Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der logischen Abstraction, und dieses Alles kehrt im Verlaufe des
Systems wieder, noch ebenso abstract, aber in andern Formen und
mit der Versicherung, wirklich ein Anderes zu sein. So ist denn
dort der Endlichkeit dieselbe Rolle zugetheilt, welche hier die "beson¬
dern Volksgeister" spielen. Wie jene einem Systeme widersprechend
erscheinen mußte, das den absoluten Gedanken an seine Spitze stellt,
ebenso diese historisch bestimmten Eristenzen. Der Gedanke der Un¬
endlichkeit und des unumschränkten Weltgeistes sind von vornherein
Voraussetzungen, die an Alles gehalten und an denen Alles be¬
messen wird; die Dialektik die gehorsame Magd, die dem 8in julzeo
der Speculation zu Willen ist. So mußte denn freilich die Endlich¬
keit ihre Wahrheit in ihrer Vernichtung finden und die feste Wirk¬
lichkeit des Lebens in der vagen Abstraktion. Nun sind zwar, Dank
der glücklichen Zweideutigkeit, die in dem "aufgehoben sein" gar
nicht oft genug geltend gemacht werden kann.H) in ihr, die eine
"concrete Idee" ist, jene Eristenzen nicht untergegangen, sondern als
Momente noch vorhanden, aber gleichwohl nicht mehr als auf einan¬
der folgende oder zeitlich getrennte. Vielmehr ist im Weltgeist alles
Außereinander, die Fernen des Raumes und der Zeit, aufgehoben.
Seine Idee ist eine an sich unterschiedövvlle, nichts destoweniger aber
zugleich eine Einheit d. h. die Unterschiede, deren Folge die Zeit
ausmacht, eristiren, aber ihre wesentliche Bestimmung, -außer ein¬
ander zu sein, ist ihnen genommen. Der Weltgeist, die wahre Wirk¬
lichkeit der Geschichte, ist ein zeitloses Sein.

In unsern Bemerkungen über die Logik haben wir auf die
Verwandtschaft der Speculation mit der religiösen Anschauungsweise
hingedeutet. Nirgends tritt die Innigkeit derselben deutlicher hervor,
denn hier. Jenes Verhältniß der einzelnen Volker und Staaten zum
Weltgeist ist lediglich eine Copie des religiösen Verhältnisses der Welt
zu Gott. In den Himmel hat der Mensch auch nur sein eignes
Wesen niedergelegt, aber ebenfalls nicht in der wahren Gestalt sei-
ner Wirklichkeit, sondern nachdem er es aller Schranken und des
Maßes, das Zeit und Raum geben, entäußert hat. Und nicht min¬
der enthält diese absolute Allgemeinheit der Idee nur die Scheingebilde
des Lebens, das der wesentlichen Form seiner Eristenz entkleidet wor-



*) Aufheben -- Vernichten und Aufbewahren -- lollers und "e"v!>l<-.

der logischen Abstraction, und dieses Alles kehrt im Verlaufe des
Systems wieder, noch ebenso abstract, aber in andern Formen und
mit der Versicherung, wirklich ein Anderes zu sein. So ist denn
dort der Endlichkeit dieselbe Rolle zugetheilt, welche hier die „beson¬
dern Volksgeister" spielen. Wie jene einem Systeme widersprechend
erscheinen mußte, das den absoluten Gedanken an seine Spitze stellt,
ebenso diese historisch bestimmten Eristenzen. Der Gedanke der Un¬
endlichkeit und des unumschränkten Weltgeistes sind von vornherein
Voraussetzungen, die an Alles gehalten und an denen Alles be¬
messen wird; die Dialektik die gehorsame Magd, die dem 8in julzeo
der Speculation zu Willen ist. So mußte denn freilich die Endlich¬
keit ihre Wahrheit in ihrer Vernichtung finden und die feste Wirk¬
lichkeit des Lebens in der vagen Abstraktion. Nun sind zwar, Dank
der glücklichen Zweideutigkeit, die in dem „aufgehoben sein" gar
nicht oft genug geltend gemacht werden kann.H) in ihr, die eine
„concrete Idee" ist, jene Eristenzen nicht untergegangen, sondern als
Momente noch vorhanden, aber gleichwohl nicht mehr als auf einan¬
der folgende oder zeitlich getrennte. Vielmehr ist im Weltgeist alles
Außereinander, die Fernen des Raumes und der Zeit, aufgehoben.
Seine Idee ist eine an sich unterschiedövvlle, nichts destoweniger aber
zugleich eine Einheit d. h. die Unterschiede, deren Folge die Zeit
ausmacht, eristiren, aber ihre wesentliche Bestimmung, -außer ein¬
ander zu sein, ist ihnen genommen. Der Weltgeist, die wahre Wirk¬
lichkeit der Geschichte, ist ein zeitloses Sein.

