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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Fingern abzählen kann. Um einigermaßen als origineller Schrift¬
steller zu gelten, kitzelt es mich dagegen, zu sagen: daß Münchens
Umgegend der von Konstantinopel, sein Klima an Schönheit dem
von Neapel Nichts nachgebe, daß eS die aufgeklärteste, witzigste, frei¬
sinnigste, gebildetste, belesenste, am meisten fortgeschrittene Stadt in
der Welt sei! Wer will mich hindern, das zu behaupten, da wenig¬
stens die Thatsache feststeht, daß man hier zur Begründung einer
Zeitschrift nicht der Einholung einer Concession bedarf und daß in
Baiern keine Büchercensur eristirt? Um Gotteswillen.' ich sehe schon,
wie auf diese Gefahr hin die Leipziger Schriftsteller in langen Schaa-
ren nach München wie nach dem gelobten Lande auswandern! --
Daran thäten sie unrecht, denn um abermals originell zu erscheinen
und nicht in das allgemeine Urtheil miteinzustimmen, vermesse ich
mich zu der Behauptung, daß die Leipziger Buchhändler an Gene¬
rosität, Uneigennützigkeit, übermäßigen Honorarzahlungen und Förde¬
rung rein literarischer Interessen selbst die englischen Verle¬
ger übertreffen, und daß es nicht an ihrer großsinnigen Protection,
sondern nur an dem Trotz und dem bösen Willen der Leipziger
Schriftsteller liegt, wenn aus ihren Reihen, bei aller ihnen zugedach¬
ten buchhändlerischen Huld, noch kein zweiter Shakspeare oder Göthe
hervorgegangen ist. Wäre es nicht eben so originell und selbständig
geurtheilt, wenn ich sagen wollte: die Preußische Allgemeine Zeitung
sei wie keine andere der directe Ausdruck der Gesinnungen, Mei¬
nungen und Hoffnungen des preußischen Volks, die einzige, welche
uns vor dem außerdeutschen Auslande würdig und respectfordernd
vertrete? 5) Oder wenn ich die Behauptung aufstellte: Die Berliner
Heid- oder Hegelschnucken seien die bescheidensten und gemüthlichsten
schmucken, die man sich in der Welt nur denken kann?

Wenn ich in diesen Skizzen München so vielfach von seinen lie¬
benswürdigen Seiten dargestellt habe, so weiß ich schon, daß man



^ Hier ist z. B. an den Bericht dieser Zeitung zu erinnern, welchen
Hochdieselbe über die schlesischen "Weberunruhen" mitzutheilen geruhte. Er
enthielt folgende Stelle: "Einige der Tumultuanten wurden verwundet. Da
aber des hierdurch zur Stelle erreichten Effects ungeachtet" u. s. w. ge^de
wie man von einem Theatereffecte spricht. Auch die gerechteste Sache foule
Anstand nehmen, in so kühler und schneidender Weise über eins jener ncuzeir-
lich tragischen Ereignisse zu sprechen, bei deren Erinnerung noch der kunlttgen
Geschichte der Menschheit das Herz klopfen wird. Zudem fragt sich noch, aus
welcher Seite der größere "Effect" war.

Fingern abzählen kann. Um einigermaßen als origineller Schrift¬
steller zu gelten, kitzelt es mich dagegen, zu sagen: daß Münchens
Umgegend der von Konstantinopel, sein Klima an Schönheit dem
von Neapel Nichts nachgebe, daß eS die aufgeklärteste, witzigste, frei¬
sinnigste, gebildetste, belesenste, am meisten fortgeschrittene Stadt in
der Welt sei! Wer will mich hindern, das zu behaupten, da wenig¬
stens die Thatsache feststeht, daß man hier zur Begründung einer
Zeitschrift nicht der Einholung einer Concession bedarf und daß in
Baiern keine Büchercensur eristirt? Um Gotteswillen.' ich sehe schon,
wie auf diese Gefahr hin die Leipziger Schriftsteller in langen Schaa-
ren nach München wie nach dem gelobten Lande auswandern! —
Daran thäten sie unrecht, denn um abermals originell zu erscheinen
und nicht in das allgemeine Urtheil miteinzustimmen, vermesse ich
mich zu der Behauptung, daß die Leipziger Buchhändler an Gene¬
rosität, Uneigennützigkeit, übermäßigen Honorarzahlungen und Förde¬
rung rein literarischer Interessen selbst die englischen Verle¬
ger übertreffen, und daß es nicht an ihrer großsinnigen Protection,
sondern nur an dem Trotz und dem bösen Willen der Leipziger
Schriftsteller liegt, wenn aus ihren Reihen, bei aller ihnen zugedach¬
ten buchhändlerischen Huld, noch kein zweiter Shakspeare oder Göthe
hervorgegangen ist. Wäre es nicht eben so originell und selbständig
geurtheilt, wenn ich sagen wollte: die Preußische Allgemeine Zeitung
sei wie keine andere der directe Ausdruck der Gesinnungen, Mei¬
nungen und Hoffnungen des preußischen Volks, die einzige, welche
uns vor dem außerdeutschen Auslande würdig und respectfordernd
vertrete? 5) Oder wenn ich die Behauptung aufstellte: Die Berliner
Heid- oder Hegelschnucken seien die bescheidensten und gemüthlichsten
schmucken, die man sich in der Welt nur denken kann?

