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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ter stand. Das ist ein einfacher Stoff, der eben nur durch einen
hinreißenden begeisterten Vortrag so viel Eindruck machen konnte.
Der Schmerz der Mutter im Hinblick auf die zarten Kinder, welche
so früh heimathlos wurden, ist tief, treu und naturwahr. Das
dumpfe Brüten des Mannes über die traurige Zukunft ist beängsti¬
gend, herzbeklemmend. Ob diese Bilder aber wirklich historische sind,
ist eine Frage, die schwer zu beantworten sein würde; ob sich uns
beim Anblick dieser unglücklichen Familie wirklich das Mitleid für
ein unterdrücktes, gemißhandeltes Volk aufdrängt, ist schwer zu ent-
scheiden, weil dieser Gedanke uns zu nah liegt, um ihn nicht augen¬
blicklich auch ohne den mächtigen Geist, der hierzu aus dem Bilde
wehen müßte, zu fassen. Jedenfalls war die Malerin sehr glücklich
in der Lösung ihrer Aufgabe, denn die Bilder bringen eine Stim¬
mung hervor, die zu wehmüthig und gewaltig ist, um nur aus dem
Unglück dieser einzelnen Familien zu entspringen. Das zweite bedeu¬
tend kleinere Bild, eine flüchtige Polin mit ihren Kindern,
ist als Kunstwerk in seiner Aeußerlichkeit viel weiter gediehen, als
das frühere. Ein jugendlich kräftiges Weib, von zwei ihrer Kinder
gefolgt, während sie die Ueberlast eines dritten auf den Armen trägt,
was durch das gewaltsame Zurückdrängen des Oberkörpers ganz
vortrefflich angedeutet wird, geht eilenden Schrittes durch ein Korn¬
feld. Wir begegnen hier wieder dem großen Selbstvertrauen der
Künstlerin zu sich und zu ihrer Aufgabe. Wodurch die Flucht die¬
ses Weibes veranlaßt wird, ist nicht im entferntesten angedeutet. Es
ist, als wollte sie sagen: Ihr wißt ja so gut wie ich, wovor eine
Polin fliehen kann. -- Dies Bild ist in sich vollendeter als daS
frühere, welches störend durch das gelbe Licht der scheidenden Sonne
wirkt. -- Mein Bericht über die bis jetzt (den 12. Octbr.) aus¬
gestellten historischen Bilder wäre zu Ende, wenn ich nicht noch einiger
Skizzen Erwähnung thun wollte, die mir durch ein überaus gründ¬
liches Studium der Alten auffielen. ES ist Christus am Kreuz
von A. Richter und die Auferstehung Christi von Franz
Wagner. Beide'machen einen höchst ruhigen und angenehmen
Eindruck durch die Farbe; ein Vorzug, den man nicht genug schätzen
kann. --

Mein Bericht wendet sich jetzt unmittelbar dem Genre zu.
Später wenn ich mit Genre und Landschaft zu Ende bin, welche


ter stand. Das ist ein einfacher Stoff, der eben nur durch einen
hinreißenden begeisterten Vortrag so viel Eindruck machen konnte.
Der Schmerz der Mutter im Hinblick auf die zarten Kinder, welche
so früh heimathlos wurden, ist tief, treu und naturwahr. Das
dumpfe Brüten des Mannes über die traurige Zukunft ist beängsti¬
gend, herzbeklemmend. Ob diese Bilder aber wirklich historische sind,
ist eine Frage, die schwer zu beantworten sein würde; ob sich uns
beim Anblick dieser unglücklichen Familie wirklich das Mitleid für
ein unterdrücktes, gemißhandeltes Volk aufdrängt, ist schwer zu ent-
scheiden, weil dieser Gedanke uns zu nah liegt, um ihn nicht augen¬
blicklich auch ohne den mächtigen Geist, der hierzu aus dem Bilde
wehen müßte, zu fassen. Jedenfalls war die Malerin sehr glücklich
in der Lösung ihrer Aufgabe, denn die Bilder bringen eine Stim¬
mung hervor, die zu wehmüthig und gewaltig ist, um nur aus dem
Unglück dieser einzelnen Familien zu entspringen. Das zweite bedeu¬
tend kleinere Bild, eine flüchtige Polin mit ihren Kindern,
ist als Kunstwerk in seiner Aeußerlichkeit viel weiter gediehen, als
das frühere. Ein jugendlich kräftiges Weib, von zwei ihrer Kinder
gefolgt, während sie die Ueberlast eines dritten auf den Armen trägt,
was durch das gewaltsame Zurückdrängen des Oberkörpers ganz
vortrefflich angedeutet wird, geht eilenden Schrittes durch ein Korn¬
feld. Wir begegnen hier wieder dem großen Selbstvertrauen der
Künstlerin zu sich und zu ihrer Aufgabe. Wodurch die Flucht die¬
ses Weibes veranlaßt wird, ist nicht im entferntesten angedeutet. Es
ist, als wollte sie sagen: Ihr wißt ja so gut wie ich, wovor eine
Polin fliehen kann. — Dies Bild ist in sich vollendeter als daS
frühere, welches störend durch das gelbe Licht der scheidenden Sonne
wirkt. — Mein Bericht über die bis jetzt (den 12. Octbr.) aus¬
gestellten historischen Bilder wäre zu Ende, wenn ich nicht noch einiger
Skizzen Erwähnung thun wollte, die mir durch ein überaus gründ¬
liches Studium der Alten auffielen. ES ist Christus am Kreuz
von A. Richter und die Auferstehung Christi von Franz
Wagner. Beide'machen einen höchst ruhigen und angenehmen
Eindruck durch die Farbe; ein Vorzug, den man nicht genug schätzen
kann. —

