Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es zu heben. Es schreibe ein obscurer, aber talentvoller Autor, was
und wie er will: hat ihm das Glück nicht einen umsichtigen thäti¬
gen Verleger zugewiesen, so macht sein Buch auch kein Glück, und
wenn es die bedeutsamste innere Berechtigung von der Welt durch
Kritik und Zeitgeist dazu hätte. In den Leihbibliotheken lassen
sich solche Wahrnehmungen am besten machen, und gründlich eine
Reihe verschiedener Glücksstufen sür die Schriftsteller nachweisen, die
mit ihrem von der Kritik festgestellten Werthe oft gar sehr contrasti-
ren. Hier kann man sehen, wie sehr der locale Geschmack der Leser
oft ein° interessantes Buch begünstigt, blos weil es vorhanden
und daher die Lectüre möglich ist, während es anderwärts gar nicht
gekannt ist, weil der Leihbibliothekar es seines hohen Preises wegen
nicht anschasste und dadurch mitwirkte, daß der Verleger von seiner
nur kleinen Auflage dennoch den größten Theil übrig behielt.

Die hohen Preise werden aber nicht etwa blos bei Original¬
schristen, sondern auch bei Sammelwerken angesetzt, und der Roman,
für den der Autor A. Bogen zwei bis drei Louisd'or erhielt, ist in
der Regel nicht theuerer, als eine Novellensammlung von gleicher
Bändezahl, bei welcher der Bogen nur mit drei bis fünf Thalern
honorirt wurde, also nicht viel höher, als gute Uebersetzungen, welche
so wohlfeil geliefert werden und deshalb gut gehen. Eine andere
Garantie für den größeren Absatz, als den niedrigeren Preis, haben
die ausländischen Schriften selten vor den deutschen voraus, wohl
aber sind ihre Ueberseyungen mit dem Nachtheile allseitiger Concur-
renz belastet, so bald sie irgend Anklang finden. Bei dem unzweck¬
mäßig hohen Preise, den man für die deutschen Schriften ohne Un¬
terschied unbegreiflicher Weise festhält, wird nur selten mehr als die
Hälfte der kleinen, gewöhnlich nur fünfhundert Exemplare starken
Auflage abgesetzt; denn der Leihbibliothekar kauft, wie gesagt, sofort
nur, was er unabweislich muß, und verspart weitere Anschaffung der
neuesten Meßwaare bis zu der Preisherabsetzung derselben, die in
einien Jahren mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen ist.

In der That greift diese mißliche Maßregel zur letzten Ver¬
werthung immer mehr um sich, während sie bei einiger Sorgfalt in
der Wahl des Verlagsgegenstandes und einem gleich anfangs leicht
zahlbaren Preise gewiß nur selten, spät und daher wenig auffallend


Grenzboten 18^, II. 4

es zu heben. Es schreibe ein obscurer, aber talentvoller Autor, was
und wie er will: hat ihm das Glück nicht einen umsichtigen thäti¬
gen Verleger zugewiesen, so macht sein Buch auch kein Glück, und
wenn es die bedeutsamste innere Berechtigung von der Welt durch
Kritik und Zeitgeist dazu hätte. In den Leihbibliotheken lassen
sich solche Wahrnehmungen am besten machen, und gründlich eine
Reihe verschiedener Glücksstufen sür die Schriftsteller nachweisen, die
mit ihrem von der Kritik festgestellten Werthe oft gar sehr contrasti-
ren. Hier kann man sehen, wie sehr der locale Geschmack der Leser
oft ein° interessantes Buch begünstigt, blos weil es vorhanden
und daher die Lectüre möglich ist, während es anderwärts gar nicht
gekannt ist, weil der Leihbibliothekar es seines hohen Preises wegen
nicht anschasste und dadurch mitwirkte, daß der Verleger von seiner
nur kleinen Auflage dennoch den größten Theil übrig behielt.

