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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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keine andere Realität, als durch und von diesen. Indem er somit
ganz eigentlich sein Dasein ihnen erst verdankt, sind sie das Größere
und Bedeutendere gegen ihn. Die Idee ist erst ein Ferneres, und
in jene fällt alle Wahrheit. Damit ist dann aber grade das Umge¬
kehrte vorhanden, als was gemeint wird. Während dennoch nämlich die
Wirklichkeit der Individuen an der Idee bemessen und beurtheilt wird oder sie
nur in soweit wirklich sein sollen, als sie ein Moment derselben aus¬
drücken, sind sie, wie die Sache sich nunmehr ganz eigentlich heraus¬
stellt, völlig unabhängig und eine freie volle Wirklichkeit für sich.
Oder ist dies nicht eine ganz ohnmächtige Idee, die nimmer aus
eigner Machtvollkommenheit erscheinen und real werden kann? Ströme
ihr nicht die ganze Machtfülle ihres Erscheinens erst von den Per¬
sönlichkeiten, den endlosen und beschränkten Persönlichkeiten zu? Was
ist also die Wahrheit dieses unendlichen Weltgeistes, in dessen "an
und für sich seiender Allgemeinheit das Besondere, die Pena-
ten, die bürgerliche Gesellschaft und die Bolksgeister in ihrer bunten
Wirklichkeit nur als Ideelles sind/^) wenn nicht grade die reale
Endlichkeit und Beschränktheit "d"fes Besondern, dieser Penaten, die"
ser bürgerlichen Gesellschaft und der Volksgeister in ihrer bunten
Wirklichkeit? GKichwohi ha" darüber die Spekulation selber kein
Bewußtsein, -- wie es ihr denn überhaupt gänzlich an Selbsterkennt¬
nis; gebricht. -- Spricht sie jetzt aus, daß die Erscheinungsformen
der Idee in der Geschichte die Wahrheit seien, so nimmt sie doch
bald wieder den Gedanken ans ihnen zurück und legt ihm allein die
ganze Bedeutung bei; das eine Mal sollen diese besondern Menschen
und Staaten als Boden der Wirklichkeit gelten, und ein ander Mal
werden sie als das Nichtige, um Natürliche und dem Begriffe ge¬
genüber Zufällige behauptet. Bedarf die Idee der Persönlichkeiten,
um wirklich W fein, ">d scheint es daraus, als ob das Interesse
diesen zuerkannt werden solle, so haben sie doch wieder nicht die
mindeste Berechtigung mehr außerhalb der Idee oder sie sind über¬
haupt um wichtig, weil diese sie zu ihren Trägern erkoren hat.
Hegel war ein viel zu geistreicher Mann, als daß er die hohe Be-
deutung der Wirklichkeit des Lebens hätte übersehen kömren, aber
er war auch noch viel zu sehr in dem transcendentalen Tic der Idee



*) Rechtsphilos. H. "4l.

keine andere Realität, als durch und von diesen. Indem er somit
ganz eigentlich sein Dasein ihnen erst verdankt, sind sie das Größere
und Bedeutendere gegen ihn. Die Idee ist erst ein Ferneres, und
in jene fällt alle Wahrheit. Damit ist dann aber grade das Umge¬
kehrte vorhanden, als was gemeint wird. Während dennoch nämlich die
Wirklichkeit der Individuen an der Idee bemessen und beurtheilt wird oder sie
nur in soweit wirklich sein sollen, als sie ein Moment derselben aus¬
drücken, sind sie, wie die Sache sich nunmehr ganz eigentlich heraus¬
stellt, völlig unabhängig und eine freie volle Wirklichkeit für sich.
Oder ist dies nicht eine ganz ohnmächtige Idee, die nimmer aus
eigner Machtvollkommenheit erscheinen und real werden kann? Ströme
ihr nicht die ganze Machtfülle ihres Erscheinens erst von den Per¬
sönlichkeiten, den endlosen und beschränkten Persönlichkeiten zu? Was
ist also die Wahrheit dieses unendlichen Weltgeistes, in dessen „an
und für sich seiender Allgemeinheit das Besondere, die Pena-
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der Idee in der Geschichte die Wahrheit seien, so nimmt sie doch
bald wieder den Gedanken ans ihnen zurück und legt ihm allein die
ganze Bedeutung bei; das eine Mal sollen diese besondern Menschen
und Staaten als Boden der Wirklichkeit gelten, und ein ander Mal
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diesen zuerkannt werden solle, so haben sie doch wieder nicht die
mindeste Berechtigung mehr außerhalb der Idee oder sie sind über¬
haupt um wichtig, weil diese sie zu ihren Trägern erkoren hat.
Hegel war ein viel zu geistreicher Mann, als daß er die hohe Be-
deutung der Wirklichkeit des Lebens hätte übersehen kömren, aber
er war auch noch viel zu sehr in dem transcendentalen Tic der Idee



