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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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genug zu solcher Annahme. Was die Hegel'sche Geschichtsphilosophie
gibt, sind also nicht mehr als ganz allgemeine Begriffe, die hie und
da wohl geistreich diese oder jene Richtung der zu charcckterisiren-
den Epoche hervorheben, nie aber auch nur im Entferntesten diese
erschöpfen. Es sind dies immer Abstraktionen, die, eine besondere
Seite des Lebens verallgemeinernd und über Alles ausbreitend, den
mannichfaltigen und reichen Inhalt der Geschichte abseits liegen lassen.
Am deutlichsten tritt dies in der speculativen Bestimmung der "welt¬
historischen Individuen" hervor. Diese sind nur "Lebendigkeiten der
substanziellen That des Weltgeistes und unmittelbar identisch mit
derselben"-"-) d. h. sie sind für den Gedanken eben nicht mehr, denn
blasse Gedankenneutra, bei denen von Persönlichkeit und Charakter
keine Rede. Und um es sich dann ganz bequem zu machen, alles
Mögliche in diese Heroen der Geschichte hineinzutragen, wird es
von ihnen als etwas Specifisches ausgesagt, daß die That des
Weltgeistes, deren Vollstrecker sie sind "ihnen selbst verborgen und
gar nicht ihr Zweck und Object" ist."-t-) Sie werden vielmehr durch
die "List der Idee" für diese so gebraucht, daß sie darin die Zwecke
ihrer Besonderheit, ihre Privatabsichten zu erreichen meinen. Wie
man sieht, eine recht geschickte Mechanik der Geschichte! Das welt¬
historische Individuum geht als blindes Pferd in der Tret- und
Drehmühle des Weltgeistes, und während es an nichts Arges denkt,
hat der Müller sein Mehl gemahlen. Es ist also ein Irrthum des
redlichen Verstandes, den Herd der Geschichte in die Menschen, in
diese großen Männer, in diese Völker und Staaten mir ihren Leiden¬
schaften und Zwecken zu verlegen: das Alles hat für sich nicht das
mindeste Recht. Die Geschichte steht außerhalb der Individuen, und
eS ist durchaus gleichgiltig, ob dieser bestimmte Hegel etwa eristirt
habe, daß er so und nicht anders gewesen, als er gewesen: die Idee
mußte sich nun einmal aussprechen und sie hätte eben so gut jeden
Beliebiger dazu sich erwecken können. Was hat also der Mensch
für Interesse -- das Ganze concentrirt sich in der Abstraktion des
Weltgeistes. -- Aber gleichwohl braucht dieser doch zu seiner Ver¬
wirklichung die Individuen und "besondere Volksgeister." Er hat




*) Hegel Nechtöphil. 2te Aufl. H. 348. und Geschichtsvhil. an verschiede¬
n
en Orten.
b
eendaselbst.
Grcnzbmcn 18/./.. n. zg

genug zu solcher Annahme. Was die Hegel'sche Geschichtsphilosophie
gibt, sind also nicht mehr als ganz allgemeine Begriffe, die hie und
da wohl geistreich diese oder jene Richtung der zu charcckterisiren-
den Epoche hervorheben, nie aber auch nur im Entferntesten diese
erschöpfen. Es sind dies immer Abstraktionen, die, eine besondere
Seite des Lebens verallgemeinernd und über Alles ausbreitend, den
mannichfaltigen und reichen Inhalt der Geschichte abseits liegen lassen.
Am deutlichsten tritt dies in der speculativen Bestimmung der „welt¬
historischen Individuen" hervor. Diese sind nur „Lebendigkeiten der
substanziellen That des Weltgeistes und unmittelbar identisch mit
derselben"-»-) d. h. sie sind für den Gedanken eben nicht mehr, denn
blasse Gedankenneutra, bei denen von Persönlichkeit und Charakter
keine Rede. Und um es sich dann ganz bequem zu machen, alles
Mögliche in diese Heroen der Geschichte hineinzutragen, wird es
von ihnen als etwas Specifisches ausgesagt, daß die That des
Weltgeistes, deren Vollstrecker sie sind „ihnen selbst verborgen und
gar nicht ihr Zweck und Object" ist.»-t-) Sie werden vielmehr durch
die „List der Idee" für diese so gebraucht, daß sie darin die Zwecke
ihrer Besonderheit, ihre Privatabsichten zu erreichen meinen. Wie
man sieht, eine recht geschickte Mechanik der Geschichte! Das welt¬
historische Individuum geht als blindes Pferd in der Tret- und
Drehmühle des Weltgeistes, und während es an nichts Arges denkt,
hat der Müller sein Mehl gemahlen. Es ist also ein Irrthum des
redlichen Verstandes, den Herd der Geschichte in die Menschen, in
diese großen Männer, in diese Völker und Staaten mir ihren Leiden¬
schaften und Zwecken zu verlegen: das Alles hat für sich nicht das
mindeste Recht. Die Geschichte steht außerhalb der Individuen, und
eS ist durchaus gleichgiltig, ob dieser bestimmte Hegel etwa eristirt
habe, daß er so und nicht anders gewesen, als er gewesen: die Idee
mußte sich nun einmal aussprechen und sie hätte eben so gut jeden
Beliebiger dazu sich erwecken können. Was hat also der Mensch
für Interesse — das Ganze concentrirt sich in der Abstraktion des
Weltgeistes. — Aber gleichwohl braucht dieser doch zu seiner Ver¬
wirklichung die Individuen und „besondere Volksgeister." Er hat




