesten gangbare und gefällige liberale
Floskeln drechseln lassen. Dies hat denn auch Prutz in seinem Mo¬
ritz trefflich benutzt und dadurch den historischen Charakter der Per¬
sonen, welche in seiner Tragödie auftreten, gänzlich verwischt. Das
Recht des Dichters, mit der historischen Wahrheit ein wenig frei um¬
zuspringen, wollen wir zwar keineswegs allzusehr schmälern, indeß
sollte man doch so allgemein bekannte Charaktere, wie Kaiser Karl V.
und Churfürst Moritz nicht geradezu auf den Kopf stellen, daß sie
wie Akrobaten mit den Beinen in der Luft der Abstraction umher-
zappcln und Rad schlagen. Ja, wäre nur der prutz'sche Moritz poe¬
tisch gerechtfertigt und in sich und durch sich selbst motivirt! Was
aber ist dieser Moritz anders, als ein ganz modernes Hampelmänn¬
chen, welches vom Dichter am Drahte des vagsten und allgemeinsten
Freiheitsbegriffes hin- und hergezogen wird? Ja, könnte man auch
den historischen Moritz vergessen, so gelingt es doch dem Dichter kei¬
neswegs, uns von der Freiheitsmission seines fingirten Moritz zu über¬
zeugen. Am wenigsten gelingt ihm dies durch Phrasen, wie folgende:


-------Nun ist es gut,
Nun nimm mich hin, mein Vaterland! schiffbrüchig
Verarmt an Liebe, meiner Ehre baar,
Des besten Freundes durch mich selbst beraubt-
So nimm mich hin! Die alten Sterne sinken,'
Ein neuer steigt, ein flammender Komet,
An meinem Himmel fürchterlich empor --
Aus blur'ger Erde keimt die junge Saat:
Sonne der Freiheit, leuchte meinem Pfad!

Bei diesen fürchterlich trivialen Phrasen zieht dieser verwirrte
Mensch natürlich sein Schwert und geht wie ein echter Coulisscnheld,
der nur Kinder schreckt, unter dem Beifallklatschen der Ladendiener
und Gymnasiasten ab. ^ Leider ist weder die Intrigue durch Moritz,
noch Moritz durch die Intrigue gehoben. Etwas weniger mißlungen
erscheint der Kaiser, obgleich auch dieser nur aus bunten unhistorischen
Redensarten zusammengebacken ist; aber er spricht wenigstens nicht
ohne Energie und Schwung, wie in folgenden Versen:

O ich beschwor' Euch, künftige Regenten,
Die Ihr in Eurer zugeschlossncn Hand
'
Das Schicksal künsrgar Millionen tragt:
Versäumt es nicht, mit liebevollem Neigen,
Das Ohr zu legen an die Brust des Volkes!
i
Verkennt nicht das unschuldge Hüpfen
Der ungebornen Freiheit! Ueberhöre
Das leise Flüstern in den Zweigen nicht,
Wenn sie der Athem der Geschichte rührt! u, s. w.

Grenzboten II. 5

dere Gabe Gottes auf Rechnung schreiben, um darüber dankbarlichst
zu quittiren. Wer Jahre lang mit der Feder und mit Feder Füh¬
renden umgegangen ist, weiß am besten, wie gerade auf der rhythmi¬
schen Drehbank sich am leichtesten gangbare und gefällige liberale
Floskeln drechseln lassen. Dies hat denn auch Prutz in seinem Mo¬
ritz trefflich benutzt und dadurch den historischen Charakter der Per¬
sonen, welche in seiner Tragödie auftreten, gänzlich verwischt. Das
Recht des Dichters, mit der historischen Wahrheit ein wenig frei um¬
zuspringen, wollen wir zwar keineswegs allzusehr schmälern, indeß
sollte man doch so allgemein bekannte Charaktere, wie Kaiser Karl V.
und Churfürst Moritz nicht geradezu auf den Kopf stellen, daß sie
wie Akrobaten mit den Beinen in der Luft der Abstraction umher-
zappcln und Rad schlagen. Ja, wäre nur der prutz'sche Moritz poe¬
tisch gerechtfertigt und in sich und durch sich selbst motivirt! Was
aber ist dieser Moritz anders, als ein ganz modernes Hampelmänn¬
chen, welches vom Dichter am Drahte des vagsten und allgemeinsten
Freiheitsbegriffes hin- und hergezogen wird? Ja, könnte man auch
den historischen Moritz vergessen, so gelingt es doch dem Dichter kei¬
neswegs, uns von der Freiheitsmission seines fingirten Moritz zu über¬
zeugen. Am wenigsten gelingt ihm dies durch Phrasen, wie folgende:


—-----Nun ist es gut,
Nun nimm mich hin, mein Vaterland! schiffbrüchig
Verarmt an Liebe, meiner Ehre baar,
Des besten Freundes durch mich selbst beraubt-
So nimm mich hin! Die alten Sterne sinken,'
Ein neuer steigt, ein flammender Komet,
An meinem Himmel fürchterlich empor —
Aus blur'ger Erde keimt die junge Saat:
Sonne der Freiheit, leuchte meinem Pfad!

