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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Rolle allein zu ziehen sich bestrebt; -- weil sie eS mit den. Deuten
zu thun hat, das die Wahrheit der Dinge erfassen soll, -nacht ste
das Denken zur Wahrheit selbst -- aber sie gleicht darin jenem Toll-
Häusler,, der sein wahres Selbst verloren und sich mit dem Gegen¬
stande seiner Vorstellung identificirt hat. Der Begriff ist erst ein Zwei¬
tes, die Beziehung des denkenden Menschen zum Gegebenen und
hat demnach dieses zu seiner Voraussetzung, aber die Spekulation hat
solches Verhältniß gerade umgekehrt. Nicht der Staat, oder das ihn
zeugende Bedürfniß hat den Begriff, sondern dieser jenes hervorge¬
bracht, nicht die Sittlichkeit wird im Staate real, sondern die "sitt¬
liche Idee". ^) Es ist dabei auch ganz gleichgiltig, ob der "sittliche
Wille" dafür gesetzt wird, denn es ist dieser eben nur eine Modification
der Idee, wie es denn ja an Rousseau von Hegel anerkannt wird,
daß, indem jener den Willen als Princip des Staates ausgespro¬
chen, eines aufgestellt sei, "das nicht nur seiner Form, sondern dem
Inhalte nach Gedanke und zwar das Denken selber sei," So ist
die Verfassung nichts Anderes, denn der aus dem Begriff geborene
Organismus seiner Unterschiede. Die Idee ist als speculative nun
einmal keine, wie andere mehr, sondern eine ideale Welt, welche eine
Mannichfaltigkeit in sich zusammenschließt und diese in das Reich
des Daseins eingehen läßt. 555) Nichts desto weniger ist sie nicht
von dieser Welt, und indem sie deren Gestalt angenommen, ist sie
zur Lüge gegen sich selber geworden. Sie hat nimmer im Diesseits
ihr jenseitiges Wesen verläugnen können, sondern trotz aller Umhül¬
lungen der Worte und der Kategorien bricht eS in jedem Momente
wieder hervor. Nur der blöde Sinn mochte den falschen Schein freu¬
dig begrüßen, als sie nunmehr daS Leben durch die Idee erst Mhc-i-'
ligt, während gerade die Wahrheit desselben in ihrer weltliche" Ge¬
staltung die vollgiltigste Nichtigkeitserklärung alles derartigen Thuns
und Treibens war. Oder ist, es nicht ein offenbarer Spott, den die
Idee mit der Erde treibt, wenn sie, deren Bildung adoptirend, ihren
unendlichen Contrast dagegen fühlbar macht, eben wie jener Schalks¬
narr, der die Königswürde parodirte, indem er die Krone über seine
Schellenkappe stülpte, die dann gar wundersam daraus hervorguckte? !
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*) Heg. Rechtsphilos. 2te Ausg. <>. 257.
eben". H. 258.
vergl. ebendaselbst H. SK9. Sö.

Rolle allein zu ziehen sich bestrebt; — weil sie eS mit den. Deuten
zu thun hat, das die Wahrheit der Dinge erfassen soll, -nacht ste
das Denken zur Wahrheit selbst — aber sie gleicht darin jenem Toll-
Häusler,, der sein wahres Selbst verloren und sich mit dem Gegen¬
stande seiner Vorstellung identificirt hat. Der Begriff ist erst ein Zwei¬
tes, die Beziehung des denkenden Menschen zum Gegebenen und
hat demnach dieses zu seiner Voraussetzung, aber die Spekulation hat
solches Verhältniß gerade umgekehrt. Nicht der Staat, oder das ihn
zeugende Bedürfniß hat den Begriff, sondern dieser jenes hervorge¬
bracht, nicht die Sittlichkeit wird im Staate real, sondern die „sitt¬
liche Idee". ^) Es ist dabei auch ganz gleichgiltig, ob der „sittliche
Wille" dafür gesetzt wird, denn es ist dieser eben nur eine Modification
der Idee, wie es denn ja an Rousseau von Hegel anerkannt wird,
daß, indem jener den Willen als Princip des Staates ausgespro¬
chen, eines aufgestellt sei, „das nicht nur seiner Form, sondern dem
Inhalte nach Gedanke und zwar das Denken selber sei," So ist
die Verfassung nichts Anderes, denn der aus dem Begriff geborene
Organismus seiner Unterschiede. Die Idee ist als speculative nun
einmal keine, wie andere mehr, sondern eine ideale Welt, welche eine
Mannichfaltigkeit in sich zusammenschließt und diese in das Reich
des Daseins eingehen läßt. 555) Nichts desto weniger ist sie nicht
von dieser Welt, und indem sie deren Gestalt angenommen, ist sie
zur Lüge gegen sich selber geworden. Sie hat nimmer im Diesseits
ihr jenseitiges Wesen verläugnen können, sondern trotz aller Umhül¬
lungen der Worte und der Kategorien bricht eS in jedem Momente
wieder hervor. Nur der blöde Sinn mochte den falschen Schein freu¬
dig begrüßen, als sie nunmehr daS Leben durch die Idee erst Mhc-i-'
ligt, während gerade die Wahrheit desselben in ihrer weltliche» Ge¬
staltung die vollgiltigste Nichtigkeitserklärung alles derartigen Thuns
und Treibens war. Oder ist, es nicht ein offenbarer Spott, den die
Idee mit der Erde treibt, wenn sie, deren Bildung adoptirend, ihren
unendlichen Contrast dagegen fühlbar macht, eben wie jener Schalks¬
narr, der die Königswürde parodirte, indem er die Krone über seine
Schellenkappe stülpte, die dann gar wundersam daraus hervorguckte? !
