Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lig nennen, welcher diese Tüchtigkeit nicht unter Gefahr und Müh¬
sal gegen alle Anfechtungen bis zu seinem Lebensende bewährt hat;
denn wir haben zu viele Beispiele vom Gegentheile erlebt, ja es ist
jetzt fast die Zeit, wo man als Verfolgter gute Geschäfte machen, für
sich sammeln lassen, dabei in Hotels wohnen und in Hülle und Fülle
leben kann. Hassen aber sollte man den Liberalismus, der Austern
frißt und Champagner säuft und dabei auf ein würdiges Allgemein¬
gut der Zeit noch besondere Ansprüche macht, als wäre der Libera¬
lismus die Erfindung und das Eigenthum eines Einzelnen. Nichts
gegen die ehrenwerthen Sammler, noch gegen Manchen, für den und
dessen unglückliche Familie man, vielleicht zu spät und nicht einmal
hinlänglich, gesammelt hat, sondern gegen Diesen und Jenen, der
sein einträgliches Märtyrthum auf Straßen und Plätzen, wie eine
prächtige Schleppe nach sich schleift, der sich vielleicht der edeln>Ge-
sinnung derer, welche für ihn ihre Scherflein in die Büchse werfen,
nicht würdig macht. Wer erinnert sich nicht an jene rührend kärg¬
liche Beisteuer der beiden armen Wittwen in Naumburg, die kaum
hinreichte, um im Leipziger Hotel eine halbe Flasche Rothwein zu
bezahlen? Vor einem schlesischen Leineweber sollte man mehr Respect
haben, als vor den allgemeinen wohlfeilen Freiheitsphrafen so Man¬
cher, deren Gesinnung die Feuerprobe noch nicht bestanden hat.

Merkwürdig erscheint der Umstand, daß, wie man aus guter
Quelle weiß, der Dichter an seinem Moritz von Sachsen selbst die
Verstümmelungen vorgenommen hat, welche gefordert wurden, um das
Stück auf der Münchner Bühne in Scene gehen zu lassen. So mit
verkürzten und nachblutenden Gliedern ist das Ding über die hiesige
Bühne gekrochen, und der Verfasser muß, wenn er billig sein will,
einräumen: er selbst habe um einen so herben Preis die Aufführung
in München erkauft; er habe mit eigener Hand an seiner Schöpfung
einige der wichtigsten Puls- und Lebensadern durchgeschnitten!
Wie erst, wenn jetzt, wie ehemals, nur die Wahl wäre zwischen Wi¬
derruf und Scheiterhaufen? In diesem Falle hätte unsere Zeit keine
Märtyrer mehr, sie ist ihrer vielleicht auch nicht werth.

Jeder, welcher sich im dramatischen Fache versucht hat, weiß am
besten, wie schwierig es ist, die Bühne, die Poesie, das Publicum
und die Kritik zugleich zufriedenzustellen. Man sollte vielleicht den
einzelnen Dichtern weniger, als den allgemeinen Zuständen den mat-


lig nennen, welcher diese Tüchtigkeit nicht unter Gefahr und Müh¬
sal gegen alle Anfechtungen bis zu seinem Lebensende bewährt hat;
denn wir haben zu viele Beispiele vom Gegentheile erlebt, ja es ist
jetzt fast die Zeit, wo man als Verfolgter gute Geschäfte machen, für
sich sammeln lassen, dabei in Hotels wohnen und in Hülle und Fülle
leben kann. Hassen aber sollte man den Liberalismus, der Austern
frißt und Champagner säuft und dabei auf ein würdiges Allgemein¬
gut der Zeit noch besondere Ansprüche macht, als wäre der Libera¬
lismus die Erfindung und das Eigenthum eines Einzelnen. Nichts
gegen die ehrenwerthen Sammler, noch gegen Manchen, für den und
dessen unglückliche Familie man, vielleicht zu spät und nicht einmal
hinlänglich, gesammelt hat, sondern gegen Diesen und Jenen, der
sein einträgliches Märtyrthum auf Straßen und Plätzen, wie eine
prächtige Schleppe nach sich schleift, der sich vielleicht der edeln>Ge-
sinnung derer, welche für ihn ihre Scherflein in die Büchse werfen,
nicht würdig macht. Wer erinnert sich nicht an jene rührend kärg¬
liche Beisteuer der beiden armen Wittwen in Naumburg, die kaum
hinreichte, um im Leipziger Hotel eine halbe Flasche Rothwein zu
bezahlen? Vor einem schlesischen Leineweber sollte man mehr Respect
haben, als vor den allgemeinen wohlfeilen Freiheitsphrafen so Man¬
cher, deren Gesinnung die Feuerprobe noch nicht bestanden hat.

