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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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katblüthen nach oben entwickelt, die mit Euch concurrirende Wech¬
selgeschäfts- und Comptoiraristokratie wie die Kartoffel nach oben
Kraut und nach unten Knollen trägt. Die ehrenvollste Stellung des
Adels den Künsten gegenüber war von jeher das Patronat, die schöne,
jetzt so sehr verkannte Aufgabe, den mühsamen bürgerlichen Fleiß vor
den rauhen, zerstörenden Nordwinden zu schützen, und es möchte
ruhmvoller sein, einen Raphael oder Göthe zur Reife zu bringen,
als sich zur Selbstreife in die Sonne der Kunst zu stellen und wie
ein F>err von Canitz die Feder, oder wie irgend ein unbekannter
Herr°"von" den Pinsel zu führen.

Was hilft es einem noch vor Kurzem berühmten politisch-com-
munistischen Dichter, daß die Atmosphäre, welche ihn umgibt, dein
ihn Besuchenden wie aristokratischer Moschus entgegenduftet, wenn
Menzel ihn und Seinesgleichen "hoffnungsvolle Straßenjungen"
nennen darf, welche "ein in Paris lebender Jude zu ihrem Sing¬
sang abgerichtet habe?" Menzel veranlaßt mich wieder zu einerneuen
Bemerkung: Es gibt Kritiker, welche wie ein gewisses nützliches, auf
zweimal zwei Beinen laufendes Geschöpf, dessen geistreiche Frau Ge¬
mahlin Kuh und dessen hoffnungsvoller junger Sohn Kalb heißt,
mit verhängten Hörnern auf den Gegenstand ihres Hasses losrennen,
aber sie können wenigstens von sich rühmen, daß sie weder nach
Rechts, noch Links Verbeugungen und Knire machen, sie können sich
wenigstens auf die Stärke ihres Nackens, auf die Schnaubekraft ih¬
rer Nüstern, auf die Stoßgewalt ihrer Hörner etwas einbilden. Je¬
der kennt ihre energischen, aber einfachen Manövres und kann ihnen
aufs Leichteste ausweichen; wie viel schwieriger ist eS, sich vor den
aalhäutigen und'schlangenglatten Salonkrilikern in Acht zu nehmen.

Wenn ich die gewöhnlichen Rücksichten nehmen und mit der
Jedermanns-Brille sehen wollte, so müßte ich eigentlich von Mün¬
chen sagen: Es besitzt zu viel schlechte Gegend, zu viel schlechtes
Klima, zu viele Frömmigkeit, zu vieles Bier, zu viele Kunst, alles
Uebrige aber zu wenig. Dies kann man in hundert Büchern, Bro¬
schüren und Journalen lesen, und es ist Nichts bequemer, als solche
stereotyp gewordene Ansichten nachzuleiern. Gerade diese Wiederkäu-
ungsmanier hatte zur Folge, daß es gegenwärtig so wenig originelle
und selbstdenkende Schriftsteller gibt, und daß man im Allgemeinen
seine Paar eingelernten Urtheile wie die zehn Gebote an den zehn


katblüthen nach oben entwickelt, die mit Euch concurrirende Wech¬
selgeschäfts- und Comptoiraristokratie wie die Kartoffel nach oben
Kraut und nach unten Knollen trägt. Die ehrenvollste Stellung des
Adels den Künsten gegenüber war von jeher das Patronat, die schöne,
jetzt so sehr verkannte Aufgabe, den mühsamen bürgerlichen Fleiß vor
den rauhen, zerstörenden Nordwinden zu schützen, und es möchte
ruhmvoller sein, einen Raphael oder Göthe zur Reife zu bringen,
als sich zur Selbstreife in die Sonne der Kunst zu stellen und wie
ein F>err von Canitz die Feder, oder wie irgend ein unbekannter
Herr°„von" den Pinsel zu führen.

Was hilft es einem noch vor Kurzem berühmten politisch-com-
munistischen Dichter, daß die Atmosphäre, welche ihn umgibt, dein
ihn Besuchenden wie aristokratischer Moschus entgegenduftet, wenn
Menzel ihn und Seinesgleichen „hoffnungsvolle Straßenjungen"
nennen darf, welche „ein in Paris lebender Jude zu ihrem Sing¬
sang abgerichtet habe?" Menzel veranlaßt mich wieder zu einerneuen
Bemerkung: Es gibt Kritiker, welche wie ein gewisses nützliches, auf
zweimal zwei Beinen laufendes Geschöpf, dessen geistreiche Frau Ge¬
mahlin Kuh und dessen hoffnungsvoller junger Sohn Kalb heißt,
mit verhängten Hörnern auf den Gegenstand ihres Hasses losrennen,
aber sie können wenigstens von sich rühmen, daß sie weder nach
Rechts, noch Links Verbeugungen und Knire machen, sie können sich
wenigstens auf die Stärke ihres Nackens, auf die Schnaubekraft ih¬
rer Nüstern, auf die Stoßgewalt ihrer Hörner etwas einbilden. Je¬
der kennt ihre energischen, aber einfachen Manövres und kann ihnen
aufs Leichteste ausweichen; wie viel schwieriger ist eS, sich vor den
aalhäutigen und'schlangenglatten Salonkrilikern in Acht zu nehmen.