Mein Bericht wendet sich jetzt unmittelbar dem Genre zu.
Später wenn ich mit Genre und Landschaft zu Ende bin, welche


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[0364] ter stand. Das ist ein einfacher Stoff, der eben nur durch einen hinreißenden begeisterten Vortrag so viel Eindruck machen konnte. Der Schmerz der Mutter im Hinblick auf die zarten Kinder, welche so früh heimathlos wurden, ist tief, treu und naturwahr. Das dumpfe Brüten des Mannes über die traurige Zukunft ist beängsti¬ gend, herzbeklemmend. Ob diese Bilder aber wirklich historische sind, ist eine Frage, die schwer zu beantworten sein würde; ob sich uns beim Anblick dieser unglücklichen Familie wirklich das Mitleid für ein unterdrücktes, gemißhandeltes Volk aufdrängt, ist schwer zu ent- scheiden, weil dieser Gedanke uns zu nah liegt, um ihn nicht augen¬ blicklich auch ohne den mächtigen Geist, der hierzu aus dem Bilde wehen müßte, zu fassen. Jedenfalls war die Malerin sehr glücklich in der Lösung ihrer Aufgabe, denn die Bilder bringen eine Stim¬ mung hervor, die zu wehmüthig und gewaltig ist, um nur aus dem Unglück dieser einzelnen Familien zu entspringen. Das zweite bedeu¬ tend kleinere Bild, eine flüchtige Polin mit ihren Kindern, ist als Kunstwerk in seiner Aeußerlichkeit viel weiter gediehen, als das frühere. Ein jugendlich kräftiges Weib, von zwei ihrer Kinder gefolgt, während sie die Ueberlast eines dritten auf den Armen trägt, was durch das gewaltsame Zurückdrängen des Oberkörpers ganz vortrefflich angedeutet wird, geht eilenden Schrittes durch ein Korn¬ feld. Wir begegnen hier wieder dem großen Selbstvertrauen der Künstlerin zu sich und zu ihrer Aufgabe. Wodurch die Flucht die¬ ses Weibes veranlaßt wird, ist nicht im entferntesten angedeutet. Es ist, als wollte sie sagen: Ihr wißt ja so gut wie ich, wovor eine Polin fliehen kann. — Dies Bild ist in sich vollendeter als daS frühere, welches störend durch das gelbe Licht der scheidenden Sonne wirkt. — Mein Bericht über die bis jetzt (den 12. Octbr.) aus¬ gestellten historischen Bilder wäre zu Ende, wenn ich nicht noch einiger Skizzen Erwähnung thun wollte, die mir durch ein überaus gründ¬ liches Studium der Alten auffielen. ES ist Christus am Kreuz von A. Richter und die Auferstehung Christi von Franz Wagner. Beide'machen einen höchst ruhigen und angenehmen Eindruck durch die Farbe; ein Vorzug, den man nicht genug schätzen kann. — Mein Bericht wendet sich jetzt unmittelbar dem Genre zu. Später wenn ich mit Genre und Landschaft zu Ende bin, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/364>, abgerufen am 05.12.2024.