Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

längere Zeit als Sänger an norddeutschen Theatern. Er schrieb fer¬
ner die Lustspiele "Maria Medicis", welches von Vielen der "Ba¬
stille" vorgezogen wird, und "die Kirschen", endlich eine Posse, die
man mir als verunglückt schilderte. Wenn ich über PH. Berger et¬
was ausführlich sprach, so geschah dies darum, weil der Mann
wirklich Talent für das Komische besitzt und seine Stellung tief in
Altbaiern so eigenthümlich rührend zwischen Kirche und Theater ge¬
theilt ist.

Von meinem Urtheil über den Moritz von Sachsen kann ich auch
jetzt nach der zweiten Aufführung nicht abgehen, selbst auf die Ge¬
fahr hin, daß man mir, weil ich mich selbst im dramatischen Fache
versuchte, den schwerlich ausbleibenden Vorwurf der Verbissenheit, des
Neides und der Mißgunst mache. Wir Jüngeren sind alle mehr
oder weniger aus dem Mutterschooß der Kritik hervorgegangen, Zög¬
linge eines literarischen Kriegszustandes, der noch lange nicht ausge¬
glichen und auf billige, von jeder Seite annehmbare Bedingungen
geschlichtet ist; noch währt das kritische Gemetzel hüben und drüben
fort, und Narrheit oder Feigheit wäre es, aus bloßer Rücksicht und
Gefälligkeit das kritische Schlachtschwert gegen einen höflichen Galan¬
teriedegen vertauschen zu wollen. Man nehme, aber man gebe auch
keinen Pardon! Oder man beweise mir, daß man über die Principien
einig sei, daß die durch Gefahr noch ungeprüfte Gesinnung sich in
bloßen liberalen Floskeln äußern dürfe, um vor ihr respectvoll den
Rücken krümmen zu müssen; man beweise mir, daß das Wesen des
historischen Trauerspiels in schönen modernen Phrasen und Reimzei¬
len und in der coquetten Verdrehung und charakterlosen Verschöne¬
rung der historischen Personen beruhe, wie in der Kunst, Motive für
die Handlungen jener Personen zu ersinnen, an welche jene Perso¬
nen nicht entfernt gedacht haben können. Wenn diese Eigenschaften
jetzt für ein geschichtliches Drama erforderlich sind, so werfe Jeder
seinen Shakspeare in's Feuer und brenne ihn zu Asche! Freilich, un¬
sere Dichter sind jetzt über Shakspeare hinaus, während weder Göthe,
noch Schiller sich des Eingeständnisses schämten, daß sie ihr Bestes
von Shakspeare gelernt hätten. Und wir haben Alle noch viel von diesem
Genius zu lernen. Wie aber ein altes weises Wort lautet, daß man
Niemand vor seinem Ende glücklich preisen könne, so sollte man jetzt
Niemand wahrhaft liberal und gesiimungskrästig und charaktertüch-


längere Zeit als Sänger an norddeutschen Theatern. Er schrieb fer¬
ner die Lustspiele „Maria Medicis", welches von Vielen der „Ba¬
stille" vorgezogen wird, und „die Kirschen", endlich eine Posse, die
man mir als verunglückt schilderte. Wenn ich über PH. Berger et¬
was ausführlich sprach, so geschah dies darum, weil der Mann
wirklich Talent für das Komische besitzt und seine Stellung tief in
Altbaiern so eigenthümlich rührend zwischen Kirche und Theater ge¬
theilt ist.