In unsern Bemerkungen über die Logik haben wir auf die
Verwandtschaft der Speculation mit der religiösen Anschauungsweise
hingedeutet. Nirgends tritt die Innigkeit derselben deutlicher hervor,
denn hier. Jenes Verhältniß der einzelnen Volker und Staaten zum
Weltgeist ist lediglich eine Copie des religiösen Verhältnisses der Welt
zu Gott. In den Himmel hat der Mensch auch nur sein eignes
Wesen niedergelegt, aber ebenfalls nicht in der wahren Gestalt sei-
ner Wirklichkeit, sondern nachdem er es aller Schranken und des
Maßes, das Zeit und Raum geben, entäußert hat. Und nicht min¬
der enthält diese absolute Allgemeinheit der Idee nur die Scheingebilde
des Lebens, das der wesentlichen Form seiner Eristenz entkleidet wor-



*) Aufheben — Vernichten und Aufbewahren — lollers und «e»v!>l<-.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181488"/>
            <p xml:id="ID_834" prev="#ID_833"> der logischen Abstraction, und dieses Alles kehrt im Verlaufe des<lb/>
Systems wieder, noch ebenso abstract, aber in andern Formen und<lb/>
mit der Versicherung, wirklich ein Anderes zu sein. So ist denn<lb/>
dort der Endlichkeit dieselbe Rolle zugetheilt, welche hier die &#x201E;beson¬<lb/>
dern Volksgeister" spielen. Wie jene einem Systeme widersprechend<lb/>
erscheinen mußte, das den absoluten Gedanken an seine Spitze stellt,<lb/>
ebenso diese historisch bestimmten Eristenzen. Der Gedanke der Un¬<lb/>
endlichkeit und des unumschränkten Weltgeistes sind von vornherein<lb/>
Voraussetzungen, die an Alles gehalten und an denen Alles be¬<lb/>
messen wird; die Dialektik die gehorsame Magd, die dem 8in julzeo<lb/>
der Speculation zu Willen ist. So mußte denn freilich die Endlich¬<lb/>
keit ihre Wahrheit in ihrer Vernichtung finden und die feste Wirk¬<lb/>
lichkeit des Lebens in der vagen Abstraktion. Nun sind zwar, Dank<lb/>
der glücklichen Zweideutigkeit, die in dem &#x201E;aufgehoben sein" gar<lb/>
nicht oft genug geltend gemacht werden kann.H) in ihr, die eine<lb/>
&#x201E;concrete Idee" ist, jene Eristenzen nicht untergegangen, sondern als<lb/>
Momente noch vorhanden, aber gleichwohl nicht mehr als auf einan¬<lb/>
der folgende oder zeitlich getrennte. Vielmehr ist im Weltgeist alles<lb/>
Außereinander, die Fernen des Raumes und der Zeit, aufgehoben.<lb/>
Seine Idee ist eine an sich unterschiedövvlle, nichts destoweniger aber<lb/>
zugleich eine Einheit d. h. die Unterschiede, deren Folge die Zeit<lb/>
ausmacht, eristiren, aber ihre wesentliche Bestimmung, -außer ein¬<lb/>
ander zu sein, ist ihnen genommen. Der Weltgeist, die wahre Wirk¬<lb/>
lichkeit der Geschichte, ist ein zeitloses Sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_835" next="#ID_836"> In unsern Bemerkungen über die Logik haben wir auf die<lb/>
Verwandtschaft der Speculation mit der religiösen Anschauungsweise<lb/>
hingedeutet. Nirgends tritt die Innigkeit derselben deutlicher hervor,<lb/>
denn hier. Jenes Verhältniß der einzelnen Volker und Staaten zum<lb/>
Weltgeist ist lediglich eine Copie des religiösen Verhältnisses der Welt<lb/>
zu Gott. In den Himmel hat der Mensch auch nur sein eignes<lb/>