Die hohen Preise werden aber nicht etwa blos bei Original¬
schristen, sondern auch bei Sammelwerken angesetzt, und der Roman,
für den der Autor A. Bogen zwei bis drei Louisd'or erhielt, ist in
der Regel nicht theuerer, als eine Novellensammlung von gleicher
Bändezahl, bei welcher der Bogen nur mit drei bis fünf Thalern
honorirt wurde, also nicht viel höher, als gute Uebersetzungen, welche
so wohlfeil geliefert werden und deshalb gut gehen. Eine andere
Garantie für den größeren Absatz, als den niedrigeren Preis, haben
die ausländischen Schriften selten vor den deutschen voraus, wohl
aber sind ihre Ueberseyungen mit dem Nachtheile allseitiger Concur-
renz belastet, so bald sie irgend Anklang finden. Bei dem unzweck¬
mäßig hohen Preise, den man für die deutschen Schriften ohne Un¬
terschied unbegreiflicher Weise festhält, wird nur selten mehr als die
Hälfte der kleinen, gewöhnlich nur fünfhundert Exemplare starken
Auflage abgesetzt; denn der Leihbibliothekar kauft, wie gesagt, sofort
nur, was er unabweislich muß, und verspart weitere Anschaffung der
neuesten Meßwaare bis zu der Preisherabsetzung derselben, die in
einien Jahren mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen ist.

In der That greift diese mißliche Maßregel zur letzten Ver¬
werthung immer mehr um sich, während sie bei einiger Sorgfalt in
der Wahl des Verlagsgegenstandes und einem gleich anfangs leicht
zahlbaren Preise gewiß nur selten, spät und daher wenig auffallend


