Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorerst weiß man von den Folgen der Reise des Kaisers nach
Trieft bestimmt nur so viel, daß die Rhede erweitert und geschützt, der
Hafen befestigt und die Handelsbeziehungen erleichtert werden sollen;
überhaupt ist man bei den durch die abenteuerlichen Unternehmungen
der italienischen Mißvergnügten nothwendig gewordenen Vorsichtsma߬
regeln auf die Mangelhaftigkeit der Vertheidigungsmittel an der See¬
küste erst aufmerksam geworden, und es sollen darum die Hafen Ve¬
nedig und Trieft stark befestigt und auch die in Dalmatien aus den
Zeiten der französischen Besitznahme unter dem Herzog von Ragusa
noch übrigen Küstenbatterien, die sich jetzt in einem höchst verwahr¬
losten Zustande befinden, wieder hergestellt werden.

In den letzten Tagen sind hier zwei ehemalige Professoren an
der hiesigen Universität gestorben. Anton Stein, ein sechsundachtzig-
jähriger Greis, aus Preußisch-Schlesien gebürtig, ist schon seit 1825"
in Ruhestand und war lange Jahre hindurch an unserer Hochschule
für die alten Sprachen und die classische Literatur thätig, denen er
eine Liebe zuwendete, wie sie unter unsern Lehrern fast beispiellos ge¬
nannt werden muß. Drei Jahre vor seinem Tode noch, gab er ein
Bändchen Gedichte in deutscher, lateinischer und griechischer Sprache
heraus, welche, wenn nicht seinen hohen Dichterberuf, doch die ge¬
schmackvolle Fertigkeit in den antiken Verhärten und gründliche philo¬
logische Kenntnisse bewiesen. Der andere ist der öl-. Remboldt, gleich¬
falls ein Ausländer, der in den zwanziger Jahren die philosophische
Lehrkanzel inne hatte und seine Wissenschaft in einem ganz andern
Geiste behandelte, als man seither gewohnt ist. Die Folge davon
war, daß er den Verfolgungen der Theologen erlag und seines Amtes
entsetzt wurde. Allerdings trieb Remboldt seine Freisinnigkeit oft bis
an die Grenze des Paradoxen, so z. B. suchte er zu beweisen, daß
Christus ein Selbstmörder gewesen sei, weil er, von der drohenden
Gefahr benachrichtigt, gleichwohl nach den Forderungen der Moral¬
philosophie sich derselben nicht entzogen habe.

Ich muß hier noch einer Sache gedenken, die vor einiger Zeit
großes Aussehen erregte, aber bis zur Stunde noch nicht erledigt ist.
Es ist dies die scandalöse Geschichte derjenigen Section der k. k.
Staats-Druckerei, welche sich mit dem Verschleiß der von der k. k.
Hofstudiencommission vorgeschriebenen Lehrbücher für den ganzen Um¬
fang der Monarchie befaßte. An der Spitze derselben stand eine Reihe
von Jahren hindurch als Administrator der in der pädagogischen Welt
oftgenannte Chimani, der nicht weniger als gegen dreihundert Jugend¬
schriften hat drucken lassen, in denen die eisernste Moral gepredigt
wird, doch glaubte der Mann wahrscheinlich, die Ehrlichkeit und Tugend
sei nur ein Zaum für die Jugend, und das gereifte Alter könne dar¬
auf herabsehen, wie auf abgelegtes Spielzeug. Wenigstens nahm
Herr Chimani keinen Anstand, cassirte Schulbücher, die bereits hohem


Vorerst weiß man von den Folgen der Reise des Kaisers nach
Trieft bestimmt nur so viel, daß die Rhede erweitert und geschützt, der
Hafen befestigt und die Handelsbeziehungen erleichtert werden sollen;
überhaupt ist man bei den durch die abenteuerlichen Unternehmungen
der italienischen Mißvergnügten nothwendig gewordenen Vorsichtsma߬
regeln auf die Mangelhaftigkeit der Vertheidigungsmittel an der See¬
küste erst aufmerksam geworden, und es sollen darum die Hafen Ve¬
nedig und Trieft stark befestigt und auch die in Dalmatien aus den
Zeiten der französischen Besitznahme unter dem Herzog von Ragusa
noch übrigen Küstenbatterien, die sich jetzt in einem höchst verwahr¬
losten Zustande befinden, wieder hergestellt werden.