Wesen niedergelegt, aber ebenfalls nicht in der wahren Gestalt sei-<lb/>
ner Wirklichkeit, sondern nachdem er es aller Schranken und des<lb/>
Maßes, das Zeit und Raum geben, entäußert hat. Und nicht min¬<lb/>
der enthält diese absolute Allgemeinheit der Idee nur die Scheingebilde<lb/>
des Lebens, das der wesentlichen Form seiner Eristenz entkleidet wor-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_25" place="foot"> *) Aufheben &#x2014; Vernichten und Aufbewahren &#x2014; lollers und «e»v!&gt;l&lt;-.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0304] der logischen Abstraction, und dieses Alles kehrt im Verlaufe des Systems wieder, noch ebenso abstract, aber in andern Formen und mit der Versicherung, wirklich ein Anderes zu sein. So ist denn dort der Endlichkeit dieselbe Rolle zugetheilt, welche hier die „beson¬ dern Volksgeister" spielen. Wie jene einem Systeme widersprechend erscheinen mußte, das den absoluten Gedanken an seine Spitze stellt, ebenso diese historisch bestimmten Eristenzen. Der Gedanke der Un¬ endlichkeit und des unumschränkten Weltgeistes sind von vornherein Voraussetzungen, die an Alles gehalten und an denen Alles be¬ messen wird; die Dialektik die gehorsame Magd, die dem 8in julzeo der Speculation zu Willen ist. So mußte denn freilich die Endlich¬ keit ihre Wahrheit in ihrer Vernichtung finden und die feste Wirk¬ lichkeit des Lebens in der vagen Abstraktion. Nun sind zwar, Dank der glücklichen Zweideutigkeit, die in dem „aufgehoben sein" gar nicht oft genug geltend gemacht werden kann.H) in ihr, die eine „concrete Idee" ist, jene Eristenzen nicht untergegangen, sondern als Momente noch vorhanden, aber gleichwohl nicht mehr als auf einan¬ der folgende oder zeitlich getrennte. Vielmehr ist im Weltgeist alles Außereinander, die Fernen des Raumes und der Zeit, aufgehoben. Seine Idee ist eine an sich unterschiedövvlle, nichts destoweniger aber zugleich eine Einheit d. h. die Unterschiede, deren Folge die Zeit ausmacht, eristiren, aber ihre wesentliche Bestimmung, -außer ein¬ ander zu sein, ist ihnen genommen. Der Weltgeist, die wahre Wirk¬ lichkeit der Geschichte, ist ein zeitloses Sein. In unsern Bemerkungen über die Logik haben wir auf die Verwandtschaft der Speculation mit der religiösen Anschauungsweise hingedeutet. Nirgends tritt die Innigkeit derselben deutlicher hervor, denn hier. Jenes Verhältniß der einzelnen Volker und Staaten zum Weltgeist ist lediglich eine Copie des religiösen Verhältnisses der Welt zu Gott. In den Himmel hat der Mensch auch nur sein eignes Wesen niedergelegt, aber ebenfalls nicht in der wahren Gestalt sei- ner Wirklichkeit, sondern nachdem er es aller Schranken und des Maßes, das Zeit und Raum geben, entäußert hat. Und nicht min¬ der enthält diese absolute Allgemeinheit der Idee nur die Scheingebilde des Lebens, das der wesentlichen Form seiner Eristenz entkleidet wor- *) Aufheben — Vernichten und Aufbewahren — lollers und «e»v!>l<-.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/304
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/304>, abgerufen am 27.07.2024.