Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bild ist mehr historischer Art. Todesgang der Maria S tu art
und Abschied von ihren Dienern heißt es im Katalog. Der
Künstler hat den Moment gewählt, wo der lang verhaltene Schmerz
ihrer treuen Diener und Dienerinnen auf herzzerreißende Weise zum
Ausbruch kommt und noch einmal dies schon beinahe zur ewigen Ruhe
gekommene Gemüth in das Leben hineinzieht. Am wenigsten weiß sich
ihr alter Haushofmeister, Melville, zu mäßigen. Mit verhülltem Ge¬
sicht liegt er der unglücklichen Herrin zu Füßen, während die engli¬
schen Beamten, über diese Verzögerung unmuthig, zu befehlen schei¬
nen, daß man der Sache ein Ende mache. Die Charakteristik der
verschiedenen Figuren, der verschieden ausgesprochene Schmerz in den
Mienen ihrer Freunde, die Ruhe in den Gesichtern der englischen
Geistlichen und Beamten ist bis in's Tiefste hinein gelungen. Maria
selbst gleicht dem früher beschriebenen Bilde. Wir sehen dieselben
bleichen, entschlossenen Züge, wir folgen demselben Blick zu Gott em¬
por und beten mit ihr sür sie. Auch der Vortrag befriedigt im ho¬
hen Grade. Die Farbe ist klar und in sich gesättigt, das Ganze
von einer hohen und bestimmten Harmonie. -- Ich komme jetzt zu
zwei Bildern einer Dame, die noch etwas roh und ungehobelt auf¬
tritt, an der wir jedoch eine Keckheit, ein Vertrauen auf die Macht
ihrer Darstellung und die Wirkung ihres Stoffes bewundern, das wir
keinem der vorerwähnten Künstler zusprechen können. Elisabeth
Baumann aus Warschau in Düsseldorf ist die Einzige, die
mit der Wahl ihres Stoffes noch in die Gegenwart hineingegangen
ist, in die Geschichte des letzten Aufstandes von Polen. Man denke
nicht, daß wir es hier mit Leichen, mit brennenden Häusern und zer¬
störten Städten zu thun bekommen, -- nein! diese grause Romantik
tritt uns nur mittelbar vor die Augen. Wir sehen auf dem ersten
großen Bilde: Eine polnische Bauernfamilie auf den Trüm¬
mern ihres Hauses; ein Weib, das sich im tiefen Schmerz zu
ihren Kindern herniederbeugt, die zu ihren Füßen schlummern, wäh¬
rend der Mann, auf die Schulter seines Weibes gelehnt,
mit dem Ausdrucke verbissenen Grimmes hinausschaut in die
weite, von einem Flusse durchströmte Ebene. Schon hat die
Hand den Wanderstab gefaßt, was wohl andeuten soll, daß
er nach einer kurzen Rast, durch welche die Kinder gestärkt
werden sollen, die Stätte verlassen wird, wo das Haus seiner Va-


Bild ist mehr historischer Art. Todesgang der Maria S tu art
und Abschied von ihren Dienern heißt es im Katalog. Der
Künstler hat den Moment gewählt, wo der lang verhaltene Schmerz
ihrer treuen Diener und Dienerinnen auf herzzerreißende Weise zum
Ausbruch kommt und noch einmal dies schon beinahe zur ewigen Ruhe
gekommene Gemüth in das Leben hineinzieht. Am wenigsten weiß sich
ihr alter Haushofmeister, Melville, zu mäßigen. Mit verhülltem Ge¬
sicht liegt er der unglücklichen Herrin zu Füßen, während die engli¬
schen Beamten, über diese Verzögerung unmuthig, zu befehlen schei¬
nen, daß man der Sache ein Ende mache. Die Charakteristik der
verschiedenen Figuren, der verschieden ausgesprochene Schmerz in den
Mienen ihrer Freunde, die Ruhe in den Gesichtern der englischen
Geistlichen und Beamten ist bis in's Tiefste hinein gelungen. Maria
selbst gleicht dem früher beschriebenen Bilde. Wir sehen dieselben