Von meinem Urtheil über den Moritz von Sachsen kann ich auch
jetzt nach der zweiten Aufführung nicht abgehen, selbst auf die Ge¬
fahr hin, daß man mir, weil ich mich selbst im dramatischen Fache
versuchte, den schwerlich ausbleibenden Vorwurf der Verbissenheit, des
Neides und der Mißgunst mache. Wir Jüngeren sind alle mehr
oder weniger aus dem Mutterschooß der Kritik hervorgegangen, Zög¬
linge eines literarischen Kriegszustandes, der noch lange nicht ausge¬
glichen und auf billige, von jeder Seite annehmbare Bedingungen
geschlichtet ist; noch währt das kritische Gemetzel hüben und drüben
fort, und Narrheit oder Feigheit wäre es, aus bloßer Rücksicht und
Gefälligkeit das kritische Schlachtschwert gegen einen höflichen Galan¬
teriedegen vertauschen zu wollen. Man nehme, aber man gebe auch
keinen Pardon! Oder man beweise mir, daß man über die Principien
einig sei, daß die durch Gefahr noch ungeprüfte Gesinnung sich in
bloßen liberalen Floskeln äußern dürfe, um vor ihr respectvoll den
Rücken krümmen zu müssen; man beweise mir, daß das Wesen des
historischen Trauerspiels in schönen modernen Phrasen und Reimzei¬
len und in der coquetten Verdrehung und charakterlosen Verschöne¬
rung der historischen Personen beruhe, wie in der Kunst, Motive für
die Handlungen jener Personen zu ersinnen, an welche jene Perso¬
nen nicht entfernt gedacht haben können. Wenn diese Eigenschaften
jetzt für ein geschichtliches Drama erforderlich sind, so werfe Jeder
seinen Shakspeare in's Feuer und brenne ihn zu Asche! Freilich, un¬
sere Dichter sind jetzt über Shakspeare hinaus, während weder Göthe,
noch Schiller sich des Eingeständnisses schämten, daß sie ihr Bestes
von Shakspeare gelernt hätten. Und wir haben Alle noch viel von diesem
Genius zu lernen. Wie aber ein altes weises Wort lautet, daß man
Niemand vor seinem Ende glücklich preisen könne, so sollte man jetzt
Niemand wahrhaft liberal und gesiimungskrästig und charaktertüch-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181459"/>
            <p xml:id="ID_760" prev="#ID_759"> längere Zeit als Sänger an norddeutschen Theatern. Er schrieb fer¬<lb/>
ner die Lustspiele &#x201E;Maria Medicis", welches von Vielen der &#x201E;Ba¬<lb/>
stille" vorgezogen wird, und &#x201E;die Kirschen", endlich eine Posse, die<lb/>
man mir als verunglückt schilderte. Wenn ich über PH. Berger et¬<lb/>
was ausführlich sprach, so geschah dies darum, weil der Mann<lb/>
wirklich Talent für das Komische besitzt und seine Stellung tief in<lb/>
Altbaiern so eigenthümlich rührend zwischen Kirche und Theater ge¬<lb/>
theilt ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_761" next="#ID_762"> Von meinem Urtheil über den Moritz von Sachsen kann ich auch<lb/>
jetzt nach der zweiten Aufführung nicht abgehen, selbst auf die Ge¬<lb/>
fahr hin, daß man mir, weil ich mich selbst im dramatischen Fache<lb/>
versuchte, den schwerlich ausbleibenden Vorwurf der Verbissenheit, des<lb/>
Neides und der Mißgunst mache. Wir Jüngeren sind alle mehr<lb/>
oder weniger aus dem Mutterschooß der Kritik hervorgegangen, Zög¬<lb/>
linge eines literarischen Kriegszustandes, der noch lange nicht ausge¬<lb/>
glichen und auf billige, von jeder Seite annehmbare Bedingungen<lb/>
geschlichtet ist; noch währt das kritische Gemetzel hüben und drüben<lb/>
fort, und Narrheit oder Feigheit wäre es, aus bloßer Rücksicht und<lb/>
Gefälligkeit das kritische Schlachtschwert gegen einen höflichen Galan¬<lb/>
teriedegen vertauschen zu wollen. Man nehme, aber man gebe auch<lb/>
keinen Pardon! Oder man beweise mir, daß man über die Principien<lb/>
einig sei, daß die durch Gefahr noch ungeprüfte Gesinnung sich in<lb/>