In den letzten Tagen sind hier zwei ehemalige Professoren an
der hiesigen Universität gestorben. Anton Stein, ein sechsundachtzig-
jähriger Greis, aus Preußisch-Schlesien gebürtig, ist schon seit 1825»
in Ruhestand und war lange Jahre hindurch an unserer Hochschule
für die alten Sprachen und die classische Literatur thätig, denen er
eine Liebe zuwendete, wie sie unter unsern Lehrern fast beispiellos ge¬
nannt werden muß. Drei Jahre vor seinem Tode noch, gab er ein
Bändchen Gedichte in deutscher, lateinischer und griechischer Sprache
heraus, welche, wenn nicht seinen hohen Dichterberuf, doch die ge¬
schmackvolle Fertigkeit in den antiken Verhärten und gründliche philo¬
logische Kenntnisse bewiesen. Der andere ist der öl-. Remboldt, gleich¬
falls ein Ausländer, der in den zwanziger Jahren die philosophische
Lehrkanzel inne hatte und seine Wissenschaft in einem ganz andern
Geiste behandelte, als man seither gewohnt ist. Die Folge davon
war, daß er den Verfolgungen der Theologen erlag und seines Amtes
entsetzt wurde. Allerdings trieb Remboldt seine Freisinnigkeit oft bis
an die Grenze des Paradoxen, so z. B. suchte er zu beweisen, daß
Christus ein Selbstmörder gewesen sei, weil er, von der drohenden
Gefahr benachrichtigt, gleichwohl nach den Forderungen der Moral¬
philosophie sich derselben nicht entzogen habe.