bleichen, entschlossenen Züge, wir folgen demselben Blick zu Gott em¬
por und beten mit ihr sür sie. Auch der Vortrag befriedigt im ho¬
hen Grade. Die Farbe ist klar und in sich gesättigt, das Ganze
von einer hohen und bestimmten Harmonie. — Ich komme jetzt zu
zwei Bildern einer Dame, die noch etwas roh und ungehobelt auf¬
tritt, an der wir jedoch eine Keckheit, ein Vertrauen auf die Macht
ihrer Darstellung und die Wirkung ihres Stoffes bewundern, das wir
keinem der vorerwähnten Künstler zusprechen können. Elisabeth
Baumann aus Warschau in Düsseldorf ist die Einzige, die
mit der Wahl ihres Stoffes noch in die Gegenwart hineingegangen
ist, in die Geschichte des letzten Aufstandes von Polen. Man denke
nicht, daß wir es hier mit Leichen, mit brennenden Häusern und zer¬
störten Städten zu thun bekommen, — nein! diese grause Romantik
tritt uns nur mittelbar vor die Augen. Wir sehen auf dem ersten
großen Bilde: Eine polnische Bauernfamilie auf den Trüm¬
mern ihres Hauses; ein Weib, das sich im tiefen Schmerz zu
ihren Kindern herniederbeugt, die zu ihren Füßen schlummern, wäh¬
rend der Mann, auf die Schulter seines Weibes gelehnt,
mit dem Ausdrucke verbissenen Grimmes hinausschaut in die
weite, von einem Flusse durchströmte Ebene. Schon hat die
Hand den Wanderstab gefaßt, was wohl andeuten soll, daß
er nach einer kurzen Rast, durch welche die Kinder gestärkt
werden sollen, die Stätte verlassen wird, wo das Haus seiner Va-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181547"/>
            <p xml:id="ID_1035" prev="#ID_1034" next="#ID_1036"> Bild ist mehr historischer Art. Todesgang der Maria S tu art<lb/>
und Abschied von ihren Dienern heißt es im Katalog. Der<lb/>
Künstler hat den Moment gewählt, wo der lang verhaltene Schmerz<lb/>
ihrer treuen Diener und Dienerinnen auf herzzerreißende Weise zum<lb/>
Ausbruch kommt und noch einmal dies schon beinahe zur ewigen Ruhe<lb/>
gekommene Gemüth in das Leben hineinzieht. Am wenigsten weiß sich<lb/>
ihr alter Haushofmeister, Melville, zu mäßigen. Mit verhülltem Ge¬<lb/>
sicht liegt er der unglücklichen Herrin zu Füßen, während die engli¬<lb/>
schen Beamten, über diese Verzögerung unmuthig, zu befehlen schei¬<lb/>
nen, daß man der Sache ein Ende mache. Die Charakteristik der<lb/>
verschiedenen Figuren, der verschieden ausgesprochene Schmerz in den<lb/>
Mienen ihrer Freunde, die Ruhe in den Gesichtern der englischen<lb/>
Geistlichen und Beamten ist bis in's Tiefste hinein gelungen. Maria<lb/>
selbst gleicht dem früher beschriebenen Bilde.  Wir sehen dieselben<lb/>
bleichen, entschlossenen Züge, wir folgen demselben Blick zu Gott em¬<lb/>
por und beten mit ihr sür sie. Auch der Vortrag befriedigt im ho¬<lb/>
hen Grade. Die Farbe ist klar und in sich gesättigt, das Ganze<lb/>
von einer hohen und bestimmten Harmonie. &#x2014; Ich komme jetzt zu<lb/>
zwei Bildern einer Dame, die noch etwas roh und ungehobelt auf¬<lb/>
tritt, an der wir jedoch eine Keckheit, ein Vertrauen auf die Macht<lb/>
ihrer Darstellung und die Wirkung ihres Stoffes bewundern, das wir<lb/>
keinem der vorerwähnten Künstler zusprechen können. Elisabeth<lb/>
Baumann aus Warschau in Düsseldorf ist die Einzige, die<lb/>
mit der Wahl ihres Stoffes noch in die Gegenwart hineingegangen<lb/>
ist, in die Geschichte des letzten Aufstandes von Polen. Man denke<lb/>