bloßen liberalen Floskeln äußern dürfe, um vor ihr respectvoll den<lb/>
Rücken krümmen zu müssen; man beweise mir, daß das Wesen des<lb/>
historischen Trauerspiels in schönen modernen Phrasen und Reimzei¬<lb/>
len und in der coquetten Verdrehung und charakterlosen Verschöne¬<lb/>
rung der historischen Personen beruhe, wie in der Kunst, Motive für<lb/>
die Handlungen jener Personen zu ersinnen, an welche jene Perso¬<lb/>
nen nicht entfernt gedacht haben können. Wenn diese Eigenschaften<lb/>
jetzt für ein geschichtliches Drama erforderlich sind, so werfe Jeder<lb/>
seinen Shakspeare in's Feuer und brenne ihn zu Asche! Freilich, un¬<lb/>
sere Dichter sind jetzt über Shakspeare hinaus, während weder Göthe,<lb/>
noch Schiller sich des Eingeständnisses schämten, daß sie ihr Bestes<lb/>
von Shakspeare gelernt hätten. Und wir haben Alle noch viel von diesem<lb/>
Genius zu lernen. Wie aber ein altes weises Wort lautet, daß man<lb/>
Niemand vor seinem Ende glücklich preisen könne, so sollte man jetzt<lb/>
Niemand wahrhaft liberal und gesiimungskrästig und charaktertüch-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] längere Zeit als Sänger an norddeutschen Theatern. Er schrieb fer¬ ner die Lustspiele „Maria Medicis", welches von Vielen der „Ba¬ stille" vorgezogen wird, und „die Kirschen", endlich eine Posse, die man mir als verunglückt schilderte. Wenn ich über PH. Berger et¬ was ausführlich sprach, so geschah dies darum, weil der Mann wirklich Talent für das Komische besitzt und seine Stellung tief in Altbaiern so eigenthümlich rührend zwischen Kirche und Theater ge¬ theilt ist. Von meinem Urtheil über den Moritz von Sachsen kann ich auch jetzt nach der zweiten Aufführung nicht abgehen, selbst auf die Ge¬ fahr hin, daß man mir, weil ich mich selbst im dramatischen Fache versuchte, den schwerlich ausbleibenden Vorwurf der Verbissenheit, des Neides und der Mißgunst mache. Wir Jüngeren sind alle mehr oder weniger aus dem Mutterschooß der Kritik hervorgegangen, Zög¬ linge eines literarischen Kriegszustandes, der noch lange nicht ausge¬ glichen und auf billige, von jeder Seite annehmbare Bedingungen geschlichtet ist; noch währt das kritische Gemetzel hüben und drüben fort, und Narrheit oder Feigheit wäre es, aus bloßer Rücksicht und Gefälligkeit das kritische Schlachtschwert gegen einen höflichen Galan¬ teriedegen vertauschen zu wollen. Man nehme, aber man gebe auch keinen Pardon! Oder man beweise mir, daß man über die Principien einig sei, daß die durch Gefahr noch ungeprüfte Gesinnung sich in bloßen liberalen Floskeln äußern dürfe, um vor ihr respectvoll den Rücken krümmen zu müssen; man beweise mir, daß das Wesen des historischen Trauerspiels in schönen modernen Phrasen und Reimzei¬ len und in der coquetten Verdrehung und charakterlosen Verschöne¬ rung der historischen Personen beruhe, wie in der Kunst, Motive für die Handlungen jener Personen zu ersinnen, an welche jene Perso¬ nen nicht entfernt gedacht haben können. Wenn diese Eigenschaften jetzt für ein geschichtliches Drama erforderlich sind, so werfe Jeder seinen Shakspeare in's Feuer und brenne ihn zu Asche! Freilich, un¬ sere Dichter sind jetzt über Shakspeare hinaus, während weder Göthe, noch Schiller sich des Eingeständnisses schämten, daß sie ihr Bestes von Shakspeare gelernt hätten. Und wir haben Alle noch viel von diesem Genius zu lernen. Wie aber ein altes weises Wort lautet, daß man Niemand vor seinem Ende glücklich preisen könne, so sollte man jetzt Niemand wahrhaft liberal und gesiimungskrästig und charaktertüch-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/275>, abgerufen am 27.07.2024.