Ich muß hier noch einer Sache gedenken, die vor einiger Zeit
großes Aussehen erregte, aber bis zur Stunde noch nicht erledigt ist.
Es ist dies die scandalöse Geschichte derjenigen Section der k. k.
Staats-Druckerei, welche sich mit dem Verschleiß der von der k. k.
Hofstudiencommission vorgeschriebenen Lehrbücher für den ganzen Um¬
fang der Monarchie befaßte. An der Spitze derselben stand eine Reihe
von Jahren hindurch als Administrator der in der pädagogischen Welt
oftgenannte Chimani, der nicht weniger als gegen dreihundert Jugend¬
schriften hat drucken lassen, in denen die eisernste Moral gepredigt
wird, doch glaubte der Mann wahrscheinlich, die Ehrlichkeit und Tugend
sei nur ein Zaum für die Jugend, und das gereifte Alter könne dar¬
auf herabsehen, wie auf abgelegtes Spielzeug. Wenigstens nahm
Herr Chimani keinen Anstand, cassirte Schulbücher, die bereits hohem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181466"/>
            <p xml:id="ID_771" prev="#ID_770"> Vorerst weiß man von den Folgen der Reise des Kaisers nach<lb/>
Trieft bestimmt nur so viel, daß die Rhede erweitert und geschützt, der<lb/>
Hafen befestigt und die Handelsbeziehungen erleichtert werden sollen;<lb/>
überhaupt ist man bei den durch die abenteuerlichen Unternehmungen<lb/>
der italienischen Mißvergnügten nothwendig gewordenen Vorsichtsma߬<lb/>
regeln auf die Mangelhaftigkeit der Vertheidigungsmittel an der See¬<lb/>
küste erst aufmerksam geworden, und es sollen darum die Hafen Ve¬<lb/>
nedig und Trieft stark befestigt und auch die in Dalmatien aus den<lb/>
Zeiten der französischen Besitznahme unter dem Herzog von Ragusa<lb/>
noch übrigen Küstenbatterien, die sich jetzt in einem höchst verwahr¬<lb/>
losten Zustande befinden, wieder hergestellt werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_772"> In den letzten Tagen sind hier zwei ehemalige Professoren an<lb/>
der hiesigen Universität gestorben. Anton Stein, ein sechsundachtzig-<lb/>
jähriger Greis, aus Preußisch-Schlesien gebürtig, ist schon seit 1825»<lb/>
in Ruhestand und war lange Jahre hindurch an unserer Hochschule<lb/>
für die alten Sprachen und die classische Literatur thätig, denen er<lb/>
eine Liebe zuwendete, wie sie unter unsern Lehrern fast beispiellos ge¬<lb/>
nannt werden muß. Drei Jahre vor seinem Tode noch, gab er ein<lb/>
Bändchen Gedichte in deutscher, lateinischer und griechischer Sprache<lb/>
heraus, welche, wenn nicht seinen hohen Dichterberuf, doch die ge¬<lb/>
schmackvolle Fertigkeit in den antiken Verhärten und gründliche philo¬<lb/>
logische Kenntnisse bewiesen. Der andere ist der öl-. Remboldt, gleich¬<lb/>
falls ein Ausländer, der in den zwanziger Jahren die philosophische<lb/>
Lehrkanzel inne hatte und seine Wissenschaft in einem ganz andern<lb/>
Geiste behandelte, als man seither gewohnt ist. Die Folge davon<lb/>
war, daß er den Verfolgungen der Theologen erlag und seines Amtes<lb/>
entsetzt wurde. Allerdings trieb Remboldt seine Freisinnigkeit oft bis<lb/>
an die Grenze des Paradoxen, so z. B. suchte er zu beweisen, daß<lb/>
Christus ein Selbstmörder gewesen sei, weil er, von der drohenden<lb/>
Gefahr benachrichtigt, gleichwohl nach den Forderungen der Moral¬<lb/>
philosophie sich derselben nicht entzogen habe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_773" next="#ID_774"> Ich muß hier noch einer Sache gedenken, die vor einiger Zeit<lb/>
großes Aussehen erregte, aber bis zur Stunde noch nicht erledigt ist.<lb/>
Es ist dies die scandalöse Geschichte derjenigen Section der k. k.<lb/>
Staats-Druckerei, welche sich mit dem Verschleiß der von der k. k.<lb/>
Hofstudiencommission vorgeschriebenen Lehrbücher für den ganzen Um¬<lb/>
fang der Monarchie befaßte. An der Spitze derselben stand eine Reihe<lb/>
von Jahren hindurch als Administrator der in der pädagogischen Welt<lb/>
oftgenannte Chimani, der nicht weniger als gegen dreihundert Jugend¬<lb/>
schriften hat drucken lassen, in denen die eisernste Moral gepredigt<lb/>
wird, doch glaubte der Mann wahrscheinlich, die Ehrlichkeit und Tugend<lb/>
sei nur ein Zaum für die Jugend, und das gereifte Alter könne dar¬<lb/>
auf herabsehen, wie auf abgelegtes Spielzeug. Wenigstens nahm<lb/>
Herr Chimani keinen Anstand, cassirte Schulbücher, die bereits hohem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] Vorerst weiß man von den Folgen der Reise des Kaisers nach Trieft bestimmt nur so viel, daß die Rhede erweitert und geschützt, der Hafen befestigt und die Handelsbeziehungen erleichtert werden sollen; überhaupt ist man bei den durch die abenteuerlichen Unternehmungen der italienischen Mißvergnügten nothwendig gewordenen Vorsichtsma߬ regeln auf die Mangelhaftigkeit der Vertheidigungsmittel an der See¬ küste erst aufmerksam geworden, und es sollen darum die Hafen Ve¬ nedig und Trieft stark befestigt und auch die in Dalmatien aus den Zeiten der französischen Besitznahme unter dem Herzog von Ragusa noch übrigen Küstenbatterien, die sich jetzt in einem höchst verwahr¬ losten Zustande befinden, wieder hergestellt werden. In den letzten Tagen sind hier zwei ehemalige Professoren an der hiesigen Universität gestorben. Anton Stein, ein sechsundachtzig- jähriger Greis, aus Preußisch-Schlesien gebürtig, ist schon seit 1825» in Ruhestand und war lange Jahre hindurch an unserer Hochschule für die alten Sprachen und die classische Literatur thätig, denen er eine Liebe zuwendete, wie sie unter unsern Lehrern fast beispiellos ge¬ nannt werden muß. Drei Jahre vor seinem Tode noch, gab er ein Bändchen Gedichte in deutscher, lateinischer und griechischer Sprache heraus, welche, wenn nicht seinen hohen Dichterberuf, doch die ge¬ schmackvolle Fertigkeit in den antiken Verhärten und gründliche philo¬ logische Kenntnisse bewiesen. Der andere ist der öl-. Remboldt, gleich¬ falls ein Ausländer, der in den zwanziger Jahren die philosophische Lehrkanzel inne hatte und seine Wissenschaft in einem ganz andern Geiste behandelte, als man seither gewohnt ist. Die Folge davon war, daß er den Verfolgungen der Theologen erlag und seines Amtes entsetzt wurde. Allerdings trieb Remboldt seine Freisinnigkeit oft bis an die Grenze des Paradoxen, so z. B. suchte er zu beweisen, daß Christus ein Selbstmörder gewesen sei, weil er, von der drohenden Gefahr benachrichtigt, gleichwohl nach den Forderungen der Moral¬ philosophie sich derselben nicht entzogen habe. Ich muß hier noch einer Sache gedenken, die vor einiger Zeit großes Aussehen erregte, aber bis zur Stunde noch nicht erledigt ist. Es ist dies die scandalöse Geschichte derjenigen Section der k. k. Staats-Druckerei, welche sich mit dem Verschleiß der von der k. k. Hofstudiencommission vorgeschriebenen Lehrbücher für den ganzen Um¬ fang der Monarchie befaßte. An der Spitze derselben stand eine Reihe von Jahren hindurch als Administrator der in der pädagogischen Welt oftgenannte Chimani, der nicht weniger als gegen dreihundert Jugend¬ schriften hat drucken lassen, in denen die eisernste Moral gepredigt wird, doch glaubte der Mann wahrscheinlich, die Ehrlichkeit und Tugend sei nur ein Zaum für die Jugend, und das gereifte Alter könne dar¬ auf herabsehen, wie auf abgelegtes Spielzeug. Wenigstens nahm Herr Chimani keinen Anstand, cassirte Schulbücher, die bereits hohem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/282>, abgerufen am 27.07.2024.