Bei diesen fürchterlich trivialen Phrasen zieht dieser verwirrte
Mensch natürlich sein Schwert und geht wie ein echter Coulisscnheld,
der nur Kinder schreckt, unter dem Beifallklatschen der Ladendiener
und Gymnasiasten ab. ^ Leider ist weder die Intrigue durch Moritz,
noch Moritz durch die Intrigue gehoben. Etwas weniger mißlungen
erscheint der Kaiser, obgleich auch dieser nur aus bunten unhistorischen
Redensarten zusammengebacken ist; aber er spricht wenigstens nicht
ohne Energie und Schwung, wie in folgenden Versen:

O ich beschwor' Euch, künftige Regenten,
Die Ihr in Eurer zugeschlossncn Hand
'
Das Schicksal künsrgar Millionen tragt:
Versäumt es nicht, mit liebevollem Neigen,
Das Ohr zu legen an die Brust des Volkes!
i
Verkennt nicht das unschuldge Hüpfen
Der ungebornen Freiheit! Ueberhöre
Das leise Flüstern in den Zweigen nicht,
Wenn sie der Athem der Geschichte rührt! u, s. w.

Grenzboten II. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181221"/>
            <p xml:id="ID_59" prev="#ID_58"> dere Gabe Gottes auf Rechnung schreiben, um darüber dankbarlichst<lb/>
zu quittiren. Wer Jahre lang mit der Feder und mit Feder Füh¬<lb/>
renden umgegangen ist, weiß am besten, wie gerade auf der rhythmi¬<lb/>
schen Drehbank sich am leichtesten gangbare und gefällige liberale<lb/>
Floskeln drechseln lassen. Dies hat denn auch Prutz in seinem Mo¬<lb/>
ritz trefflich benutzt und dadurch den historischen Charakter der Per¬<lb/>
sonen, welche in seiner Tragödie auftreten, gänzlich verwischt. Das<lb/>
Recht des Dichters, mit der historischen Wahrheit ein wenig frei um¬<lb/>
zuspringen, wollen wir zwar keineswegs allzusehr schmälern, indeß<lb/>
sollte man doch so allgemein bekannte Charaktere, wie Kaiser Karl V.<lb/>
und Churfürst Moritz nicht geradezu auf den Kopf stellen, daß sie<lb/>
wie Akrobaten mit den Beinen in der Luft der Abstraction umher-<lb/>
zappcln und Rad schlagen. Ja, wäre nur der prutz'sche Moritz poe¬<lb/>
tisch gerechtfertigt und in sich und durch sich selbst motivirt! Was<lb/>
aber ist dieser Moritz anders, als ein ganz modernes Hampelmänn¬<lb/>
chen, welches vom Dichter am Drahte des vagsten und allgemeinsten<lb/>
Freiheitsbegriffes hin- und hergezogen wird? Ja, könnte man auch<lb/>
den historischen Moritz vergessen, so gelingt es doch dem Dichter kei¬<lb/>
neswegs, uns von der Freiheitsmission seines fingirten Moritz zu über¬<lb/>
zeugen. Am wenigsten gelingt ihm dies durch Phrasen, wie folgende:</p><lb/>
            <quote> &#x2014;-----Nun ist es gut,<lb/>
Nun nimm mich hin, mein Vaterland! schiffbrüchig<lb/>
Verarmt an Liebe, meiner Ehre baar,<lb/>
Des besten Freundes durch mich selbst beraubt-<lb/>
So nimm mich hin! Die alten Sterne sinken,'<lb/>
Ein neuer steigt, ein flammender Komet,<lb/>
An meinem Himmel fürchterlich empor &#x2014;<lb/>
Aus blur'ger Erde keimt die junge Saat:<lb/>
Sonne der Freiheit, leuchte meinem Pfad!</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_60"> Bei diesen fürchterlich trivialen Phrasen zieht dieser verwirrte<lb/>
Mensch natürlich sein Schwert und geht wie ein echter Coulisscnheld,<lb/>
der nur Kinder schreckt, unter dem Beifallklatschen der Ladendiener<lb/>
und Gymnasiasten ab. ^ Leider ist weder die Intrigue durch Moritz,<lb/>
noch Moritz durch die Intrigue gehoben. Etwas weniger mißlungen<lb/>
erscheint der Kaiser, obgleich auch dieser nur aus bunten unhistorischen<lb/>