nicht, daß wir es hier mit Leichen, mit brennenden Häusern und zer¬<lb/>
störten Städten zu thun bekommen, &#x2014; nein! diese grause Romantik<lb/>
tritt uns nur mittelbar vor die Augen. Wir sehen auf dem ersten<lb/>
großen Bilde: Eine polnische Bauernfamilie auf den Trüm¬<lb/>
mern ihres Hauses; ein Weib, das sich im tiefen Schmerz zu<lb/>
ihren Kindern herniederbeugt, die zu ihren Füßen schlummern, wäh¬<lb/>
rend der Mann, auf die Schulter  seines Weibes gelehnt,<lb/>
mit dem Ausdrucke verbissenen Grimmes  hinausschaut in die<lb/>
weite, von einem Flusse durchströmte Ebene. Schon hat die<lb/>
Hand den Wanderstab gefaßt, was wohl andeuten soll, daß<lb/>
er nach einer kurzen Rast, durch welche die Kinder gestärkt<lb/>
werden sollen, die Stätte verlassen wird, wo das Haus seiner Va-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0363] Bild ist mehr historischer Art. Todesgang der Maria S tu art und Abschied von ihren Dienern heißt es im Katalog. Der Künstler hat den Moment gewählt, wo der lang verhaltene Schmerz ihrer treuen Diener und Dienerinnen auf herzzerreißende Weise zum Ausbruch kommt und noch einmal dies schon beinahe zur ewigen Ruhe gekommene Gemüth in das Leben hineinzieht. Am wenigsten weiß sich ihr alter Haushofmeister, Melville, zu mäßigen. Mit verhülltem Ge¬ sicht liegt er der unglücklichen Herrin zu Füßen, während die engli¬ schen Beamten, über diese Verzögerung unmuthig, zu befehlen schei¬ nen, daß man der Sache ein Ende mache. Die Charakteristik der verschiedenen Figuren, der verschieden ausgesprochene Schmerz in den Mienen ihrer Freunde, die Ruhe in den Gesichtern der englischen Geistlichen und Beamten ist bis in's Tiefste hinein gelungen. Maria selbst gleicht dem früher beschriebenen Bilde. Wir sehen dieselben bleichen, entschlossenen Züge, wir folgen demselben Blick zu Gott em¬ por und beten mit ihr sür sie. Auch der Vortrag befriedigt im ho¬ hen Grade. Die Farbe ist klar und in sich gesättigt, das Ganze von einer hohen und bestimmten Harmonie. — Ich komme jetzt zu zwei Bildern einer Dame, die noch etwas roh und ungehobelt auf¬ tritt, an der wir jedoch eine Keckheit, ein Vertrauen auf die Macht ihrer Darstellung und die Wirkung ihres Stoffes bewundern, das wir keinem der vorerwähnten Künstler zusprechen können. Elisabeth Baumann aus Warschau in Düsseldorf ist die Einzige, die mit der Wahl ihres Stoffes noch in die Gegenwart hineingegangen ist, in die Geschichte des letzten Aufstandes von Polen. Man denke nicht, daß wir es hier mit Leichen, mit brennenden Häusern und zer¬ störten Städten zu thun bekommen, — nein! diese grause Romantik tritt uns nur mittelbar vor die Augen. Wir sehen auf dem ersten großen Bilde: Eine polnische Bauernfamilie auf den Trüm¬ mern ihres Hauses; ein Weib, das sich im tiefen Schmerz zu ihren Kindern herniederbeugt, die zu ihren Füßen schlummern, wäh¬ rend der Mann, auf die Schulter seines Weibes gelehnt, mit dem Ausdrucke verbissenen Grimmes hinausschaut in die weite, von einem Flusse durchströmte Ebene. Schon hat die Hand den Wanderstab gefaßt, was wohl andeuten soll, daß er nach einer kurzen Rast, durch welche die Kinder gestärkt werden sollen, die Stätte verlassen wird, wo das Haus seiner Va-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/363
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/363>, abgerufen am 01.09.2024.