Grenzboten 18^, II. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181213"/>
          <p xml:id="ID_44" prev="#ID_43"> es zu heben. Es schreibe ein obscurer, aber talentvoller Autor, was<lb/>
und wie er will: hat ihm das Glück nicht einen umsichtigen thäti¬<lb/>
gen Verleger zugewiesen, so macht sein Buch auch kein Glück, und<lb/>
wenn es die bedeutsamste innere Berechtigung von der Welt durch<lb/>
Kritik und Zeitgeist dazu hätte. In den Leihbibliotheken lassen<lb/>
sich solche Wahrnehmungen am besten machen, und gründlich eine<lb/>
Reihe verschiedener Glücksstufen sür die Schriftsteller nachweisen, die<lb/>
mit ihrem von der Kritik festgestellten Werthe oft gar sehr contrasti-<lb/>
ren. Hier kann man sehen, wie sehr der locale Geschmack der Leser<lb/>
oft ein° interessantes Buch begünstigt, blos weil es vorhanden<lb/>
und daher die Lectüre möglich ist, während es anderwärts gar nicht<lb/>
gekannt ist, weil der Leihbibliothekar es seines hohen Preises wegen<lb/>
nicht anschasste und dadurch mitwirkte, daß der Verleger von seiner<lb/>
nur kleinen Auflage dennoch den größten Theil übrig behielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_45"> Die hohen Preise werden aber nicht etwa blos bei Original¬<lb/>
schristen, sondern auch bei Sammelwerken angesetzt, und der Roman,<lb/>
für den der Autor A. Bogen zwei bis drei Louisd'or erhielt, ist in<lb/>
der Regel nicht theuerer, als eine Novellensammlung von gleicher<lb/>
Bändezahl, bei welcher der Bogen nur mit drei bis fünf Thalern<lb/>
honorirt wurde, also nicht viel höher, als gute Uebersetzungen, welche<lb/>
so wohlfeil geliefert werden und deshalb gut gehen. Eine andere<lb/>
Garantie für den größeren Absatz, als den niedrigeren Preis, haben<lb/>
die ausländischen Schriften selten vor den deutschen voraus, wohl<lb/>
aber sind ihre Ueberseyungen mit dem Nachtheile allseitiger Concur-<lb/>
renz belastet, so bald sie irgend Anklang finden. Bei dem unzweck¬<lb/>
mäßig hohen Preise, den man für die deutschen Schriften ohne Un¬<lb/>
terschied unbegreiflicher Weise festhält, wird nur selten mehr als die<lb/>
Hälfte der kleinen, gewöhnlich nur fünfhundert Exemplare starken<lb/>
Auflage abgesetzt; denn der Leihbibliothekar kauft, wie gesagt, sofort<lb/>
nur, was er unabweislich muß, und verspart weitere Anschaffung der<lb/>
neuesten Meßwaare bis zu der Preisherabsetzung derselben, die in<lb/>
einien Jahren mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_46" next="#ID_47"> In der That greift diese mißliche Maßregel zur letzten Ver¬<lb/>
werthung immer mehr um sich, während sie bei einiger Sorgfalt in<lb/>
der Wahl des Verlagsgegenstandes und einem gleich anfangs leicht<lb/>
zahlbaren Preise gewiß nur selten, spät und daher wenig auffallend</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 18^,  II. 4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] es zu heben. Es schreibe ein obscurer, aber talentvoller Autor, was und wie er will: hat ihm das Glück nicht einen umsichtigen thäti¬ gen Verleger zugewiesen, so macht sein Buch auch kein Glück, und wenn es die bedeutsamste innere Berechtigung von der Welt durch Kritik und Zeitgeist dazu hätte. In den Leihbibliotheken lassen sich solche Wahrnehmungen am besten machen, und gründlich eine Reihe verschiedener Glücksstufen sür die Schriftsteller nachweisen, die mit ihrem von der Kritik festgestellten Werthe oft gar sehr contrasti- ren. Hier kann man sehen, wie sehr der locale Geschmack der Leser oft ein° interessantes Buch begünstigt, blos weil es vorhanden und daher die Lectüre möglich ist, während es anderwärts gar nicht gekannt ist, weil der Leihbibliothekar es seines hohen Preises wegen nicht anschasste und dadurch mitwirkte, daß der Verleger von seiner nur kleinen Auflage dennoch den größten Theil übrig behielt. Die hohen Preise werden aber nicht etwa blos bei Original¬ schristen, sondern auch bei Sammelwerken angesetzt, und der Roman, für den der Autor A. Bogen zwei bis drei Louisd'or erhielt, ist in der Regel nicht theuerer, als eine Novellensammlung von gleicher Bändezahl, bei welcher der Bogen nur mit drei bis fünf Thalern honorirt wurde, also nicht viel höher, als gute Uebersetzungen, welche so wohlfeil geliefert werden und deshalb gut gehen. Eine andere Garantie für den größeren Absatz, als den niedrigeren Preis, haben die ausländischen Schriften selten vor den deutschen voraus, wohl aber sind ihre Ueberseyungen mit dem Nachtheile allseitiger Concur- renz belastet, so bald sie irgend Anklang finden. Bei dem unzweck¬ mäßig hohen Preise, den man für die deutschen Schriften ohne Un¬ terschied unbegreiflicher Weise festhält, wird nur selten mehr als die Hälfte der kleinen, gewöhnlich nur fünfhundert Exemplare starken Auflage abgesetzt; denn der Leihbibliothekar kauft, wie gesagt, sofort nur, was er unabweislich muß, und verspart weitere Anschaffung der neuesten Meßwaare bis zu der Preisherabsetzung derselben, die in einien Jahren mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen ist. In der That greift diese mißliche Maßregel zur letzten Ver¬ werthung immer mehr um sich, während sie bei einiger Sorgfalt in der Wahl des Verlagsgegenstandes und einem gleich anfangs leicht zahlbaren Preise gewiß nur selten, spät und daher wenig auffallend Grenzboten 18^, II. 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/29>, abgerufen am 27.07.2024.