Redensarten zusammengebacken ist; aber er spricht wenigstens nicht<lb/>
ohne Energie und Schwung, wie in folgenden Versen:</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_3" type="poem">
              <l> O ich beschwor' Euch, künftige Regenten,<lb/>
Die Ihr in Eurer zugeschlossncn Hand<lb/>
'<lb/>
Das Schicksal künsrgar Millionen tragt:<lb/>
Versäumt es nicht, mit liebevollem Neigen,<lb/>
Das Ohr zu legen an die Brust des Volkes!<lb/>
i<lb/>
Verkennt nicht das unschuldge Hüpfen<lb/>
Der ungebornen Freiheit! Ueberhöre<lb/>
Das leise Flüstern in den Zweigen nicht,<lb/>
Wenn sie der Athem der Geschichte rührt! u, s. w.<lb/></l>
            </lg><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 5</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] dere Gabe Gottes auf Rechnung schreiben, um darüber dankbarlichst zu quittiren. Wer Jahre lang mit der Feder und mit Feder Füh¬ renden umgegangen ist, weiß am besten, wie gerade auf der rhythmi¬ schen Drehbank sich am leichtesten gangbare und gefällige liberale Floskeln drechseln lassen. Dies hat denn auch Prutz in seinem Mo¬ ritz trefflich benutzt und dadurch den historischen Charakter der Per¬ sonen, welche in seiner Tragödie auftreten, gänzlich verwischt. Das Recht des Dichters, mit der historischen Wahrheit ein wenig frei um¬ zuspringen, wollen wir zwar keineswegs allzusehr schmälern, indeß sollte man doch so allgemein bekannte Charaktere, wie Kaiser Karl V. und Churfürst Moritz nicht geradezu auf den Kopf stellen, daß sie wie Akrobaten mit den Beinen in der Luft der Abstraction umher- zappcln und Rad schlagen. Ja, wäre nur der prutz'sche Moritz poe¬ tisch gerechtfertigt und in sich und durch sich selbst motivirt! Was aber ist dieser Moritz anders, als ein ganz modernes Hampelmänn¬ chen, welches vom Dichter am Drahte des vagsten und allgemeinsten Freiheitsbegriffes hin- und hergezogen wird? Ja, könnte man auch den historischen Moritz vergessen, so gelingt es doch dem Dichter kei¬ neswegs, uns von der Freiheitsmission seines fingirten Moritz zu über¬ zeugen. Am wenigsten gelingt ihm dies durch Phrasen, wie folgende: —-----Nun ist es gut, Nun nimm mich hin, mein Vaterland! schiffbrüchig Verarmt an Liebe, meiner Ehre baar, Des besten Freundes durch mich selbst beraubt- So nimm mich hin! Die alten Sterne sinken,' Ein neuer steigt, ein flammender Komet, An meinem Himmel fürchterlich empor — Aus blur'ger Erde keimt die junge Saat: Sonne der Freiheit, leuchte meinem Pfad! Bei diesen fürchterlich trivialen Phrasen zieht dieser verwirrte Mensch natürlich sein Schwert und geht wie ein echter Coulisscnheld, der nur Kinder schreckt, unter dem Beifallklatschen der Ladendiener und Gymnasiasten ab. ^ Leider ist weder die Intrigue durch Moritz, noch Moritz durch die Intrigue gehoben. Etwas weniger mißlungen erscheint der Kaiser, obgleich auch dieser nur aus bunten unhistorischen Redensarten zusammengebacken ist; aber er spricht wenigstens nicht ohne Energie und Schwung, wie in folgenden Versen: O ich beschwor' Euch, künftige Regenten, Die Ihr in Eurer zugeschlossncn Hand ' Das Schicksal künsrgar Millionen tragt: Versäumt es nicht, mit liebevollem Neigen, Das Ohr zu legen an die Brust des Volkes! i Verkennt nicht das unschuldge Hüpfen Der ungebornen Freiheit! Ueberhöre Das leise Flüstern in den Zweigen nicht, Wenn sie der Athem der Geschichte rührt! u, s. w. Grenzboten II. 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/37>, abgerufen am 27.07.2024.