Wenn ich in diesen Skizzen München so vielfach von seinen lie¬
benswürdigen Seiten dargestellt habe, so weiß ich schon, daß man



^ Hier ist z. B. an den Bericht dieser Zeitung zu erinnern, welchen
Hochdieselbe über die schlesischen „Weberunruhen" mitzutheilen geruhte. Er
enthielt folgende Stelle: „Einige der Tumultuanten wurden verwundet. Da
aber des hierdurch zur Stelle erreichten Effects ungeachtet" u. s. w. ge^de
wie man von einem Theatereffecte spricht. Auch die gerechteste Sache foule
Anstand nehmen, in so kühler und schneidender Weise über eins jener ncuzeir-
lich tragischen Ereignisse zu sprechen, bei deren Erinnerung noch der kunlttgen
Geschichte der Menschheit das Herz klopfen wird. Zudem fragt sich noch, aus
welcher Seite der größere „Effect" war.
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[0266] Fingern abzählen kann. Um einigermaßen als origineller Schrift¬ steller zu gelten, kitzelt es mich dagegen, zu sagen: daß Münchens Umgegend der von Konstantinopel, sein Klima an Schönheit dem von Neapel Nichts nachgebe, daß eS die aufgeklärteste, witzigste, frei¬ sinnigste, gebildetste, belesenste, am meisten fortgeschrittene Stadt in der Welt sei! Wer will mich hindern, das zu behaupten, da wenig¬ stens die Thatsache feststeht, daß man hier zur Begründung einer Zeitschrift nicht der Einholung einer Concession bedarf und daß in Baiern keine Büchercensur eristirt? Um Gotteswillen.' ich sehe schon, wie auf diese Gefahr hin die Leipziger Schriftsteller in langen Schaa- ren nach München wie nach dem gelobten Lande auswandern! — Daran thäten sie unrecht, denn um abermals originell zu erscheinen und nicht in das allgemeine Urtheil miteinzustimmen, vermesse ich mich zu der Behauptung, daß die Leipziger Buchhändler an Gene¬ rosität, Uneigennützigkeit, übermäßigen Honorarzahlungen und Förde¬ rung rein literarischer Interessen selbst die englischen Verle¬ ger übertreffen, und daß es nicht an ihrer großsinnigen Protection, sondern nur an dem Trotz und dem bösen Willen der Leipziger Schriftsteller liegt, wenn aus ihren Reihen, bei aller ihnen zugedach¬ ten buchhändlerischen Huld, noch kein zweiter Shakspeare oder Göthe hervorgegangen ist. Wäre es nicht eben so originell und selbständig geurtheilt, wenn ich sagen wollte: die Preußische Allgemeine Zeitung sei wie keine andere der directe Ausdruck der Gesinnungen, Mei¬ nungen und Hoffnungen des preußischen Volks, die einzige, welche uns vor dem außerdeutschen Auslande würdig und respectfordernd vertrete? 5) Oder wenn ich die Behauptung aufstellte: Die Berliner Heid- oder Hegelschnucken seien die bescheidensten und gemüthlichsten schmucken, die man sich in der Welt nur denken kann? Wenn ich in diesen Skizzen München so vielfach von seinen lie¬ benswürdigen Seiten dargestellt habe, so weiß ich schon, daß man ^ Hier ist z. B. an den Bericht dieser Zeitung zu erinnern, welchen Hochdieselbe über die schlesischen „Weberunruhen" mitzutheilen geruhte. Er enthielt folgende Stelle: „Einige der Tumultuanten wurden verwundet. Da aber des hierdurch zur Stelle erreichten Effects ungeachtet" u. s. w. ge^de wie man von einem Theatereffecte spricht. Auch die gerechteste Sache foule Anstand nehmen, in so kühler und schneidender Weise über eins jener ncuzeir- lich tragischen Ereignisse zu sprechen, bei deren Erinnerung noch der kunlttgen Geschichte der Menschheit das Herz klopfen wird. Zudem fragt sich noch, aus welcher Seite der größere „Effect" war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/266>, abgerufen am 27.07.2024.