*) Hegel Nechtöphil. 2te Aufl. H. 348. und Geschichtsvhil. an verschiede¬
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[0301] genug zu solcher Annahme. Was die Hegel'sche Geschichtsphilosophie gibt, sind also nicht mehr als ganz allgemeine Begriffe, die hie und da wohl geistreich diese oder jene Richtung der zu charcckterisiren- den Epoche hervorheben, nie aber auch nur im Entferntesten diese erschöpfen. Es sind dies immer Abstraktionen, die, eine besondere Seite des Lebens verallgemeinernd und über Alles ausbreitend, den mannichfaltigen und reichen Inhalt der Geschichte abseits liegen lassen. Am deutlichsten tritt dies in der speculativen Bestimmung der „welt¬ historischen Individuen" hervor. Diese sind nur „Lebendigkeiten der substanziellen That des Weltgeistes und unmittelbar identisch mit derselben"-»-) d. h. sie sind für den Gedanken eben nicht mehr, denn blasse Gedankenneutra, bei denen von Persönlichkeit und Charakter keine Rede. Und um es sich dann ganz bequem zu machen, alles Mögliche in diese Heroen der Geschichte hineinzutragen, wird es von ihnen als etwas Specifisches ausgesagt, daß die That des Weltgeistes, deren Vollstrecker sie sind „ihnen selbst verborgen und gar nicht ihr Zweck und Object" ist.»-t-) Sie werden vielmehr durch die „List der Idee" für diese so gebraucht, daß sie darin die Zwecke ihrer Besonderheit, ihre Privatabsichten zu erreichen meinen. Wie man sieht, eine recht geschickte Mechanik der Geschichte! Das welt¬ historische Individuum geht als blindes Pferd in der Tret- und Drehmühle des Weltgeistes, und während es an nichts Arges denkt, hat der Müller sein Mehl gemahlen. Es ist also ein Irrthum des redlichen Verstandes, den Herd der Geschichte in die Menschen, in diese großen Männer, in diese Völker und Staaten mir ihren Leiden¬ schaften und Zwecken zu verlegen: das Alles hat für sich nicht das mindeste Recht. Die Geschichte steht außerhalb der Individuen, und eS ist durchaus gleichgiltig, ob dieser bestimmte Hegel etwa eristirt habe, daß er so und nicht anders gewesen, als er gewesen: die Idee mußte sich nun einmal aussprechen und sie hätte eben so gut jeden Beliebiger dazu sich erwecken können. Was hat also der Mensch für Interesse — das Ganze concentrirt sich in der Abstraktion des Weltgeistes. — Aber gleichwohl braucht dieser doch zu seiner Ver¬ wirklichung die Individuen und „besondere Volksgeister." Er hat *) Hegel Nechtöphil. 2te Aufl. H. 348. und Geschichtsvhil. an verschiede¬ n en Orten. b eendaselbst. Grcnzbmcn 18/./.. n. zg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/301>, abgerufen am 05.12.2024.