Merkwürdig erscheint der Umstand, daß, wie man aus guter
Quelle weiß, der Dichter an seinem Moritz von Sachsen selbst die
Verstümmelungen vorgenommen hat, welche gefordert wurden, um das
Stück auf der Münchner Bühne in Scene gehen zu lassen. So mit
verkürzten und nachblutenden Gliedern ist das Ding über die hiesige
Bühne gekrochen, und der Verfasser muß, wenn er billig sein will,
einräumen: er selbst habe um einen so herben Preis die Aufführung
in München erkauft; er habe mit eigener Hand an seiner Schöpfung
einige der wichtigsten Puls- und Lebensadern durchgeschnitten!
Wie erst, wenn jetzt, wie ehemals, nur die Wahl wäre zwischen Wi¬
derruf und Scheiterhaufen? In diesem Falle hätte unsere Zeit keine
Märtyrer mehr, sie ist ihrer vielleicht auch nicht werth.

Jeder, welcher sich im dramatischen Fache versucht hat, weiß am
besten, wie schwierig es ist, die Bühne, die Poesie, das Publicum
und die Kritik zugleich zufriedenzustellen. Man sollte vielleicht den
einzelnen Dichtern weniger, als den allgemeinen Zuständen den mat-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181460"/>
            <p xml:id="ID_762" prev="#ID_761"> lig nennen, welcher diese Tüchtigkeit nicht unter Gefahr und Müh¬<lb/>
sal gegen alle Anfechtungen bis zu seinem Lebensende bewährt hat;<lb/>
denn wir haben zu viele Beispiele vom Gegentheile erlebt, ja es ist<lb/>
jetzt fast die Zeit, wo man als Verfolgter gute Geschäfte machen, für<lb/>
sich sammeln lassen, dabei in Hotels wohnen und in Hülle und Fülle<lb/>
leben kann. Hassen aber sollte man den Liberalismus, der Austern<lb/>
frißt und Champagner säuft und dabei auf ein würdiges Allgemein¬<lb/>
gut der Zeit noch besondere Ansprüche macht, als wäre der Libera¬<lb/>
lismus die Erfindung und das Eigenthum eines Einzelnen. Nichts<lb/>
gegen die ehrenwerthen Sammler, noch gegen Manchen, für den und<lb/>
dessen unglückliche Familie man, vielleicht zu spät und nicht einmal<lb/>
hinlänglich, gesammelt hat, sondern gegen Diesen und Jenen, der<lb/>
sein einträgliches Märtyrthum auf Straßen und Plätzen, wie eine<lb/>
prächtige Schleppe nach sich schleift, der sich vielleicht der edeln&gt;Ge-<lb/>
sinnung derer, welche für ihn ihre Scherflein in die Büchse werfen,<lb/>
nicht würdig macht. Wer erinnert sich nicht an jene rührend kärg¬<lb/>
liche Beisteuer der beiden armen Wittwen in Naumburg, die kaum<lb/>
hinreichte, um im Leipziger Hotel eine halbe Flasche Rothwein zu<lb/>
bezahlen? Vor einem schlesischen Leineweber sollte man mehr Respect<lb/>
haben, als vor den allgemeinen wohlfeilen Freiheitsphrafen so Man¬<lb/>
cher, deren Gesinnung die Feuerprobe noch nicht bestanden hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_763"> Merkwürdig erscheint der Umstand, daß, wie man aus guter<lb/>
Quelle weiß, der Dichter an seinem Moritz von Sachsen selbst die<lb/>
Verstümmelungen vorgenommen hat, welche gefordert wurden, um das<lb/>
Stück auf der Münchner Bühne in Scene gehen zu lassen. So mit<lb/>
verkürzten und nachblutenden Gliedern ist das Ding über die hiesige<lb/>
Bühne gekrochen, und der Verfasser muß, wenn er billig sein will,<lb/>
einräumen: er selbst habe um einen so herben Preis die Aufführung<lb/>
in München erkauft; er habe mit eigener Hand an seiner Schöpfung<lb/>