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*) Heg. Rechtsphilos. 2te Ausg. <>. 257.
eben». H. 258.
vergl. ebendaselbst H. SK9. Sö.
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[0306] Rolle allein zu ziehen sich bestrebt; — weil sie eS mit den. Deuten zu thun hat, das die Wahrheit der Dinge erfassen soll, -nacht ste das Denken zur Wahrheit selbst — aber sie gleicht darin jenem Toll- Häusler,, der sein wahres Selbst verloren und sich mit dem Gegen¬ stande seiner Vorstellung identificirt hat. Der Begriff ist erst ein Zwei¬ tes, die Beziehung des denkenden Menschen zum Gegebenen und hat demnach dieses zu seiner Voraussetzung, aber die Spekulation hat solches Verhältniß gerade umgekehrt. Nicht der Staat, oder das ihn zeugende Bedürfniß hat den Begriff, sondern dieser jenes hervorge¬ bracht, nicht die Sittlichkeit wird im Staate real, sondern die „sitt¬ liche Idee". ^) Es ist dabei auch ganz gleichgiltig, ob der „sittliche Wille" dafür gesetzt wird, denn es ist dieser eben nur eine Modification der Idee, wie es denn ja an Rousseau von Hegel anerkannt wird, daß, indem jener den Willen als Princip des Staates ausgespro¬ chen, eines aufgestellt sei, „das nicht nur seiner Form, sondern dem Inhalte nach Gedanke und zwar das Denken selber sei," So ist die Verfassung nichts Anderes, denn der aus dem Begriff geborene Organismus seiner Unterschiede. Die Idee ist als speculative nun einmal keine, wie andere mehr, sondern eine ideale Welt, welche eine Mannichfaltigkeit in sich zusammenschließt und diese in das Reich des Daseins eingehen läßt. 555) Nichts desto weniger ist sie nicht von dieser Welt, und indem sie deren Gestalt angenommen, ist sie zur Lüge gegen sich selber geworden. Sie hat nimmer im Diesseits ihr jenseitiges Wesen verläugnen können, sondern trotz aller Umhül¬ lungen der Worte und der Kategorien bricht eS in jedem Momente wieder hervor. Nur der blöde Sinn mochte den falschen Schein freu¬ dig begrüßen, als sie nunmehr daS Leben durch die Idee erst Mhc-i-' ligt, während gerade die Wahrheit desselben in ihrer weltliche» Ge¬ staltung die vollgiltigste Nichtigkeitserklärung alles derartigen Thuns und Treibens war. Oder ist, es nicht ein offenbarer Spott, den die Idee mit der Erde treibt, wenn sie, deren Bildung adoptirend, ihren unendlichen Contrast dagegen fühlbar macht, eben wie jener Schalks¬ narr, der die Königswürde parodirte, indem er die Krone über seine Schellenkappe stülpte, die dann gar wundersam daraus hervorguckte? ! '''-''-' *) Heg. Rechtsphilos. 2te Ausg. <>. 257. eben». H. 258. vergl. ebendaselbst H. SK9. Sö.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/306>, abgerufen am 01.09.2024.