Wenn ich die gewöhnlichen Rücksichten nehmen und mit der
Jedermanns-Brille sehen wollte, so müßte ich eigentlich von Mün¬
chen sagen: Es besitzt zu viel schlechte Gegend, zu viel schlechtes
Klima, zu viele Frömmigkeit, zu vieles Bier, zu viele Kunst, alles
Uebrige aber zu wenig. Dies kann man in hundert Büchern, Bro¬
schüren und Journalen lesen, und es ist Nichts bequemer, als solche
stereotyp gewordene Ansichten nachzuleiern. Gerade diese Wiederkäu-
ungsmanier hatte zur Folge, daß es gegenwärtig so wenig originelle
und selbstdenkende Schriftsteller gibt, und daß man im Allgemeinen
seine Paar eingelernten Urtheile wie die zehn Gebote an den zehn


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[0265] katblüthen nach oben entwickelt, die mit Euch concurrirende Wech¬ selgeschäfts- und Comptoiraristokratie wie die Kartoffel nach oben Kraut und nach unten Knollen trägt. Die ehrenvollste Stellung des Adels den Künsten gegenüber war von jeher das Patronat, die schöne, jetzt so sehr verkannte Aufgabe, den mühsamen bürgerlichen Fleiß vor den rauhen, zerstörenden Nordwinden zu schützen, und es möchte ruhmvoller sein, einen Raphael oder Göthe zur Reife zu bringen, als sich zur Selbstreife in die Sonne der Kunst zu stellen und wie ein F>err von Canitz die Feder, oder wie irgend ein unbekannter Herr°„von" den Pinsel zu führen. Was hilft es einem noch vor Kurzem berühmten politisch-com- munistischen Dichter, daß die Atmosphäre, welche ihn umgibt, dein ihn Besuchenden wie aristokratischer Moschus entgegenduftet, wenn Menzel ihn und Seinesgleichen „hoffnungsvolle Straßenjungen" nennen darf, welche „ein in Paris lebender Jude zu ihrem Sing¬ sang abgerichtet habe?" Menzel veranlaßt mich wieder zu einerneuen Bemerkung: Es gibt Kritiker, welche wie ein gewisses nützliches, auf zweimal zwei Beinen laufendes Geschöpf, dessen geistreiche Frau Ge¬ mahlin Kuh und dessen hoffnungsvoller junger Sohn Kalb heißt, mit verhängten Hörnern auf den Gegenstand ihres Hasses losrennen, aber sie können wenigstens von sich rühmen, daß sie weder nach Rechts, noch Links Verbeugungen und Knire machen, sie können sich wenigstens auf die Stärke ihres Nackens, auf die Schnaubekraft ih¬ rer Nüstern, auf die Stoßgewalt ihrer Hörner etwas einbilden. Je¬ der kennt ihre energischen, aber einfachen Manövres und kann ihnen aufs Leichteste ausweichen; wie viel schwieriger ist eS, sich vor den aalhäutigen und'schlangenglatten Salonkrilikern in Acht zu nehmen. Wenn ich die gewöhnlichen Rücksichten nehmen und mit der Jedermanns-Brille sehen wollte, so müßte ich eigentlich von Mün¬ chen sagen: Es besitzt zu viel schlechte Gegend, zu viel schlechtes Klima, zu viele Frömmigkeit, zu vieles Bier, zu viele Kunst, alles Uebrige aber zu wenig. Dies kann man in hundert Büchern, Bro¬ schüren und Journalen lesen, und es ist Nichts bequemer, als solche stereotyp gewordene Ansichten nachzuleiern. Gerade diese Wiederkäu- ungsmanier hatte zur Folge, daß es gegenwärtig so wenig originelle und selbstdenkende Schriftsteller gibt, und daß man im Allgemeinen seine Paar eingelernten Urtheile wie die zehn Gebote an den zehn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/265>, abgerufen am 27.07.2024.