einige der wichtigsten Puls- und Lebensadern durchgeschnitten!<lb/>
Wie erst, wenn jetzt, wie ehemals, nur die Wahl wäre zwischen Wi¬<lb/>
derruf und Scheiterhaufen? In diesem Falle hätte unsere Zeit keine<lb/>
Märtyrer mehr, sie ist ihrer vielleicht auch nicht werth.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_764" next="#ID_765"> Jeder, welcher sich im dramatischen Fache versucht hat, weiß am<lb/>
besten, wie schwierig es ist, die Bühne, die Poesie, das Publicum<lb/>
und die Kritik zugleich zufriedenzustellen. Man sollte vielleicht den<lb/>
einzelnen Dichtern weniger, als den allgemeinen Zuständen den mat-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] lig nennen, welcher diese Tüchtigkeit nicht unter Gefahr und Müh¬ sal gegen alle Anfechtungen bis zu seinem Lebensende bewährt hat; denn wir haben zu viele Beispiele vom Gegentheile erlebt, ja es ist jetzt fast die Zeit, wo man als Verfolgter gute Geschäfte machen, für sich sammeln lassen, dabei in Hotels wohnen und in Hülle und Fülle leben kann. Hassen aber sollte man den Liberalismus, der Austern frißt und Champagner säuft und dabei auf ein würdiges Allgemein¬ gut der Zeit noch besondere Ansprüche macht, als wäre der Libera¬ lismus die Erfindung und das Eigenthum eines Einzelnen. Nichts gegen die ehrenwerthen Sammler, noch gegen Manchen, für den und dessen unglückliche Familie man, vielleicht zu spät und nicht einmal hinlänglich, gesammelt hat, sondern gegen Diesen und Jenen, der sein einträgliches Märtyrthum auf Straßen und Plätzen, wie eine prächtige Schleppe nach sich schleift, der sich vielleicht der edeln>Ge- sinnung derer, welche für ihn ihre Scherflein in die Büchse werfen, nicht würdig macht. Wer erinnert sich nicht an jene rührend kärg¬ liche Beisteuer der beiden armen Wittwen in Naumburg, die kaum hinreichte, um im Leipziger Hotel eine halbe Flasche Rothwein zu bezahlen? Vor einem schlesischen Leineweber sollte man mehr Respect haben, als vor den allgemeinen wohlfeilen Freiheitsphrafen so Man¬ cher, deren Gesinnung die Feuerprobe noch nicht bestanden hat. Merkwürdig erscheint der Umstand, daß, wie man aus guter Quelle weiß, der Dichter an seinem Moritz von Sachsen selbst die Verstümmelungen vorgenommen hat, welche gefordert wurden, um das Stück auf der Münchner Bühne in Scene gehen zu lassen. So mit verkürzten und nachblutenden Gliedern ist das Ding über die hiesige Bühne gekrochen, und der Verfasser muß, wenn er billig sein will, einräumen: er selbst habe um einen so herben Preis die Aufführung in München erkauft; er habe mit eigener Hand an seiner Schöpfung einige der wichtigsten Puls- und Lebensadern durchgeschnitten! Wie erst, wenn jetzt, wie ehemals, nur die Wahl wäre zwischen Wi¬ derruf und Scheiterhaufen? In diesem Falle hätte unsere Zeit keine Märtyrer mehr, sie ist ihrer vielleicht auch nicht werth. Jeder, welcher sich im dramatischen Fache versucht hat, weiß am besten, wie schwierig es ist, die Bühne, die Poesie, das Publicum und die Kritik zugleich zufriedenzustellen. Man sollte vielleicht den einzelnen Dichtern weniger, als den allgemeinen Zuständen den mat-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/276>, abgerufen am 27.07.2024.