*) Rechtsphilos. H. »4l.
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[0302] keine andere Realität, als durch und von diesen. Indem er somit ganz eigentlich sein Dasein ihnen erst verdankt, sind sie das Größere und Bedeutendere gegen ihn. Die Idee ist erst ein Ferneres, und in jene fällt alle Wahrheit. Damit ist dann aber grade das Umge¬ kehrte vorhanden, als was gemeint wird. Während dennoch nämlich die Wirklichkeit der Individuen an der Idee bemessen und beurtheilt wird oder sie nur in soweit wirklich sein sollen, als sie ein Moment derselben aus¬ drücken, sind sie, wie die Sache sich nunmehr ganz eigentlich heraus¬ stellt, völlig unabhängig und eine freie volle Wirklichkeit für sich. Oder ist dies nicht eine ganz ohnmächtige Idee, die nimmer aus eigner Machtvollkommenheit erscheinen und real werden kann? Ströme ihr nicht die ganze Machtfülle ihres Erscheinens erst von den Per¬ sönlichkeiten, den endlosen und beschränkten Persönlichkeiten zu? Was ist also die Wahrheit dieses unendlichen Weltgeistes, in dessen „an und für sich seiender Allgemeinheit das Besondere, die Pena- ten, die bürgerliche Gesellschaft und die Bolksgeister in ihrer bunten Wirklichkeit nur als Ideelles sind/^) wenn nicht grade die reale Endlichkeit und Beschränktheit „d«fes Besondern, dieser Penaten, die» ser bürgerlichen Gesellschaft und der Volksgeister in ihrer bunten Wirklichkeit? GKichwohi ha« darüber die Spekulation selber kein Bewußtsein, — wie es ihr denn überhaupt gänzlich an Selbsterkennt¬ nis; gebricht. — Spricht sie jetzt aus, daß die Erscheinungsformen der Idee in der Geschichte die Wahrheit seien, so nimmt sie doch bald wieder den Gedanken ans ihnen zurück und legt ihm allein die ganze Bedeutung bei; das eine Mal sollen diese besondern Menschen und Staaten als Boden der Wirklichkeit gelten, und ein ander Mal werden sie als das Nichtige, um Natürliche und dem Begriffe ge¬ genüber Zufällige behauptet. Bedarf die Idee der Persönlichkeiten, um wirklich W fein, «>d scheint es daraus, als ob das Interesse diesen zuerkannt werden solle, so haben sie doch wieder nicht die mindeste Berechtigung mehr außerhalb der Idee oder sie sind über¬ haupt um wichtig, weil diese sie zu ihren Trägern erkoren hat. Hegel war ein viel zu geistreicher Mann, als daß er die hohe Be- deutung der Wirklichkeit des Lebens hätte übersehen kömren, aber er war auch noch viel zu sehr in dem transcendentalen Tic der Idee *) Rechtsphilos. H. »4l.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/302>, abgerufen am 01.09.2024.